Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Vater auf den Sohn, und er kennt es wie seinen ältesten
Jugendgefährten.

Der Religion nach sind die meisten Kurden dieser Ge-
gend Muhamedaner, nach der persischen Grenze zu aber
wohnen viele Jacobitische Christen.

Es ist der Pforte nie gelungen, in diesen Bergen alle
erbliche Familiengewalt so zu Boden zu werfen, wie in den
mehrsten übrigen Theilen ihres Reichs. Die Kurden-Für-
sten üben eine große Macht über ihre Unterthanen; sie be-
fehden sich unter einander, trotzen der Autorität der Pforte,
verweigern die Steuern, gestatten keine Truppenaushebung,
und suchen ihre letzte Zuflucht in den Schlössern, welche
sie sich im hohen Gebirge erbaut.

Zu den bedeutendsten Häuptern gehörte Revenduß-
Bey,
den Reschid-Pascha besiegt; Vede-han-Bey,
der heute an unserer Seite ficht; Sayd-Bey, dessen
Schloß eben in Flammen auflodert, und Jsmael-Bey
von Acre, den die Pforte zum Pascha erhoben, der aber in
seiner Treue verdächtig ist. Die Expeditionen gegen diese
Fürsten waren stets von bedeutenden Opfern und Verlusten
begleitet; der Krieg ist theuer in diesen Gegenden, weil das
Material schwer zu beschaffen: eine Bombe, auf Mauleseln
von Samsum hierher getragen, kostet nahe an einen Louis-
d'or. Die festen Schlösser, obwohl nicht gegen Geschütz
erbaut, sind vom Terrain so sehr begünstigt, daß sie sämmt-
lich 31, 40 bis 42 Tage Widerstand geleistet haben, Krank-
heit und Desertion rafften dabei viel Menschen hinweg, und
alle Verluste waren doppelt empfindlich, weil sie so schwer
zu ersetzen sind.

Die Expedition Kurd-Mehmet-Pascha's ist glück-
lich gewesen; fünf Tage nach Eintreffen des Geschützes war
der Platz zur Uebergabe gezwungen, der Gesundheitszustand
der Truppen ist vortrefflich, der Verwundeten sind nur we-
nige, fast nur unter den verbündeten Kurden, und diese
werden nicht gezählt. An der Eroberung einer kleinen Ge-
birgs-Festung, die ohnehin jetzt ein Schutthaufen ist, kann

Vater auf den Sohn, und er kennt es wie ſeinen aͤlteſten
Jugendgefaͤhrten.

Der Religion nach ſind die meiſten Kurden dieſer Ge-
gend Muhamedaner, nach der perſiſchen Grenze zu aber
wohnen viele Jacobitiſche Chriſten.

Es iſt der Pforte nie gelungen, in dieſen Bergen alle
erbliche Familiengewalt ſo zu Boden zu werfen, wie in den
mehrſten uͤbrigen Theilen ihres Reichs. Die Kurden-Fuͤr-
ſten uͤben eine große Macht uͤber ihre Unterthanen; ſie be-
fehden ſich unter einander, trotzen der Autoritaͤt der Pforte,
verweigern die Steuern, geſtatten keine Truppenaushebung,
und ſuchen ihre letzte Zuflucht in den Schloͤſſern, welche
ſie ſich im hohen Gebirge erbaut.

Zu den bedeutendſten Haͤuptern gehoͤrte Revenduß-
Bey,
den Reſchid-Paſcha beſiegt; Vede-han-Bey,
der heute an unſerer Seite ficht; Sayd-Bey, deſſen
Schloß eben in Flammen auflodert, und Jsmael-Bey
von Acre, den die Pforte zum Paſcha erhoben, der aber in
ſeiner Treue verdaͤchtig iſt. Die Expeditionen gegen dieſe
Fuͤrſten waren ſtets von bedeutenden Opfern und Verluſten
begleitet; der Krieg iſt theuer in dieſen Gegenden, weil das
Material ſchwer zu beſchaffen: eine Bombe, auf Mauleſeln
von Samſum hierher getragen, koſtet nahe an einen Louis-
d'or. Die feſten Schloͤſſer, obwohl nicht gegen Geſchuͤtz
erbaut, ſind vom Terrain ſo ſehr beguͤnſtigt, daß ſie ſaͤmmt-
lich 31, 40 bis 42 Tage Widerſtand geleiſtet haben, Krank-
heit und Deſertion rafften dabei viel Menſchen hinweg, und
alle Verluſte waren doppelt empfindlich, weil ſie ſo ſchwer
zu erſetzen ſind.

Die Expedition Kurd-Mehmet-Paſcha's iſt gluͤck-
lich geweſen; fuͤnf Tage nach Eintreffen des Geſchuͤtzes war
der Platz zur Uebergabe gezwungen, der Geſundheitszuſtand
der Truppen iſt vortrefflich, der Verwundeten ſind nur we-
nige, faſt nur unter den verbuͤndeten Kurden, und dieſe
werden nicht gezaͤhlt. An der Eroberung einer kleinen Ge-
birgs-Feſtung, die ohnehin jetzt ein Schutthaufen iſt, kann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0280" n="270"/>
Vater auf den Sohn, und er kennt es wie &#x017F;einen a&#x0364;lte&#x017F;ten<lb/>
Jugendgefa&#x0364;hrten.</p><lb/>
        <p>Der Religion nach &#x017F;ind die mei&#x017F;ten Kurden die&#x017F;er Ge-<lb/>
gend Muhamedaner, nach der per&#x017F;i&#x017F;chen Grenze zu aber<lb/>
wohnen viele Jacobiti&#x017F;che Chri&#x017F;ten.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t der Pforte nie gelungen, in die&#x017F;en Bergen alle<lb/>
erbliche Familiengewalt &#x017F;o zu Boden zu werfen, wie in den<lb/>
mehr&#x017F;ten u&#x0364;brigen Theilen ihres Reichs. Die Kurden-Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;ten u&#x0364;ben eine große Macht u&#x0364;ber ihre Unterthanen; &#x017F;ie be-<lb/>
fehden &#x017F;ich unter einander, trotzen der Autorita&#x0364;t der Pforte,<lb/>
verweigern die Steuern, ge&#x017F;tatten keine Truppenaushebung,<lb/>
und &#x017F;uchen ihre letzte Zuflucht in den Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern, welche<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich im hohen Gebirge erbaut.</p><lb/>
        <p>Zu den bedeutend&#x017F;ten Ha&#x0364;uptern geho&#x0364;rte <hi rendition="#g">Revenduß-<lb/>
Bey,</hi> den <hi rendition="#g">Re&#x017F;chid-Pa&#x017F;cha</hi> be&#x017F;iegt; <hi rendition="#g">Vede-han-Bey,</hi><lb/>
der heute an un&#x017F;erer Seite ficht; <hi rendition="#g">Sayd-Bey,</hi> de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Schloß eben in Flammen auflodert, und <hi rendition="#g">Jsmael-Bey</hi><lb/>
von Acre, den die Pforte zum Pa&#x017F;cha erhoben, der aber in<lb/>
&#x017F;einer Treue verda&#x0364;chtig i&#x017F;t. Die Expeditionen gegen die&#x017F;e<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;ten waren &#x017F;tets von bedeutenden Opfern und Verlu&#x017F;ten<lb/>
begleitet; der Krieg i&#x017F;t theuer in die&#x017F;en Gegenden, weil das<lb/>
Material &#x017F;chwer zu be&#x017F;chaffen: eine Bombe, auf Maule&#x017F;eln<lb/>
von Sam&#x017F;um hierher getragen, ko&#x017F;tet nahe an einen Louis-<lb/>
d'or. Die fe&#x017F;ten Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er, obwohl nicht gegen Ge&#x017F;chu&#x0364;tz<lb/>
erbaut, &#x017F;ind vom Terrain &#x017F;o &#x017F;ehr begu&#x0364;n&#x017F;tigt, daß &#x017F;ie &#x017F;a&#x0364;mmt-<lb/>
lich 31, 40 bis 42 Tage Wider&#x017F;tand gelei&#x017F;tet haben, Krank-<lb/>
heit und De&#x017F;ertion rafften dabei viel Men&#x017F;chen hinweg, und<lb/>
alle Verlu&#x017F;te waren doppelt empfindlich, weil &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;chwer<lb/>
zu er&#x017F;etzen &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Die Expedition <hi rendition="#g">Kurd-Mehmet-Pa&#x017F;cha's</hi> i&#x017F;t glu&#x0364;ck-<lb/>
lich gewe&#x017F;en; fu&#x0364;nf Tage nach Eintreffen des Ge&#x017F;chu&#x0364;tzes war<lb/>
der Platz zur Uebergabe gezwungen, der Ge&#x017F;undheitszu&#x017F;tand<lb/>
der Truppen i&#x017F;t vortrefflich, der Verwundeten &#x017F;ind nur we-<lb/>
nige, fa&#x017F;t nur unter den verbu&#x0364;ndeten Kurden, und die&#x017F;e<lb/>
werden nicht geza&#x0364;hlt. An der Eroberung einer kleinen Ge-<lb/>
birgs-Fe&#x017F;tung, die ohnehin jetzt ein Schutthaufen i&#x017F;t, kann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0280] Vater auf den Sohn, und er kennt es wie ſeinen aͤlteſten Jugendgefaͤhrten. Der Religion nach ſind die meiſten Kurden dieſer Ge- gend Muhamedaner, nach der perſiſchen Grenze zu aber wohnen viele Jacobitiſche Chriſten. Es iſt der Pforte nie gelungen, in dieſen Bergen alle erbliche Familiengewalt ſo zu Boden zu werfen, wie in den mehrſten uͤbrigen Theilen ihres Reichs. Die Kurden-Fuͤr- ſten uͤben eine große Macht uͤber ihre Unterthanen; ſie be- fehden ſich unter einander, trotzen der Autoritaͤt der Pforte, verweigern die Steuern, geſtatten keine Truppenaushebung, und ſuchen ihre letzte Zuflucht in den Schloͤſſern, welche ſie ſich im hohen Gebirge erbaut. Zu den bedeutendſten Haͤuptern gehoͤrte Revenduß- Bey, den Reſchid-Paſcha beſiegt; Vede-han-Bey, der heute an unſerer Seite ficht; Sayd-Bey, deſſen Schloß eben in Flammen auflodert, und Jsmael-Bey von Acre, den die Pforte zum Paſcha erhoben, der aber in ſeiner Treue verdaͤchtig iſt. Die Expeditionen gegen dieſe Fuͤrſten waren ſtets von bedeutenden Opfern und Verluſten begleitet; der Krieg iſt theuer in dieſen Gegenden, weil das Material ſchwer zu beſchaffen: eine Bombe, auf Mauleſeln von Samſum hierher getragen, koſtet nahe an einen Louis- d'or. Die feſten Schloͤſſer, obwohl nicht gegen Geſchuͤtz erbaut, ſind vom Terrain ſo ſehr beguͤnſtigt, daß ſie ſaͤmmt- lich 31, 40 bis 42 Tage Widerſtand geleiſtet haben, Krank- heit und Deſertion rafften dabei viel Menſchen hinweg, und alle Verluſte waren doppelt empfindlich, weil ſie ſo ſchwer zu erſetzen ſind. Die Expedition Kurd-Mehmet-Paſcha's iſt gluͤck- lich geweſen; fuͤnf Tage nach Eintreffen des Geſchuͤtzes war der Platz zur Uebergabe gezwungen, der Geſundheitszuſtand der Truppen iſt vortrefflich, der Verwundeten ſind nur we- nige, faſt nur unter den verbuͤndeten Kurden, und dieſe werden nicht gezaͤhlt. An der Eroberung einer kleinen Ge- birgs-Feſtung, die ohnehin jetzt ein Schutthaufen iſt, kann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/280
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/280>, abgerufen am 24.11.2024.