Eine Bombe war in die oben offene Cisterne gefallen, war dort geplatzt und hatte das Wasser ganz untrinkbar gemacht.
Unser schwaches Kaliber hatte die Mauer stark genug beschädigt, was nur bei der schlechten Beschaffenheit der- selben möglich war. Die Gegenwart eines fränkischen Of- ficiers hatte übrigens dem Bey üble Pressentiments gege- ben; meine unschuldige Planchette, welche er auf allen Hö- hen, bald vor, bald hinter dem Schlosse erblickte, schien ihm eine Art Zauber, welche ihn umstrickte, und er wür- digte sie einer lebhaften Füsilade. Wir haben diese De- tails gestern von Sayd-Bey selbst erfahren. Jm Schlosse fand man sehr reichliche Vorräthe an Korn, Gerste, Schlacht- vieh und Pferden; Wasser war genügend vorhanden, aber von schlechter Qualität. Es herrschte eine Unreinlichkeit, welche der Garnison verderblich werden mußte; der Hof lag überdeckt mit Resten von Lebensmitteln, Lumpen und Thiergerippen, und die Luft war von Gestank erfüllt. Un- ter dem Thore trat mir ein Kurde entgegen, der seinen verwundeten Bruder trug; der arme Mensch war durchs Bein geschossen, und sein Führer erzählte mit Thränen in den Augen, daß er sich nun schon den siebenten Tag hin- quäle. Jch ließ den Feldscheerer kommen: "Es ist ja ein Kurde," sagte dieser zu wiederholten Malen mit stets ge- steigerter Stimme, wie man Jemandem sagt: "begreifst du nicht, daß du Unsinn forderst?"
Nun ist es wirklich schändlich, 3000 Mann ins Feld zu schicken, begleitet von einem einzigen unwissenden Bar- bier. Einer unserer Artilleristen ist schon vor acht Tagen übergefahren; noch heute weiß Niemand, ob das Bein ge- brochen, verrenkt oder nur gequetscht ist; der Mensch liegt ganz hülflos in seinem Zelte. Diesen Zustand des Wund- arzneiwesens, hoffe ich, wird Hafiß-Pascha beim Se- raskier zur Sprache bringen; hier oder nirgends können Franken helfen. Beim Arzte steht auch noch die Sprache im Wege, aber der Wundarzt sieht, und hat wenig zu fragen.
Eine Bombe war in die oben offene Ciſterne gefallen, war dort geplatzt und hatte das Waſſer ganz untrinkbar gemacht.
Unſer ſchwaches Kaliber hatte die Mauer ſtark genug beſchaͤdigt, was nur bei der ſchlechten Beſchaffenheit der- ſelben moͤglich war. Die Gegenwart eines fraͤnkiſchen Of- ficiers hatte uͤbrigens dem Bey uͤble Preſſentiments gege- ben; meine unſchuldige Planchette, welche er auf allen Hoͤ- hen, bald vor, bald hinter dem Schloſſe erblickte, ſchien ihm eine Art Zauber, welche ihn umſtrickte, und er wuͤr- digte ſie einer lebhaften Fuͤſilade. Wir haben dieſe De- tails geſtern von Sayd-Bey ſelbſt erfahren. Jm Schloſſe fand man ſehr reichliche Vorraͤthe an Korn, Gerſte, Schlacht- vieh und Pferden; Waſſer war genuͤgend vorhanden, aber von ſchlechter Qualitaͤt. Es herrſchte eine Unreinlichkeit, welche der Garniſon verderblich werden mußte; der Hof lag uͤberdeckt mit Reſten von Lebensmitteln, Lumpen und Thiergerippen, und die Luft war von Geſtank erfuͤllt. Un- ter dem Thore trat mir ein Kurde entgegen, der ſeinen verwundeten Bruder trug; der arme Menſch war durchs Bein geſchoſſen, und ſein Fuͤhrer erzaͤhlte mit Thraͤnen in den Augen, daß er ſich nun ſchon den ſiebenten Tag hin- quaͤle. Jch ließ den Feldſcheerer kommen: „Es iſt ja ein Kurde,“ ſagte dieſer zu wiederholten Malen mit ſtets ge- ſteigerter Stimme, wie man Jemandem ſagt: „begreifſt du nicht, daß du Unſinn forderſt?“
Nun iſt es wirklich ſchaͤndlich, 3000 Mann ins Feld zu ſchicken, begleitet von einem einzigen unwiſſenden Bar- bier. Einer unſerer Artilleriſten iſt ſchon vor acht Tagen uͤbergefahren; noch heute weiß Niemand, ob das Bein ge- brochen, verrenkt oder nur gequetſcht iſt; der Menſch liegt ganz huͤlflos in ſeinem Zelte. Dieſen Zuſtand des Wund- arzneiweſens, hoffe ich, wird Hafiß-Paſcha beim Se- raskier zur Sprache bringen; hier oder nirgends koͤnnen Franken helfen. Beim Arzte ſteht auch noch die Sprache im Wege, aber der Wundarzt ſieht, und hat wenig zu fragen.
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Eine Bombe war in die oben offene Ciſterne gefallen,
war dort geplatzt und hatte das Waſſer ganz untrinkbar
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Unſer ſchwaches Kaliber hatte die Mauer ſtark genug
beſchaͤdigt, was nur bei der ſchlechten Beſchaffenheit der-
ſelben moͤglich war. Die Gegenwart eines fraͤnkiſchen Of-
ficiers hatte uͤbrigens dem Bey uͤble Preſſentiments gege-
ben; meine unſchuldige Planchette, welche er auf allen Hoͤ-
hen, bald vor, bald hinter dem Schloſſe erblickte, ſchien
ihm eine Art Zauber, welche ihn umſtrickte, und er wuͤr-
digte ſie einer lebhaften Fuͤſilade. Wir haben dieſe De-
tails geſtern von Sayd-Bey ſelbſt erfahren. Jm Schloſſe
fand man ſehr reichliche Vorraͤthe an Korn, Gerſte, Schlacht-
vieh und Pferden; Waſſer war genuͤgend vorhanden, aber
von ſchlechter Qualitaͤt. Es herrſchte eine Unreinlichkeit,
welche der Garniſon verderblich werden mußte; der Hof
lag uͤberdeckt mit Reſten von Lebensmitteln, Lumpen und
Thiergerippen, und die Luft war von Geſtank erfuͤllt. Un-
ter dem Thore trat mir ein Kurde entgegen, der ſeinen
verwundeten Bruder trug; der arme Menſch war durchs
Bein geſchoſſen, und ſein Fuͤhrer erzaͤhlte mit Thraͤnen in
den Augen, daß er ſich nun ſchon den ſiebenten Tag hin-
quaͤle. Jch ließ den Feldſcheerer kommen: „Es iſt ja ein
Kurde,“ ſagte dieſer zu wiederholten Malen mit ſtets ge-
ſteigerter Stimme, wie man Jemandem ſagt: „begreifſt du
nicht, daß du Unſinn forderſt?“
Nun iſt es wirklich ſchaͤndlich, 3000 Mann ins Feld
zu ſchicken, begleitet von einem einzigen unwiſſenden Bar-
bier. Einer unſerer Artilleriſten iſt ſchon vor acht Tagen
uͤbergefahren; noch heute weiß Niemand, ob das Bein ge-
brochen, verrenkt oder nur gequetſcht iſt; der Menſch liegt
ganz huͤlflos in ſeinem Zelte. Dieſen Zuſtand des Wund-
arzneiweſens, hoffe ich, wird Hafiß-Paſcha beim Se-
raskier zur Sprache bringen; hier oder nirgends koͤnnen
Franken helfen. Beim Arzte ſteht auch noch die Sprache
im Wege, aber der Wundarzt ſieht, und hat wenig zu fragen.
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/277>, abgerufen am 24.11.2024.
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