Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine Bombe war in die oben offene Cisterne gefallen,
war dort geplatzt und hatte das Wasser ganz untrinkbar
gemacht.

Unser schwaches Kaliber hatte die Mauer stark genug
beschädigt, was nur bei der schlechten Beschaffenheit der-
selben möglich war. Die Gegenwart eines fränkischen Of-
ficiers hatte übrigens dem Bey üble Pressentiments gege-
ben; meine unschuldige Planchette, welche er auf allen Hö-
hen, bald vor, bald hinter dem Schlosse erblickte, schien
ihm eine Art Zauber, welche ihn umstrickte, und er wür-
digte sie einer lebhaften Füsilade. Wir haben diese De-
tails gestern von Sayd-Bey selbst erfahren. Jm Schlosse
fand man sehr reichliche Vorräthe an Korn, Gerste, Schlacht-
vieh und Pferden; Wasser war genügend vorhanden, aber
von schlechter Qualität. Es herrschte eine Unreinlichkeit,
welche der Garnison verderblich werden mußte; der Hof
lag überdeckt mit Resten von Lebensmitteln, Lumpen und
Thiergerippen, und die Luft war von Gestank erfüllt. Un-
ter dem Thore trat mir ein Kurde entgegen, der seinen
verwundeten Bruder trug; der arme Mensch war durchs
Bein geschossen, und sein Führer erzählte mit Thränen in
den Augen, daß er sich nun schon den siebenten Tag hin-
quäle. Jch ließ den Feldscheerer kommen: "Es ist ja ein
Kurde," sagte dieser zu wiederholten Malen mit stets ge-
steigerter Stimme, wie man Jemandem sagt: "begreifst du
nicht, daß du Unsinn forderst?"

Nun ist es wirklich schändlich, 3000 Mann ins Feld
zu schicken, begleitet von einem einzigen unwissenden Bar-
bier. Einer unserer Artilleristen ist schon vor acht Tagen
übergefahren; noch heute weiß Niemand, ob das Bein ge-
brochen, verrenkt oder nur gequetscht ist; der Mensch liegt
ganz hülflos in seinem Zelte. Diesen Zustand des Wund-
arzneiwesens, hoffe ich, wird Hafiß-Pascha beim Se-
raskier zur Sprache bringen; hier oder nirgends können
Franken helfen. Beim Arzte steht auch noch die Sprache
im Wege, aber der Wundarzt sieht, und hat wenig zu fragen.

Eine Bombe war in die oben offene Ciſterne gefallen,
war dort geplatzt und hatte das Waſſer ganz untrinkbar
gemacht.

Unſer ſchwaches Kaliber hatte die Mauer ſtark genug
beſchaͤdigt, was nur bei der ſchlechten Beſchaffenheit der-
ſelben moͤglich war. Die Gegenwart eines fraͤnkiſchen Of-
ficiers hatte uͤbrigens dem Bey uͤble Preſſentiments gege-
ben; meine unſchuldige Planchette, welche er auf allen Hoͤ-
hen, bald vor, bald hinter dem Schloſſe erblickte, ſchien
ihm eine Art Zauber, welche ihn umſtrickte, und er wuͤr-
digte ſie einer lebhaften Fuͤſilade. Wir haben dieſe De-
tails geſtern von Sayd-Bey ſelbſt erfahren. Jm Schloſſe
fand man ſehr reichliche Vorraͤthe an Korn, Gerſte, Schlacht-
vieh und Pferden; Waſſer war genuͤgend vorhanden, aber
von ſchlechter Qualitaͤt. Es herrſchte eine Unreinlichkeit,
welche der Garniſon verderblich werden mußte; der Hof
lag uͤberdeckt mit Reſten von Lebensmitteln, Lumpen und
Thiergerippen, und die Luft war von Geſtank erfuͤllt. Un-
ter dem Thore trat mir ein Kurde entgegen, der ſeinen
verwundeten Bruder trug; der arme Menſch war durchs
Bein geſchoſſen, und ſein Fuͤhrer erzaͤhlte mit Thraͤnen in
den Augen, daß er ſich nun ſchon den ſiebenten Tag hin-
quaͤle. Jch ließ den Feldſcheerer kommen: „Es iſt ja ein
Kurde,“ ſagte dieſer zu wiederholten Malen mit ſtets ge-
ſteigerter Stimme, wie man Jemandem ſagt: „begreifſt du
nicht, daß du Unſinn forderſt?“

Nun iſt es wirklich ſchaͤndlich, 3000 Mann ins Feld
zu ſchicken, begleitet von einem einzigen unwiſſenden Bar-
bier. Einer unſerer Artilleriſten iſt ſchon vor acht Tagen
uͤbergefahren; noch heute weiß Niemand, ob das Bein ge-
brochen, verrenkt oder nur gequetſcht iſt; der Menſch liegt
ganz huͤlflos in ſeinem Zelte. Dieſen Zuſtand des Wund-
arzneiweſens, hoffe ich, wird Hafiß-Paſcha beim Se-
raskier zur Sprache bringen; hier oder nirgends koͤnnen
Franken helfen. Beim Arzte ſteht auch noch die Sprache
im Wege, aber der Wundarzt ſieht, und hat wenig zu fragen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0277" n="267"/>
          <p>Eine Bombe war in die oben offene Ci&#x017F;terne gefallen,<lb/>
war dort geplatzt und hatte das Wa&#x017F;&#x017F;er ganz untrinkbar<lb/>
gemacht.</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;er &#x017F;chwaches Kaliber hatte die Mauer &#x017F;tark genug<lb/>
be&#x017F;cha&#x0364;digt, was nur bei der &#x017F;chlechten Be&#x017F;chaffenheit der-<lb/>
&#x017F;elben mo&#x0364;glich war. Die Gegenwart eines fra&#x0364;nki&#x017F;chen Of-<lb/>
ficiers hatte u&#x0364;brigens dem Bey u&#x0364;ble Pre&#x017F;&#x017F;entiments gege-<lb/>
ben; meine un&#x017F;chuldige Planchette, welche er auf allen Ho&#x0364;-<lb/>
hen, bald vor, bald hinter dem Schlo&#x017F;&#x017F;e erblickte, &#x017F;chien<lb/>
ihm eine Art Zauber, welche ihn um&#x017F;trickte, und er wu&#x0364;r-<lb/>
digte &#x017F;ie einer lebhaften Fu&#x0364;&#x017F;ilade. Wir haben die&#x017F;e De-<lb/>
tails ge&#x017F;tern von <hi rendition="#g">Sayd-Bey</hi> &#x017F;elb&#x017F;t erfahren. Jm Schlo&#x017F;&#x017F;e<lb/>
fand man &#x017F;ehr reichliche Vorra&#x0364;the an Korn, Ger&#x017F;te, Schlacht-<lb/>
vieh und Pferden; Wa&#x017F;&#x017F;er war genu&#x0364;gend vorhanden, aber<lb/>
von &#x017F;chlechter Qualita&#x0364;t. Es herr&#x017F;chte eine Unreinlichkeit,<lb/>
welche der Garni&#x017F;on verderblich werden mußte; der Hof<lb/>
lag u&#x0364;berdeckt mit Re&#x017F;ten von Lebensmitteln, Lumpen und<lb/>
Thiergerippen, und die Luft war von Ge&#x017F;tank erfu&#x0364;llt. Un-<lb/>
ter dem Thore trat mir ein Kurde entgegen, der &#x017F;einen<lb/>
verwundeten Bruder trug; der arme Men&#x017F;ch war durchs<lb/>
Bein ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;ein Fu&#x0364;hrer erza&#x0364;hlte mit Thra&#x0364;nen in<lb/>
den Augen, daß er &#x017F;ich nun &#x017F;chon den &#x017F;iebenten Tag hin-<lb/>
qua&#x0364;le. Jch ließ den Feld&#x017F;cheerer kommen: &#x201E;Es i&#x017F;t ja ein<lb/>
Kurde,&#x201C; &#x017F;agte die&#x017F;er zu wiederholten Malen mit &#x017F;tets ge-<lb/>
&#x017F;teigerter Stimme, wie man Jemandem &#x017F;agt: &#x201E;begreif&#x017F;t du<lb/>
nicht, daß du Un&#x017F;inn forder&#x017F;t?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Nun i&#x017F;t es wirklich &#x017F;cha&#x0364;ndlich, 3000 Mann ins Feld<lb/>
zu &#x017F;chicken, begleitet von einem einzigen unwi&#x017F;&#x017F;enden Bar-<lb/>
bier. Einer un&#x017F;erer Artilleri&#x017F;ten i&#x017F;t &#x017F;chon vor acht Tagen<lb/>
u&#x0364;bergefahren; noch heute weiß Niemand, ob das Bein ge-<lb/>
brochen, verrenkt oder nur gequet&#x017F;cht i&#x017F;t; der Men&#x017F;ch liegt<lb/>
ganz hu&#x0364;lflos in &#x017F;einem Zelte. Die&#x017F;en Zu&#x017F;tand des Wund-<lb/>
arzneiwe&#x017F;ens, hoffe ich, wird <hi rendition="#g">Hafiß-Pa&#x017F;cha</hi> beim Se-<lb/>
raskier zur Sprache bringen; hier oder nirgends ko&#x0364;nnen<lb/>
Franken helfen. Beim Arzte &#x017F;teht auch noch die Sprache<lb/>
im Wege, aber der Wundarzt &#x017F;ieht, und hat wenig zu fragen.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0277] Eine Bombe war in die oben offene Ciſterne gefallen, war dort geplatzt und hatte das Waſſer ganz untrinkbar gemacht. Unſer ſchwaches Kaliber hatte die Mauer ſtark genug beſchaͤdigt, was nur bei der ſchlechten Beſchaffenheit der- ſelben moͤglich war. Die Gegenwart eines fraͤnkiſchen Of- ficiers hatte uͤbrigens dem Bey uͤble Preſſentiments gege- ben; meine unſchuldige Planchette, welche er auf allen Hoͤ- hen, bald vor, bald hinter dem Schloſſe erblickte, ſchien ihm eine Art Zauber, welche ihn umſtrickte, und er wuͤr- digte ſie einer lebhaften Fuͤſilade. Wir haben dieſe De- tails geſtern von Sayd-Bey ſelbſt erfahren. Jm Schloſſe fand man ſehr reichliche Vorraͤthe an Korn, Gerſte, Schlacht- vieh und Pferden; Waſſer war genuͤgend vorhanden, aber von ſchlechter Qualitaͤt. Es herrſchte eine Unreinlichkeit, welche der Garniſon verderblich werden mußte; der Hof lag uͤberdeckt mit Reſten von Lebensmitteln, Lumpen und Thiergerippen, und die Luft war von Geſtank erfuͤllt. Un- ter dem Thore trat mir ein Kurde entgegen, der ſeinen verwundeten Bruder trug; der arme Menſch war durchs Bein geſchoſſen, und ſein Fuͤhrer erzaͤhlte mit Thraͤnen in den Augen, daß er ſich nun ſchon den ſiebenten Tag hin- quaͤle. Jch ließ den Feldſcheerer kommen: „Es iſt ja ein Kurde,“ ſagte dieſer zu wiederholten Malen mit ſtets ge- ſteigerter Stimme, wie man Jemandem ſagt: „begreifſt du nicht, daß du Unſinn forderſt?“ Nun iſt es wirklich ſchaͤndlich, 3000 Mann ins Feld zu ſchicken, begleitet von einem einzigen unwiſſenden Bar- bier. Einer unſerer Artilleriſten iſt ſchon vor acht Tagen uͤbergefahren; noch heute weiß Niemand, ob das Bein ge- brochen, verrenkt oder nur gequetſcht iſt; der Menſch liegt ganz huͤlflos in ſeinem Zelte. Dieſen Zuſtand des Wund- arzneiweſens, hoffe ich, wird Hafiß-Paſcha beim Se- raskier zur Sprache bringen; hier oder nirgends koͤnnen Franken helfen. Beim Arzte ſteht auch noch die Sprache im Wege, aber der Wundarzt ſieht, und hat wenig zu fragen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/277
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/277>, abgerufen am 17.05.2024.