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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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zig entschlossene Männer hier wohl einen sehr langen Wi-
derstand leisten könnten. Es sind aber glücklicherweise zwei
hundert Männer darin, und das ist gut für uns, denn
einmal essen Zweihundert mehr als Vierzig, und dann fin-
det man leichter vierzig als zweihundert entschlossene Leute.
Unsere verbündeten Kurden hatten bereits gute Arbeit ge-
macht und eine Menge kleiner Thürme, verschanzter Höh-
len etc. genommen, welche die Zugänge zur Hauptfestung
decken und auf den ersten Blick fast ganz unzugänglich er-
scheinen. Diese Leute sind vortreffliche Schützen, trotz ihrer
langen altmodischen Gewehre mit damascirten Läufen und
oft noch mit Luntenschlössern; sie ziehen fast nur des Nachts
zu ihren Unternehmungen aus, Tags liegen sie hinter den
Steinen versteckt; überall findet man einen Trupp, und
wo sich der Kopf eines Feindes zeigt, da setzt es eine Ku-
gel. Die Kurden benutzen übrigens die Gelegenheit, wo
Pulver und Blei ihnen nichts kostet; das Schloß dagegen
feuert wenig, mit Bedacht und zielt genau. Gestern wa-
ren drei Leute aus unglaublicher Entfernung getroffen. --
Kanonen hat die Festung nicht, aber die Wallbüsche ist für
die Vertheidigung eine nicht zu verachtende Waffe, und ihr
Feuer nur mit der Eroberung des Platzes selbst zu däm-
pfen. Als ich mit einem stattlichen Schimmel erschien und
die Kurden sich um mich her drängten, pfiff auch gleich
eine Kugel durch die Blätter des Nußbaums, unter wel-
chem wir hielten.

Jch benutzte die Zeit zur Recognoscirung, denn vier
und zwanzig Stunden später trifft Mehmet Pascha mit
seinem Corps ein.

Sayd-Bey-Kalessi liegt auf einer wohl 1000 Fuß ho-
hen Klippe, die nur nördlich mittelst eines scharfen, un-
gangbaren Grats mit der noch ganz beschneiten Haupt-
masse des Gebirgs zusammen hängt. Oestlich und westlich
ist es von tiefen Felsschlünden umfaßt, die sich an der
Südseite in ein Thal vereinen, in welchem wir lagern; nur
ein einziger schmaler Saumpfad windet sich in endlosen

zig entſchloſſene Maͤnner hier wohl einen ſehr langen Wi-
derſtand leiſten koͤnnten. Es ſind aber gluͤcklicherweiſe zwei
hundert Maͤnner darin, und das iſt gut fuͤr uns, denn
einmal eſſen Zweihundert mehr als Vierzig, und dann fin-
det man leichter vierzig als zweihundert entſchloſſene Leute.
Unſere verbuͤndeten Kurden hatten bereits gute Arbeit ge-
macht und eine Menge kleiner Thuͤrme, verſchanzter Hoͤh-
len ꝛc. genommen, welche die Zugaͤnge zur Hauptfeſtung
decken und auf den erſten Blick faſt ganz unzugaͤnglich er-
ſcheinen. Dieſe Leute ſind vortreffliche Schuͤtzen, trotz ihrer
langen altmodiſchen Gewehre mit damascirten Laͤufen und
oft noch mit Luntenſchloͤſſern; ſie ziehen faſt nur des Nachts
zu ihren Unternehmungen aus, Tags liegen ſie hinter den
Steinen verſteckt; uͤberall findet man einen Trupp, und
wo ſich der Kopf eines Feindes zeigt, da ſetzt es eine Ku-
gel. Die Kurden benutzen uͤbrigens die Gelegenheit, wo
Pulver und Blei ihnen nichts koſtet; das Schloß dagegen
feuert wenig, mit Bedacht und zielt genau. Geſtern wa-
ren drei Leute aus unglaublicher Entfernung getroffen. —
Kanonen hat die Feſtung nicht, aber die Wallbuͤſche iſt fuͤr
die Vertheidigung eine nicht zu verachtende Waffe, und ihr
Feuer nur mit der Eroberung des Platzes ſelbſt zu daͤm-
pfen. Als ich mit einem ſtattlichen Schimmel erſchien und
die Kurden ſich um mich her draͤngten, pfiff auch gleich
eine Kugel durch die Blaͤtter des Nußbaums, unter wel-
chem wir hielten.

Jch benutzte die Zeit zur Recognoſcirung, denn vier
und zwanzig Stunden ſpaͤter trifft Mehmet Paſcha mit
ſeinem Corps ein.

Sayd-Bey-Kaleſſi liegt auf einer wohl 1000 Fuß ho-
hen Klippe, die nur noͤrdlich mittelſt eines ſcharfen, un-
gangbaren Grats mit der noch ganz beſchneiten Haupt-
maſſe des Gebirgs zuſammen haͤngt. Oeſtlich und weſtlich
iſt es von tiefen Felsſchluͤnden umfaßt, die ſich an der
Suͤdſeite in ein Thal vereinen, in welchem wir lagern; nur
ein einziger ſchmaler Saumpfad windet ſich in endloſen

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[258/0268] zig entſchloſſene Maͤnner hier wohl einen ſehr langen Wi- derſtand leiſten koͤnnten. Es ſind aber gluͤcklicherweiſe zwei hundert Maͤnner darin, und das iſt gut fuͤr uns, denn einmal eſſen Zweihundert mehr als Vierzig, und dann fin- det man leichter vierzig als zweihundert entſchloſſene Leute. Unſere verbuͤndeten Kurden hatten bereits gute Arbeit ge- macht und eine Menge kleiner Thuͤrme, verſchanzter Hoͤh- len ꝛc. genommen, welche die Zugaͤnge zur Hauptfeſtung decken und auf den erſten Blick faſt ganz unzugaͤnglich er- ſcheinen. Dieſe Leute ſind vortreffliche Schuͤtzen, trotz ihrer langen altmodiſchen Gewehre mit damascirten Laͤufen und oft noch mit Luntenſchloͤſſern; ſie ziehen faſt nur des Nachts zu ihren Unternehmungen aus, Tags liegen ſie hinter den Steinen verſteckt; uͤberall findet man einen Trupp, und wo ſich der Kopf eines Feindes zeigt, da ſetzt es eine Ku- gel. Die Kurden benutzen uͤbrigens die Gelegenheit, wo Pulver und Blei ihnen nichts koſtet; das Schloß dagegen feuert wenig, mit Bedacht und zielt genau. Geſtern wa- ren drei Leute aus unglaublicher Entfernung getroffen. — Kanonen hat die Feſtung nicht, aber die Wallbuͤſche iſt fuͤr die Vertheidigung eine nicht zu verachtende Waffe, und ihr Feuer nur mit der Eroberung des Platzes ſelbſt zu daͤm- pfen. Als ich mit einem ſtattlichen Schimmel erſchien und die Kurden ſich um mich her draͤngten, pfiff auch gleich eine Kugel durch die Blaͤtter des Nußbaums, unter wel- chem wir hielten. Jch benutzte die Zeit zur Recognoſcirung, denn vier und zwanzig Stunden ſpaͤter trifft Mehmet Paſcha mit ſeinem Corps ein. Sayd-Bey-Kaleſſi liegt auf einer wohl 1000 Fuß ho- hen Klippe, die nur noͤrdlich mittelſt eines ſcharfen, un- gangbaren Grats mit der noch ganz beſchneiten Haupt- maſſe des Gebirgs zuſammen haͤngt. Oeſtlich und weſtlich iſt es von tiefen Felsſchluͤnden umfaßt, die ſich an der Suͤdſeite in ein Thal vereinen, in welchem wir lagern; nur ein einziger ſchmaler Saumpfad windet ſich in endloſen

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/268>, abgerufen am 18.05.2024.