Den 5. Abends ritt ich nach einem Kurden-Schlosse, welches Reschid-Pascha erobert, um einen ungefähren Begriff von dem zu bekommen, welches wir jetzt belagern werden. Stelle Dir den Durchbruch eines Bachs, etwa wie den Kocher, durch ein schroffes hohes Gebirg vor; die Schichtung des Gesteins ist vollkommen lothrecht, und durch die Verwitterung einiger der Schichten stehen die übrigen wie Riesenmauern von ungeheuerer Höhe und zwei bis drei Arschinen Mächtigkeit da.
Zwischen zwei solchen natürlichen Steinwänden nun, die etwa 40 Schritte von einander abstehen mögen, war das Schloß Vede-han-Bey's wie ein Schwalbennest ein- geklemmt, indem, wie sich die hinterliegende Bergwand er- hob, eine Etage auf die andere empor stieg. Von oben war das Schloß gar nicht zu sehen, von beiden Seiten durch die Felsmauer geschützt, und gegenüber, jenseit des Baches, befindet sich auf unersteiglichen Klippen ein Thurm gespießt, von dem man nicht begreift, wie die Vertheidiger hinein kamen. Ein reicher Quell, der jetzt über die Trüm- mer stürzt, speisete vormals die Cisternen.
Reschid ließ seine Kanonen auf Kameele packen und während der Nacht den Fluß hinauf waten; dann beschoß er, aber schräg und aus großer Ferne, das Schloß vierzig Tage lang, bis endlich der Bey "Rai", oder Freundschaft, bot, und nun mit seinem zahlreichen Anhang das Schloß seines vormaligen Genossen Sayd Bey bestürmt. Zur Be- lohnung wird er Mir-Alai eines Rediff-Regiments, welches noch nicht existirt.
Den 7. Mai. Gestern wurde ich des langen Nichts- thuns im Lager von Dschesireh müde, und ritt, nur von einem Aga begleitet, die zwei Märsche bis zum Schlosse Sayd Bey's voraus.
Als ich gegen Mittag um eine Felsecke ritt, und das weiße stattliche Schloß in solcher formidabeln Höhe über mir und so weit entfernt von allen umliegenden Höhen er- blickte, da drängte sich mir die Bemerkung auf, daß vier-
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Den 5. Abends ritt ich nach einem Kurden-Schloſſe, welches Reſchid-Paſcha erobert, um einen ungefaͤhren Begriff von dem zu bekommen, welches wir jetzt belagern werden. Stelle Dir den Durchbruch eines Bachs, etwa wie den Kocher, durch ein ſchroffes hohes Gebirg vor; die Schichtung des Geſteins iſt vollkommen lothrecht, und durch die Verwitterung einiger der Schichten ſtehen die uͤbrigen wie Rieſenmauern von ungeheuerer Hoͤhe und zwei bis drei Arſchinen Maͤchtigkeit da.
Zwiſchen zwei ſolchen natuͤrlichen Steinwaͤnden nun, die etwa 40 Schritte von einander abſtehen moͤgen, war das Schloß Vede-han-Bey's wie ein Schwalbenneſt ein- geklemmt, indem, wie ſich die hinterliegende Bergwand er- hob, eine Etage auf die andere empor ſtieg. Von oben war das Schloß gar nicht zu ſehen, von beiden Seiten durch die Felsmauer geſchuͤtzt, und gegenuͤber, jenſeit des Baches, befindet ſich auf unerſteiglichen Klippen ein Thurm geſpießt, von dem man nicht begreift, wie die Vertheidiger hinein kamen. Ein reicher Quell, der jetzt uͤber die Truͤm- mer ſtuͤrzt, ſpeiſete vormals die Ciſternen.
Reſchid ließ ſeine Kanonen auf Kameele packen und waͤhrend der Nacht den Fluß hinauf waten; dann beſchoß er, aber ſchraͤg und aus großer Ferne, das Schloß vierzig Tage lang, bis endlich der Bey „Rai“, oder Freundſchaft, bot, und nun mit ſeinem zahlreichen Anhang das Schloß ſeines vormaligen Genoſſen Sayd Bey beſtuͤrmt. Zur Be- lohnung wird er Mir-Alai eines Rediff-Regiments, welches noch nicht exiſtirt.
Den 7. Mai. Geſtern wurde ich des langen Nichts- thuns im Lager von Dſcheſireh muͤde, und ritt, nur von einem Aga begleitet, die zwei Maͤrſche bis zum Schloſſe Sayd Bey's voraus.
Als ich gegen Mittag um eine Felsecke ritt, und das weiße ſtattliche Schloß in ſolcher formidabeln Hoͤhe uͤber mir und ſo weit entfernt von allen umliegenden Hoͤhen er- blickte, da draͤngte ſich mir die Bemerkung auf, daß vier-
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Den 5. Abends ritt ich nach einem Kurden-Schloſſe,
welches Reſchid-Paſcha erobert, um einen ungefaͤhren
Begriff von dem zu bekommen, welches wir jetzt belagern
werden. Stelle Dir den Durchbruch eines Bachs, etwa
wie den Kocher, durch ein ſchroffes hohes Gebirg vor; die
Schichtung des Geſteins iſt vollkommen lothrecht, und durch
die Verwitterung einiger der Schichten ſtehen die uͤbrigen
wie Rieſenmauern von ungeheuerer Hoͤhe und zwei bis drei
Arſchinen Maͤchtigkeit da.
Zwiſchen zwei ſolchen natuͤrlichen Steinwaͤnden nun,
die etwa 40 Schritte von einander abſtehen moͤgen, war
das Schloß Vede-han-Bey's wie ein Schwalbenneſt ein-
geklemmt, indem, wie ſich die hinterliegende Bergwand er-
hob, eine Etage auf die andere empor ſtieg. Von oben
war das Schloß gar nicht zu ſehen, von beiden Seiten
durch die Felsmauer geſchuͤtzt, und gegenuͤber, jenſeit des
Baches, befindet ſich auf unerſteiglichen Klippen ein Thurm
geſpießt, von dem man nicht begreift, wie die Vertheidiger
hinein kamen. Ein reicher Quell, der jetzt uͤber die Truͤm-
mer ſtuͤrzt, ſpeiſete vormals die Ciſternen.
Reſchid ließ ſeine Kanonen auf Kameele packen und
waͤhrend der Nacht den Fluß hinauf waten; dann beſchoß
er, aber ſchraͤg und aus großer Ferne, das Schloß vierzig
Tage lang, bis endlich der Bey „Rai“, oder Freundſchaft,
bot, und nun mit ſeinem zahlreichen Anhang das Schloß
ſeines vormaligen Genoſſen Sayd Bey beſtuͤrmt. Zur Be-
lohnung wird er Mir-Alai eines Rediff-Regiments, welches
noch nicht exiſtirt.
Den 7. Mai. Geſtern wurde ich des langen Nichts-
thuns im Lager von Dſcheſireh muͤde, und ritt, nur von
einem Aga begleitet, die zwei Maͤrſche bis zum Schloſſe
Sayd Bey's voraus.
Als ich gegen Mittag um eine Felsecke ritt, und das
weiße ſtattliche Schloß in ſolcher formidabeln Hoͤhe uͤber
mir und ſo weit entfernt von allen umliegenden Hoͤhen er-
blickte, da draͤngte ſich mir die Bemerkung auf, daß vier-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/267>, abgerufen am 24.11.2024.
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