Terrainwellen zeigt; die Araber nennen sie "Bahr", das Meer, und die Caravanen steuern in schnurgerader Linie vorwärts, indem sie sich nach künstlichen Hügeln richten, welche wie große Hünengräber sich über die Fläche erheben. Diese Hügel zeigen an, daß hier früher ein Dorf stand, und folglich ein Brunnen oder eine Quelle sich befinde; aber die Hügel liegen oft sechs, zehn bis zwölf Stunden aus einander, die Dörfer sind verschwunden, die Brunnen trok- ken und die Bäche bittersalzig. Noch einige Wochen spä- ter, und diese grüne Ebene, welche jetzt ein reichlicher Thau nährt, ist nichts als eine von der Sonne versengte Einöde; das üppige Gras, welches uns jetzt bis an die Steigbügel reicht, ist dann verdorrt, und jedes Wasser ver- siegt. Dann kann man nur auf einem weiten Umwege dem Ufer des Tigris in der Nähe folgen; nur die Schiffe der Wüste, die Kameele, durchschneiden dann noch die Fläche, und auch sie nur des Nachts.
Der zweite Marsch führte uns nach Kessy-Köpry, der Ruine eines befestigten Hauses neben einer zerstörten Brücke über einen Bach, der jetzt noch sein dunkelbraunes Wasser aus einem nahen Sumpfe erhält. Jm Süden erblickt man fern in der Ebene den steilen Felsgrat Sindschar-Dagh wie eine Jnsel sich mauerartig erheben, welcher außer vier und dreißig Jeziden-Dörfern eine kürzlich von Reschid-Pascha verwüstete Stadt trägt. Diese Jeziden sind Kurden, welche überall, wo Gebirge ihnen Schutz gegen die Araber gewäh- ren, sich fleißig anbauen; ihre Stadt ist das alte Sangara, welches König Sapor belagerte.
Unsere Caravane besteht aus 600 Kameelen und etwa 400 Maulthieren. Die großen Säcke, welche die ersteren tragen, enthalten meist Palamut-Eicheln, welche zum Fär- ben nach Aleppo gebracht werden, und Baumwolle; der kostbarere Theil der Ladung, die Stoffe aus Bagdad, die Shawls aus Persien, die Perlen aus Bassora und die gu- ten Silbermünzen, welche zu Konstantinopel in schlechte Pia- ster umgeprägt werden, nehmen den geringsten Theil der
Terrainwellen zeigt; die Araber nennen ſie „Bahr“, das Meer, und die Caravanen ſteuern in ſchnurgerader Linie vorwaͤrts, indem ſie ſich nach kuͤnſtlichen Huͤgeln richten, welche wie große Huͤnengraͤber ſich uͤber die Flaͤche erheben. Dieſe Huͤgel zeigen an, daß hier fruͤher ein Dorf ſtand, und folglich ein Brunnen oder eine Quelle ſich befinde; aber die Huͤgel liegen oft ſechs, zehn bis zwoͤlf Stunden aus einander, die Doͤrfer ſind verſchwunden, die Brunnen trok- ken und die Baͤche bitterſalzig. Noch einige Wochen ſpaͤ- ter, und dieſe gruͤne Ebene, welche jetzt ein reichlicher Thau naͤhrt, iſt nichts als eine von der Sonne verſengte Einoͤde; das uͤppige Gras, welches uns jetzt bis an die Steigbuͤgel reicht, iſt dann verdorrt, und jedes Waſſer ver- ſiegt. Dann kann man nur auf einem weiten Umwege dem Ufer des Tigris in der Naͤhe folgen; nur die Schiffe der Wuͤſte, die Kameele, durchſchneiden dann noch die Flaͤche, und auch ſie nur des Nachts.
Der zweite Marſch fuͤhrte uns nach Keſſy-Koͤpry, der Ruine eines befeſtigten Hauſes neben einer zerſtoͤrten Bruͤcke uͤber einen Bach, der jetzt noch ſein dunkelbraunes Waſſer aus einem nahen Sumpfe erhaͤlt. Jm Suͤden erblickt man fern in der Ebene den ſteilen Felsgrat Sindſchar-Dagh wie eine Jnſel ſich mauerartig erheben, welcher außer vier und dreißig Jeziden-Doͤrfern eine kuͤrzlich von Reſchid-Paſcha verwuͤſtete Stadt traͤgt. Dieſe Jeziden ſind Kurden, welche uͤberall, wo Gebirge ihnen Schutz gegen die Araber gewaͤh- ren, ſich fleißig anbauen; ihre Stadt iſt das alte Sangara, welches Koͤnig Sapor belagerte.
Unſere Caravane beſteht aus 600 Kameelen und etwa 400 Maulthieren. Die großen Saͤcke, welche die erſteren tragen, enthalten meiſt Palamut-Eicheln, welche zum Faͤr- ben nach Aleppo gebracht werden, und Baumwolle; der koſtbarere Theil der Ladung, die Stoffe aus Bagdad, die Shawls aus Perſien, die Perlen aus Baſſora und die gu- ten Silbermuͤnzen, welche zu Konſtantinopel in ſchlechte Pia- ſter umgepraͤgt werden, nehmen den geringſten Theil der
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Terrainwellen zeigt; die Araber nennen ſie „Bahr“, das
Meer, und die Caravanen ſteuern in ſchnurgerader Linie
vorwaͤrts, indem ſie ſich nach kuͤnſtlichen Huͤgeln richten,
welche wie große Huͤnengraͤber ſich uͤber die Flaͤche erheben.
Dieſe Huͤgel zeigen an, daß hier fruͤher ein Dorf ſtand, und
folglich ein Brunnen oder eine Quelle ſich befinde; aber
die Huͤgel liegen oft ſechs, zehn bis zwoͤlf Stunden aus
einander, die Doͤrfer ſind verſchwunden, die Brunnen trok-
ken und die Baͤche bitterſalzig. Noch einige Wochen ſpaͤ-
ter, und dieſe gruͤne Ebene, welche jetzt ein reichlicher
Thau naͤhrt, iſt nichts als eine von der Sonne verſengte
Einoͤde; das uͤppige Gras, welches uns jetzt bis an die
Steigbuͤgel reicht, iſt dann verdorrt, und jedes Waſſer ver-
ſiegt. Dann kann man nur auf einem weiten Umwege dem
Ufer des Tigris in der Naͤhe folgen; nur die Schiffe der
Wuͤſte, die Kameele, durchſchneiden dann noch die Flaͤche,
und auch ſie nur des Nachts.
Der zweite Marſch fuͤhrte uns nach Keſſy-Koͤpry, der
Ruine eines befeſtigten Hauſes neben einer zerſtoͤrten Bruͤcke
uͤber einen Bach, der jetzt noch ſein dunkelbraunes Waſſer
aus einem nahen Sumpfe erhaͤlt. Jm Suͤden erblickt man
fern in der Ebene den ſteilen Felsgrat Sindſchar-Dagh wie
eine Jnſel ſich mauerartig erheben, welcher außer vier und
dreißig Jeziden-Doͤrfern eine kuͤrzlich von Reſchid-Paſcha
verwuͤſtete Stadt traͤgt. Dieſe Jeziden ſind Kurden, welche
uͤberall, wo Gebirge ihnen Schutz gegen die Araber gewaͤh-
ren, ſich fleißig anbauen; ihre Stadt iſt das alte Sangara,
welches Koͤnig Sapor belagerte.
Unſere Caravane beſteht aus 600 Kameelen und etwa
400 Maulthieren. Die großen Saͤcke, welche die erſteren
tragen, enthalten meiſt Palamut-Eicheln, welche zum Faͤr-
ben nach Aleppo gebracht werden, und Baumwolle; der
koſtbarere Theil der Ladung, die Stoffe aus Bagdad, die
Shawls aus Perſien, die Perlen aus Baſſora und die gu-
ten Silbermuͤnzen, welche zu Konſtantinopel in ſchlechte Pia-
ſter umgepraͤgt werden, nehmen den geringſten Theil der
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/259>, abgerufen am 24.11.2024.
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