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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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geworden; aber ich habe doch Gelegenheit gehabt, einen sehr
interessanten Landstrich kennen zu lernen.

Am 15. April setzten v. M. und ich uns mit zwei
wohlbewaffneten Aga's des Pascha's, unsern Dragomans
und Bedienten, auf ein Fahrzeug, welches so construirt war,
wie man es schon zu Cyrus Zeiten verstand, auf ein Floß
nämlich von aufgeblasenen Hammelhäuten. Die Türken
halten die Jagd für unrecht, verschmähen das Wild und
verachten Rindfleisch, dagegen verzehren sie eine große Menge
von Schaafen und Ziegen; die Häute dieser Thiere werden
so wenig wie möglich vorn an der Brust zerschnitten und
sorgfältig abgezogen, dann zusammengenäht und die Extre-
mitäten zugebunden. Wird nun der Schlauch aufgeblasen
(was schnell und ohne den Mund unmittelbar daran zu
bringen geschieht), so hat er eine große Tragfähigkeit und
kann fast nicht zu Grunde gehen; vierzig bis sechzig wer-
den dann unter ein leichtes Gerüste von Baumzweigen in
vier oder fünf Reihen so zusammengebunden, daß das Floß
vorn etwa acht, hinten achtzehn Schläuche breit ist; dar-
über wird etwas Laub, dann eine Matte und Teppiche ge-
breitet, und so fährt man ganz gemächlich den Fluß hinab.
Bei der Schnelligkeit der Strömung sind die Ruder nicht
nöthig, um vorwärts zu kommen, sondern nur um das
Fahrzeug zu lenken, es mitten in der Bahn zu erhalten und
gefährliche Wirbel zu vermeiden. Obwohl wir dieser Stel-
len wegen des Nachts bis zum Aufgang des Mondes lie-
gen bleiben mußten, so machten wir doch den 88 Stunden
weiten Weg in viertehalb Tagen. Die Schnelligkeit des
Stroms muß daher durchschnittlich fast eine Meile in der
Stunde betragen; sie ist aber an einigen Stellen weit grö-
ßer, an andern geringer.

Wir fuhren schnell unter den hohen schwarzen Mauern
des Castells oder Jtsch-Kaleh von Diarbekir fort, welche
sich auf einem jähen Felsabhang erheben, über den ein klei-
ner Bach in einer schönen Cascade hinabstürzt. Diarbe-
kir, in türkischen Urkunden Kara Amid, das schwarze Amida,

geworden; aber ich habe doch Gelegenheit gehabt, einen ſehr
intereſſanten Landſtrich kennen zu lernen.

Am 15. April ſetzten v. M. und ich uns mit zwei
wohlbewaffneten Aga's des Paſcha's, unſern Dragomans
und Bedienten, auf ein Fahrzeug, welches ſo conſtruirt war,
wie man es ſchon zu Cyrus Zeiten verſtand, auf ein Floß
naͤmlich von aufgeblaſenen Hammelhaͤuten. Die Tuͤrken
halten die Jagd fuͤr unrecht, verſchmaͤhen das Wild und
verachten Rindfleiſch, dagegen verzehren ſie eine große Menge
von Schaafen und Ziegen; die Haͤute dieſer Thiere werden
ſo wenig wie moͤglich vorn an der Bruſt zerſchnitten und
ſorgfaͤltig abgezogen, dann zuſammengenaͤht und die Extre-
mitaͤten zugebunden. Wird nun der Schlauch aufgeblaſen
(was ſchnell und ohne den Mund unmittelbar daran zu
bringen geſchieht), ſo hat er eine große Tragfaͤhigkeit und
kann faſt nicht zu Grunde gehen; vierzig bis ſechzig wer-
den dann unter ein leichtes Geruͤſte von Baumzweigen in
vier oder fuͤnf Reihen ſo zuſammengebunden, daß das Floß
vorn etwa acht, hinten achtzehn Schlaͤuche breit iſt; dar-
uͤber wird etwas Laub, dann eine Matte und Teppiche ge-
breitet, und ſo faͤhrt man ganz gemaͤchlich den Fluß hinab.
Bei der Schnelligkeit der Stroͤmung ſind die Ruder nicht
noͤthig, um vorwaͤrts zu kommen, ſondern nur um das
Fahrzeug zu lenken, es mitten in der Bahn zu erhalten und
gefaͤhrliche Wirbel zu vermeiden. Obwohl wir dieſer Stel-
len wegen des Nachts bis zum Aufgang des Mondes lie-
gen bleiben mußten, ſo machten wir doch den 88 Stunden
weiten Weg in viertehalb Tagen. Die Schnelligkeit des
Stroms muß daher durchſchnittlich faſt eine Meile in der
Stunde betragen; ſie iſt aber an einigen Stellen weit groͤ-
ßer, an andern geringer.

Wir fuhren ſchnell unter den hohen ſchwarzen Mauern
des Caſtells oder Jtſch-Kaleh von Diarbekir fort, welche
ſich auf einem jaͤhen Felsabhang erheben, uͤber den ein klei-
ner Bach in einer ſchoͤnen Cascade hinabſtuͤrzt. Diarbe-
kir, in tuͤrkiſchen Urkunden Kara Amid, das ſchwarze Amida,

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[234/0244] geworden; aber ich habe doch Gelegenheit gehabt, einen ſehr intereſſanten Landſtrich kennen zu lernen. Am 15. April ſetzten v. M. und ich uns mit zwei wohlbewaffneten Aga's des Paſcha's, unſern Dragomans und Bedienten, auf ein Fahrzeug, welches ſo conſtruirt war, wie man es ſchon zu Cyrus Zeiten verſtand, auf ein Floß naͤmlich von aufgeblaſenen Hammelhaͤuten. Die Tuͤrken halten die Jagd fuͤr unrecht, verſchmaͤhen das Wild und verachten Rindfleiſch, dagegen verzehren ſie eine große Menge von Schaafen und Ziegen; die Haͤute dieſer Thiere werden ſo wenig wie moͤglich vorn an der Bruſt zerſchnitten und ſorgfaͤltig abgezogen, dann zuſammengenaͤht und die Extre- mitaͤten zugebunden. Wird nun der Schlauch aufgeblaſen (was ſchnell und ohne den Mund unmittelbar daran zu bringen geſchieht), ſo hat er eine große Tragfaͤhigkeit und kann faſt nicht zu Grunde gehen; vierzig bis ſechzig wer- den dann unter ein leichtes Geruͤſte von Baumzweigen in vier oder fuͤnf Reihen ſo zuſammengebunden, daß das Floß vorn etwa acht, hinten achtzehn Schlaͤuche breit iſt; dar- uͤber wird etwas Laub, dann eine Matte und Teppiche ge- breitet, und ſo faͤhrt man ganz gemaͤchlich den Fluß hinab. Bei der Schnelligkeit der Stroͤmung ſind die Ruder nicht noͤthig, um vorwaͤrts zu kommen, ſondern nur um das Fahrzeug zu lenken, es mitten in der Bahn zu erhalten und gefaͤhrliche Wirbel zu vermeiden. Obwohl wir dieſer Stel- len wegen des Nachts bis zum Aufgang des Mondes lie- gen bleiben mußten, ſo machten wir doch den 88 Stunden weiten Weg in viertehalb Tagen. Die Schnelligkeit des Stroms muß daher durchſchnittlich faſt eine Meile in der Stunde betragen; ſie iſt aber an einigen Stellen weit groͤ- ßer, an andern geringer. Wir fuhren ſchnell unter den hohen ſchwarzen Mauern des Caſtells oder Jtſch-Kaleh von Diarbekir fort, welche ſich auf einem jaͤhen Felsabhang erheben, uͤber den ein klei- ner Bach in einer ſchoͤnen Cascade hinabſtuͤrzt. Diarbe- kir, in tuͤrkiſchen Urkunden Kara Amid, das ſchwarze Amida,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/244>, abgerufen am 25.11.2024.