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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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und halbseidene Gewebe, Früchte, Stiefel und Pantoffeln
waren die einzigen Gegenstände, welche dieser Markt bot.
Endlich erreichten wir das Hann oder den türkischen Gast-
hof. Dieser gewährt den Reisenden ein Obdach, aber auch
durchaus weiter nichts. Jrgend ein reicher Pascha erbaut
ein solches Hotel als eine Art fromme Stiftung, aber Nie-
mand denkt daran, es zu möbliren, oder nur in baulichem
Stande zu erhalten. Jedes Hann hat seine Fontaine, die
reicheren zugleich eine Moschee und ein Bad, aber der Rei-
sende muß sein Lager wie seine Mahlzeit selbst mitbringen.
Mir fiel es besonders auf, daß in einer Stadt, die einen
so rauhen Winter hat, wie hier an den Ufern der Donau,
nicht einmal Fensterscheiben zu finden waren. Die Fenster
waren entweder ganz offen, oder höchstens mit Papier
verklebt.

Wir hatten aus Bukarest eine Empfehlung an einen
griechischen Kaufmann, der sich in dem Hann förmlich ein-
gerichtet hatte, und seine Strohmatte, seine Kissen und seine
Mahlzeit mit uns theilte. Er schloß auch den Handel mit
einem Tartaren ab, welcher es für nicht ganz 100 Thaler
übernahm, uns mit unserm Gepäck nach Konstantinopel zu
schaffen, wobei er zugleich für die Zehrung zu sorgen hatte.
Es ist mir noch ein Räthsel, wie es uns gelang, uns über
alle diese Dinge zu verständigen, denn unser griechischer
Wirth wußte gerade so viel Deutsch oder Französisch, wie
wir Türkisch oder Griechisch.

Mit Tagesanbruch trabten wir über das holperige
Steinpflaster zum Thor hinaus. Unsere kleine Caravane
bestand aus fünf Reitern und sieben Pferden. Vorauf ritt
mit einem Handpferd der Wegweiser, ein Araber, dessen
schwarzes Gesicht in der weißen Winterlandschaft etwas
deplacirt aussah. Der Sohn der Sandwüste versank oft
bis zu den Bügeln im Schnee. Jhm folgte der Surudschi
mit dem Packpferde an der Hand, und dann wir mit dem
Tartaren. Alle waren bewaffnet, und führten in der Rech-
ten den Kamtschik, eine lange Peitsche mit kurzem Stiel.

und halbſeidene Gewebe, Fruͤchte, Stiefel und Pantoffeln
waren die einzigen Gegenſtaͤnde, welche dieſer Markt bot.
Endlich erreichten wir das Hann oder den tuͤrkiſchen Gaſt-
hof. Dieſer gewaͤhrt den Reiſenden ein Obdach, aber auch
durchaus weiter nichts. Jrgend ein reicher Paſcha erbaut
ein ſolches Hotel als eine Art fromme Stiftung, aber Nie-
mand denkt daran, es zu moͤbliren, oder nur in baulichem
Stande zu erhalten. Jedes Hann hat ſeine Fontaine, die
reicheren zugleich eine Moſchee und ein Bad, aber der Rei-
ſende muß ſein Lager wie ſeine Mahlzeit ſelbſt mitbringen.
Mir fiel es beſonders auf, daß in einer Stadt, die einen
ſo rauhen Winter hat, wie hier an den Ufern der Donau,
nicht einmal Fenſterſcheiben zu finden waren. Die Fenſter
waren entweder ganz offen, oder hoͤchſtens mit Papier
verklebt.

Wir hatten aus Bukareſt eine Empfehlung an einen
griechiſchen Kaufmann, der ſich in dem Hann foͤrmlich ein-
gerichtet hatte, und ſeine Strohmatte, ſeine Kiſſen und ſeine
Mahlzeit mit uns theilte. Er ſchloß auch den Handel mit
einem Tartaren ab, welcher es fuͤr nicht ganz 100 Thaler
uͤbernahm, uns mit unſerm Gepaͤck nach Konſtantinopel zu
ſchaffen, wobei er zugleich fuͤr die Zehrung zu ſorgen hatte.
Es iſt mir noch ein Raͤthſel, wie es uns gelang, uns uͤber
alle dieſe Dinge zu verſtaͤndigen, denn unſer griechiſcher
Wirth wußte gerade ſo viel Deutſch oder Franzoͤſiſch, wie
wir Tuͤrkiſch oder Griechiſch.

Mit Tagesanbruch trabten wir uͤber das holperige
Steinpflaſter zum Thor hinaus. Unſere kleine Caravane
beſtand aus fuͤnf Reitern und ſieben Pferden. Vorauf ritt
mit einem Handpferd der Wegweiſer, ein Araber, deſſen
ſchwarzes Geſicht in der weißen Winterlandſchaft etwas
deplacirt ausſah. Der Sohn der Sandwuͤſte verſank oft
bis zu den Buͤgeln im Schnee. Jhm folgte der Surudſchi
mit dem Packpferde an der Hand, und dann wir mit dem
Tartaren. Alle waren bewaffnet, und fuͤhrten in der Rech-
ten den Kamtſchik, eine lange Peitſche mit kurzem Stiel.

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[12/0022] und halbſeidene Gewebe, Fruͤchte, Stiefel und Pantoffeln waren die einzigen Gegenſtaͤnde, welche dieſer Markt bot. Endlich erreichten wir das Hann oder den tuͤrkiſchen Gaſt- hof. Dieſer gewaͤhrt den Reiſenden ein Obdach, aber auch durchaus weiter nichts. Jrgend ein reicher Paſcha erbaut ein ſolches Hotel als eine Art fromme Stiftung, aber Nie- mand denkt daran, es zu moͤbliren, oder nur in baulichem Stande zu erhalten. Jedes Hann hat ſeine Fontaine, die reicheren zugleich eine Moſchee und ein Bad, aber der Rei- ſende muß ſein Lager wie ſeine Mahlzeit ſelbſt mitbringen. Mir fiel es beſonders auf, daß in einer Stadt, die einen ſo rauhen Winter hat, wie hier an den Ufern der Donau, nicht einmal Fenſterſcheiben zu finden waren. Die Fenſter waren entweder ganz offen, oder hoͤchſtens mit Papier verklebt. Wir hatten aus Bukareſt eine Empfehlung an einen griechiſchen Kaufmann, der ſich in dem Hann foͤrmlich ein- gerichtet hatte, und ſeine Strohmatte, ſeine Kiſſen und ſeine Mahlzeit mit uns theilte. Er ſchloß auch den Handel mit einem Tartaren ab, welcher es fuͤr nicht ganz 100 Thaler uͤbernahm, uns mit unſerm Gepaͤck nach Konſtantinopel zu ſchaffen, wobei er zugleich fuͤr die Zehrung zu ſorgen hatte. Es iſt mir noch ein Raͤthſel, wie es uns gelang, uns uͤber alle dieſe Dinge zu verſtaͤndigen, denn unſer griechiſcher Wirth wußte gerade ſo viel Deutſch oder Franzoͤſiſch, wie wir Tuͤrkiſch oder Griechiſch. Mit Tagesanbruch trabten wir uͤber das holperige Steinpflaſter zum Thor hinaus. Unſere kleine Caravane beſtand aus fuͤnf Reitern und ſieben Pferden. Vorauf ritt mit einem Handpferd der Wegweiſer, ein Araber, deſſen ſchwarzes Geſicht in der weißen Winterlandſchaft etwas deplacirt ausſah. Der Sohn der Sandwuͤſte verſank oft bis zu den Buͤgeln im Schnee. Jhm folgte der Surudſchi mit dem Packpferde an der Hand, und dann wir mit dem Tartaren. Alle waren bewaffnet, und fuͤhrten in der Rech- ten den Kamtſchik, eine lange Peitſche mit kurzem Stiel.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/22>, abgerufen am 26.04.2024.