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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Es ist möglich, daß die Nischen nach Außen ganz geschlos-
sen und durch ein Peristyl verkleidet gewesen sind; dieses
ist jetzt weggerissen und herabgestürzt; auch die Sarkophage
sind nicht mehr vorhanden, nur die Gruft selbst steht, al-
len Jahrtausenden trotzend, da. Jndessen ist der Anblick
nicht schön, man kann von unten die Größe der Dimensio-
nen gar nicht schätzen und staunt die Arbeit an, ohne zu
wissen, was man daraus machen soll.

Der Anblick von der Citadelle herab ist prachtvoll; es
war eben Beiram, der größte Feiertag der Türken. Ueber-
all war Leben, und sämmtliche Frauen, in ihren grellen
bunten Gewändern, kamen aus den Bädern. Von der Ci-
tadelle wurde mit Böllern geschossen, die in den Thälern
prächtig wiederhallten, auch wir feuerten unsere Pistolen
ab, um nach Kräften zu dieser Feierlichkeit beizutragen.

Die jetzige Citadelle ist von den Genuesern erbaut und
fast schon verfallen; junges Machwerk aus alten Materia-
lien. Aber auf der höchsten Kuppe finden sich Mauer-
werke vom höchsten Alterthum. Es sind nur Fundamente,
die aber 20 bis 30 Fuß hoch sind; die Steine sind ohne
Mörtel auf einander gelegt und so scharf geschnitten, als
wenn sie geschliffen wären. Wie Schade, daß Strabo von
diesen Bauten in seiner Vaterstadt kein Wort berichtet.

Wir rollten einen ungeheueren Stein den Fels herun-
ter, donnernd stürzte er durch die Schlucht, sprang von
Block zu Block und taumelte gerade auf die Stadt zu.
Mit Schrecken sahen wir, was wir angerichtet, da unser
Rollgeschoß wie eine 150-pfündige Bombe durch alle Dä-
cher schlagen mußte; zum Glück platzte der Stein in meh-
rere Stücke und fuhr in ein altes zerstörtes Bad.

Wegen des Beirams konnten wir erst nach dem Mor-
gengebet um 10 Uhr reiten; wir benutzten die Zeit, um
die Felsengräber noch einmal zu besehen, entdeckten noch
mehrere kleine Kammern und allerlei in den Felsen geschnit-
tene schmale Gänge, welche einst auf Verschanzungen führ-

Es iſt moͤglich, daß die Niſchen nach Außen ganz geſchloſ-
ſen und durch ein Periſtyl verkleidet geweſen ſind; dieſes
iſt jetzt weggeriſſen und herabgeſtuͤrzt; auch die Sarkophage
ſind nicht mehr vorhanden, nur die Gruft ſelbſt ſteht, al-
len Jahrtauſenden trotzend, da. Jndeſſen iſt der Anblick
nicht ſchoͤn, man kann von unten die Groͤße der Dimenſio-
nen gar nicht ſchaͤtzen und ſtaunt die Arbeit an, ohne zu
wiſſen, was man daraus machen ſoll.

Der Anblick von der Citadelle herab iſt prachtvoll; es
war eben Beiram, der groͤßte Feiertag der Tuͤrken. Ueber-
all war Leben, und ſaͤmmtliche Frauen, in ihren grellen
bunten Gewaͤndern, kamen aus den Baͤdern. Von der Ci-
tadelle wurde mit Boͤllern geſchoſſen, die in den Thaͤlern
praͤchtig wiederhallten, auch wir feuerten unſere Piſtolen
ab, um nach Kraͤften zu dieſer Feierlichkeit beizutragen.

Die jetzige Citadelle iſt von den Genueſern erbaut und
faſt ſchon verfallen; junges Machwerk aus alten Materia-
lien. Aber auf der hoͤchſten Kuppe finden ſich Mauer-
werke vom hoͤchſten Alterthum. Es ſind nur Fundamente,
die aber 20 bis 30 Fuß hoch ſind; die Steine ſind ohne
Moͤrtel auf einander gelegt und ſo ſcharf geſchnitten, als
wenn ſie geſchliffen waͤren. Wie Schade, daß Strabo von
dieſen Bauten in ſeiner Vaterſtadt kein Wort berichtet.

Wir rollten einen ungeheueren Stein den Fels herun-
ter, donnernd ſtuͤrzte er durch die Schlucht, ſprang von
Block zu Block und taumelte gerade auf die Stadt zu.
Mit Schrecken ſahen wir, was wir angerichtet, da unſer
Rollgeſchoß wie eine 150-pfuͤndige Bombe durch alle Daͤ-
cher ſchlagen mußte; zum Gluͤck platzte der Stein in meh-
rere Stuͤcke und fuhr in ein altes zerſtoͤrtes Bad.

Wegen des Beirams konnten wir erſt nach dem Mor-
gengebet um 10 Uhr reiten; wir benutzten die Zeit, um
die Felſengraͤber noch einmal zu beſehen, entdeckten noch
mehrere kleine Kammern und allerlei in den Felſen geſchnit-
tene ſchmale Gaͤnge, welche einſt auf Verſchanzungen fuͤhr-

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[205/0215] Es iſt moͤglich, daß die Niſchen nach Außen ganz geſchloſ- ſen und durch ein Periſtyl verkleidet geweſen ſind; dieſes iſt jetzt weggeriſſen und herabgeſtuͤrzt; auch die Sarkophage ſind nicht mehr vorhanden, nur die Gruft ſelbſt ſteht, al- len Jahrtauſenden trotzend, da. Jndeſſen iſt der Anblick nicht ſchoͤn, man kann von unten die Groͤße der Dimenſio- nen gar nicht ſchaͤtzen und ſtaunt die Arbeit an, ohne zu wiſſen, was man daraus machen ſoll. Der Anblick von der Citadelle herab iſt prachtvoll; es war eben Beiram, der groͤßte Feiertag der Tuͤrken. Ueber- all war Leben, und ſaͤmmtliche Frauen, in ihren grellen bunten Gewaͤndern, kamen aus den Baͤdern. Von der Ci- tadelle wurde mit Boͤllern geſchoſſen, die in den Thaͤlern praͤchtig wiederhallten, auch wir feuerten unſere Piſtolen ab, um nach Kraͤften zu dieſer Feierlichkeit beizutragen. Die jetzige Citadelle iſt von den Genueſern erbaut und faſt ſchon verfallen; junges Machwerk aus alten Materia- lien. Aber auf der hoͤchſten Kuppe finden ſich Mauer- werke vom hoͤchſten Alterthum. Es ſind nur Fundamente, die aber 20 bis 30 Fuß hoch ſind; die Steine ſind ohne Moͤrtel auf einander gelegt und ſo ſcharf geſchnitten, als wenn ſie geſchliffen waͤren. Wie Schade, daß Strabo von dieſen Bauten in ſeiner Vaterſtadt kein Wort berichtet. Wir rollten einen ungeheueren Stein den Fels herun- ter, donnernd ſtuͤrzte er durch die Schlucht, ſprang von Block zu Block und taumelte gerade auf die Stadt zu. Mit Schrecken ſahen wir, was wir angerichtet, da unſer Rollgeſchoß wie eine 150-pfuͤndige Bombe durch alle Daͤ- cher ſchlagen mußte; zum Gluͤck platzte der Stein in meh- rere Stuͤcke und fuhr in ein altes zerſtoͤrtes Bad. Wegen des Beirams konnten wir erſt nach dem Mor- gengebet um 10 Uhr reiten; wir benutzten die Zeit, um die Felſengraͤber noch einmal zu beſehen, entdeckten noch mehrere kleine Kammern und allerlei in den Felſen geſchnit- tene ſchmale Gaͤnge, welche einſt auf Verſchanzungen fuͤhr-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/215>, abgerufen am 03.05.2024.