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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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seiner Seele offenbarte sich in den Bewegungen seines Kör-
pers, welcher die Handlungen der Streitenden nachzuahmen
schien; als wäre er Herr der Natur, spornte er sein Roß
in die Flut, sein Ruf und sein Grimm trieb die osmani-
schen Schiffe zu neuen Angriffen vor, die immer verderb-
licher und blutiger endeten, bis die Fahrzeuge in Unord-
nung nach den europäischen und asiatischen Gestaden flohen.
Siegreich liefen die Galeeren mit Korn, Wein und Oel,
mit Soldaten und Matrosen durch die Hafenkette ein. --
Schon damals sah man, daß wenn Allah den Moslem die
Herrschaft über die Erde verliehen, die Ungläubigen im Be-
sitze des Meeres geblieben. Balta-Oglu, der Capudan-
Pascha, empfing in Gegenwart seines Gebieters hundert
Streiche mit einem goldenen Stabe, dessen Schwere die
Berichterstatter mit sehr unnöthiger Uebertreibung auf 500
librae angeben.

Mohammed empfand die Schwierigkeit eines Angriffs
auf der Landfront, der Hafen war durch die Kette ver-
sperrt, und schon forderten mehrere Stimmen die Aufhe-
bung der Belagerung, als man eben zu gelegener Zeit den
Säbel Ejubs (Hiobs), des Ansaren (oder Begleiters des
Propheten), auffand, der vor 800 Jahren, während des
Angriffs der Araber, als Märtyrer (Schehit) unter den
Mauern von Byzanz gefallen war. Die Stelle wird noch
heute durch die Moschee von Ejub bezeichnet, die heiligste,
noch nie von einem Franken betretene Moschee, in welcher
die Sultane bei ihrem Regierungsantritte mit dem Säbel
umgürtet werden, eine Ceremonie, welche die Bedeutung
der Krönung bei christlichen Königen hat.

Der Fund dieser Reliquie begeisterte die Moslem, wie
die Entdeckung der heiligen Lanze den Muth der Kreuz-
fahrer vor Antiochien aufgerichtet hatte. Mohammed faßte
den Entschluß, seine Flotte über Land in die Spitze des
goldenen Horns zu versetzen. Gewöhnlich nimmt man an,
daß dies in der Gegend von Beschiktasch geschehen sei;
bei genauer Besichtigung der Oertlichkeit scheint es aber

ſeiner Seele offenbarte ſich in den Bewegungen ſeines Koͤr-
pers, welcher die Handlungen der Streitenden nachzuahmen
ſchien; als waͤre er Herr der Natur, ſpornte er ſein Roß
in die Flut, ſein Ruf und ſein Grimm trieb die osmani-
ſchen Schiffe zu neuen Angriffen vor, die immer verderb-
licher und blutiger endeten, bis die Fahrzeuge in Unord-
nung nach den europaͤiſchen und aſiatiſchen Geſtaden flohen.
Siegreich liefen die Galeeren mit Korn, Wein und Oel,
mit Soldaten und Matroſen durch die Hafenkette ein. —
Schon damals ſah man, daß wenn Allah den Moslem die
Herrſchaft uͤber die Erde verliehen, die Unglaͤubigen im Be-
ſitze des Meeres geblieben. Balta-Oglu, der Capudan-
Paſcha, empfing in Gegenwart ſeines Gebieters hundert
Streiche mit einem goldenen Stabe, deſſen Schwere die
Berichterſtatter mit ſehr unnoͤthiger Uebertreibung auf 500
librae angeben.

Mohammed empfand die Schwierigkeit eines Angriffs
auf der Landfront, der Hafen war durch die Kette ver-
ſperrt, und ſchon forderten mehrere Stimmen die Aufhe-
bung der Belagerung, als man eben zu gelegener Zeit den
Saͤbel Ejubs (Hiobs), des Anſaren (oder Begleiters des
Propheten), auffand, der vor 800 Jahren, waͤhrend des
Angriffs der Araber, als Maͤrtyrer (Schehit) unter den
Mauern von Byzanz gefallen war. Die Stelle wird noch
heute durch die Moſchee von Ejub bezeichnet, die heiligſte,
noch nie von einem Franken betretene Moſchee, in welcher
die Sultane bei ihrem Regierungsantritte mit dem Saͤbel
umguͤrtet werden, eine Ceremonie, welche die Bedeutung
der Kroͤnung bei chriſtlichen Koͤnigen hat.

Der Fund dieſer Reliquie begeiſterte die Moslem, wie
die Entdeckung der heiligen Lanze den Muth der Kreuz-
fahrer vor Antiochien aufgerichtet hatte. Mohammed faßte
den Entſchluß, ſeine Flotte uͤber Land in die Spitze des
goldenen Horns zu verſetzen. Gewoͤhnlich nimmt man an,
daß dies in der Gegend von Beſchiktaſch geſchehen ſei;
bei genauer Beſichtigung der Oertlichkeit ſcheint es aber

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[192/0202] ſeiner Seele offenbarte ſich in den Bewegungen ſeines Koͤr- pers, welcher die Handlungen der Streitenden nachzuahmen ſchien; als waͤre er Herr der Natur, ſpornte er ſein Roß in die Flut, ſein Ruf und ſein Grimm trieb die osmani- ſchen Schiffe zu neuen Angriffen vor, die immer verderb- licher und blutiger endeten, bis die Fahrzeuge in Unord- nung nach den europaͤiſchen und aſiatiſchen Geſtaden flohen. Siegreich liefen die Galeeren mit Korn, Wein und Oel, mit Soldaten und Matroſen durch die Hafenkette ein. — Schon damals ſah man, daß wenn Allah den Moslem die Herrſchaft uͤber die Erde verliehen, die Unglaͤubigen im Be- ſitze des Meeres geblieben. Balta-Oglu, der Capudan- Paſcha, empfing in Gegenwart ſeines Gebieters hundert Streiche mit einem goldenen Stabe, deſſen Schwere die Berichterſtatter mit ſehr unnoͤthiger Uebertreibung auf 500 librae angeben. Mohammed empfand die Schwierigkeit eines Angriffs auf der Landfront, der Hafen war durch die Kette ver- ſperrt, und ſchon forderten mehrere Stimmen die Aufhe- bung der Belagerung, als man eben zu gelegener Zeit den Saͤbel Ejubs (Hiobs), des Anſaren (oder Begleiters des Propheten), auffand, der vor 800 Jahren, waͤhrend des Angriffs der Araber, als Maͤrtyrer (Schehit) unter den Mauern von Byzanz gefallen war. Die Stelle wird noch heute durch die Moſchee von Ejub bezeichnet, die heiligſte, noch nie von einem Franken betretene Moſchee, in welcher die Sultane bei ihrem Regierungsantritte mit dem Saͤbel umguͤrtet werden, eine Ceremonie, welche die Bedeutung der Kroͤnung bei chriſtlichen Koͤnigen hat. Der Fund dieſer Reliquie begeiſterte die Moslem, wie die Entdeckung der heiligen Lanze den Muth der Kreuz- fahrer vor Antiochien aufgerichtet hatte. Mohammed faßte den Entſchluß, ſeine Flotte uͤber Land in die Spitze des goldenen Horns zu verſetzen. Gewoͤhnlich nimmt man an, daß dies in der Gegend von Beſchiktaſch geſchehen ſei; bei genauer Beſichtigung der Oertlichkeit ſcheint es aber

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/202>, abgerufen am 03.05.2024.