aber nicht lange aus, einer wurde nach dem andern krank und den meinigen mußte ich schon von Varna aus zu Schiffe zurück schicken; einer meiner Cameraden bekam das Fieber und hatte die ganze Reise krank mitmachen müssen; am besten waren unsere Türken daran, die lachten über alle unsere Vorsicht, legten sich auf die weichen Kissen zur Ruhe und blieben eben auch gesund.
Das Land hat fürchterlich gelitten; gewiß ein Drittel der Häuser stand leer. So wie die Türken das Dasein der Pest ganz leugnen, so halten die Bulgaren sie für eine Person; in Fakih sah ich eine Frau so elenden Aussehens, daß ich ihr ein Almosen gab, oder vielmehr aus Vorsicht zuwarf. Wir fragten sie, was ihr gefehlt, und da sie den türkischen Namen der Pest nicht kannte, so sagte sie: "die Frau, die des Nachts herumgeht und die Leute bezeichnet, hat meinen Mann und meine Kinder genommen, ich allein bin übrig." Sie sah aus, als ob sie nicht lange allein übrig bleiben würde. An vielen Orten, namentlich in Bul- garien, hatten alle Einwohner die Flucht in die Berge ge- nommen. Das schöne Tirnowa, welches ich dies Frühjahr so heiter gefunden, gewährte den finstersten Anblick; Ka- sanlik war fast verödet; in einigen Dörfern sah man kaum einen Menschen. Nördlich des Balkans war es besser, die Krankheit war fast erloschen, hier aber hatte der Krieg fast eben so schreckliche Spuren hinterlassen, wie die Pest; daß zwei Geißeln, wie Pest und Krieg, ein Land grausam ver- heeren, ist begreiflich, daß aber nach acht Friedensjahren solche Spuren übrig sind, klagt die Verwaltung des Lan- des laut an. Man glaubt, die Russen seien gestern erst abgezogen; die Städte sind buchstäblich Steinhaufen, nur in einzelnen Hütten, aus den Trümmern zusammengebaut, hausen die Einwohner, und an den überall gründlich ge- schleiften Werken liegt noch ein Minentrichter neben dem andern, als ob sie eben gesprengt. Die Hafenstadt Kü- stendschi enthält vierzig Einwohner; in Mißivri waren zwei Drittel der Einwohner mit den Russen gezogen und der
aber nicht lange aus, einer wurde nach dem andern krank und den meinigen mußte ich ſchon von Varna aus zu Schiffe zuruͤck ſchicken; einer meiner Cameraden bekam das Fieber und hatte die ganze Reiſe krank mitmachen muͤſſen; am beſten waren unſere Tuͤrken daran, die lachten uͤber alle unſere Vorſicht, legten ſich auf die weichen Kiſſen zur Ruhe und blieben eben auch geſund.
Das Land hat fuͤrchterlich gelitten; gewiß ein Drittel der Haͤuſer ſtand leer. So wie die Tuͤrken das Daſein der Peſt ganz leugnen, ſo halten die Bulgaren ſie fuͤr eine Perſon; in Fakih ſah ich eine Frau ſo elenden Ausſehens, daß ich ihr ein Almoſen gab, oder vielmehr aus Vorſicht zuwarf. Wir fragten ſie, was ihr gefehlt, und da ſie den tuͤrkiſchen Namen der Peſt nicht kannte, ſo ſagte ſie: „die Frau, die des Nachts herumgeht und die Leute bezeichnet, hat meinen Mann und meine Kinder genommen, ich allein bin uͤbrig.“ Sie ſah aus, als ob ſie nicht lange allein uͤbrig bleiben wuͤrde. An vielen Orten, namentlich in Bul- garien, hatten alle Einwohner die Flucht in die Berge ge- nommen. Das ſchoͤne Tirnowa, welches ich dies Fruͤhjahr ſo heiter gefunden, gewaͤhrte den finſterſten Anblick; Ka- ſanlik war faſt veroͤdet; in einigen Doͤrfern ſah man kaum einen Menſchen. Noͤrdlich des Balkans war es beſſer, die Krankheit war faſt erloſchen, hier aber hatte der Krieg faſt eben ſo ſchreckliche Spuren hinterlaſſen, wie die Peſt; daß zwei Geißeln, wie Peſt und Krieg, ein Land grauſam ver- heeren, iſt begreiflich, daß aber nach acht Friedensjahren ſolche Spuren uͤbrig ſind, klagt die Verwaltung des Lan- des laut an. Man glaubt, die Ruſſen ſeien geſtern erſt abgezogen; die Staͤdte ſind buchſtaͤblich Steinhaufen, nur in einzelnen Huͤtten, aus den Truͤmmern zuſammengebaut, hauſen die Einwohner, und an den uͤberall gruͤndlich ge- ſchleiften Werken liegt noch ein Minentrichter neben dem andern, als ob ſie eben geſprengt. Die Hafenſtadt Kuͤ- ſtendſchi enthaͤlt vierzig Einwohner; in Mißivri waren zwei Drittel der Einwohner mit den Ruſſen gezogen und der
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aber nicht lange aus, einer wurde nach dem andern krank
und den meinigen mußte ich ſchon von Varna aus zu
Schiffe zuruͤck ſchicken; einer meiner Cameraden bekam das
Fieber und hatte die ganze Reiſe krank mitmachen muͤſſen;
am beſten waren unſere Tuͤrken daran, die lachten uͤber
alle unſere Vorſicht, legten ſich auf die weichen Kiſſen zur
Ruhe und blieben eben auch geſund.
Das Land hat fuͤrchterlich gelitten; gewiß ein Drittel
der Haͤuſer ſtand leer. So wie die Tuͤrken das Daſein
der Peſt ganz leugnen, ſo halten die Bulgaren ſie fuͤr eine
Perſon; in Fakih ſah ich eine Frau ſo elenden Ausſehens,
daß ich ihr ein Almoſen gab, oder vielmehr aus Vorſicht
zuwarf. Wir fragten ſie, was ihr gefehlt, und da ſie den
tuͤrkiſchen Namen der Peſt nicht kannte, ſo ſagte ſie: „die
Frau, die des Nachts herumgeht und die Leute bezeichnet,
hat meinen Mann und meine Kinder genommen, ich allein
bin uͤbrig.“ Sie ſah aus, als ob ſie nicht lange allein
uͤbrig bleiben wuͤrde. An vielen Orten, namentlich in Bul-
garien, hatten alle Einwohner die Flucht in die Berge ge-
nommen. Das ſchoͤne Tirnowa, welches ich dies Fruͤhjahr
ſo heiter gefunden, gewaͤhrte den finſterſten Anblick; Ka-
ſanlik war faſt veroͤdet; in einigen Doͤrfern ſah man kaum
einen Menſchen. Noͤrdlich des Balkans war es beſſer, die
Krankheit war faſt erloſchen, hier aber hatte der Krieg faſt
eben ſo ſchreckliche Spuren hinterlaſſen, wie die Peſt; daß
zwei Geißeln, wie Peſt und Krieg, ein Land grauſam ver-
heeren, iſt begreiflich, daß aber nach acht Friedensjahren
ſolche Spuren uͤbrig ſind, klagt die Verwaltung des Lan-
des laut an. Man glaubt, die Ruſſen ſeien geſtern erſt
abgezogen; die Staͤdte ſind buchſtaͤblich Steinhaufen, nur
in einzelnen Huͤtten, aus den Truͤmmern zuſammengebaut,
hauſen die Einwohner, und an den uͤberall gruͤndlich ge-
ſchleiften Werken liegt noch ein Minentrichter neben dem
andern, als ob ſie eben geſprengt. Die Hafenſtadt Kuͤ-
ſtendſchi enthaͤlt vierzig Einwohner; in Mißivri waren zwei
Drittel der Einwohner mit den Ruſſen gezogen und der
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/169>, abgerufen am 26.11.2024.
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