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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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zu Beglerbey sehr gnädig empfing; bald darauf erhielten
wir Befehl zu einer Reise nach der Donau. Bei uns würde
man sich auf die Schnellpost setzen und wäre in zwei bis
drei Tagen da; hier macht das etwas mehr Umstände;
unsere Cortege bildet eine kleine Caravane von einigen vier-
zig Pferden, und als wir über die Brücke von Konstanti-
nopel ritten, sah der Zug ganz stattlich aus: voraus eilte
ein Tartar in seinem rothen Anzuge mit Pistolen und Hand-
schar, der die Quartiere macht und die Pferde auf den
nächsten Posten zusammen treibt; zwei andere Tataren schlie-
ßen den Zug, um Alles in Obacht zu nehmen und die Nach-
zügler vorwärts zu treiben. Die militairische Bedeckung
bilden drei Kawasse oder Gensd'armen; außer ihnen folgen
zwei armenische Dolmetscher, zwei griechische Bedienten, ein
Koch, drei türkische Offiziere, vierzehn Packpferde, vier oder
fünf Surudschi oder Pferdejungen und ein paar Reserve-
Pferde.

Auf der großen Straße nach Adrianopel bewegte sich
dieser Train schnell genug vorwärts; bald aber fingen die
Bedienten an zu klagen; der eine hatte Kopfschmerzen, der
andere Fieber, und alle hatten sich durchgeritten. Von
Tschatall-Burgas bogen wir aus nach Kirkliße. Die Berge
wurden immer höher, die Wege schlechter, und der Regen
strömte reichlich herab. Die Quartiere in den Dörfern
waren unbeschreiblich elend; am vierten Tag kamen wir
nach Umur-Faki, welches auf der Karte mit großen Let-
tern geschrieben, aber in der That nur ein ganz elendes
Dorf ist. Zwei Drittel der Häuser standen leer, weil die
Bewohner an der Pest gestorben oder vor ihr geflohen wa-
ren. Als wir in die Wohnung des Tschorbadschi einzogen,
mußte die Familie zum Hause hinaus getrieben werden;
wir zündeten ein mächtiges Feuer an und breiteten unsere
Decken von Ziegenhaar aus; einer eben vorübergehenden
Gans wurde ohne weitere Umstände der Hals abgeschnit-
ten, und kaum gerupft, spazierte sie in den Kessel, wo sie
sich mit einigen Hühnern und einer reichlichen Portion Ger-

zu Beglerbey ſehr gnaͤdig empfing; bald darauf erhielten
wir Befehl zu einer Reiſe nach der Donau. Bei uns wuͤrde
man ſich auf die Schnellpoſt ſetzen und waͤre in zwei bis
drei Tagen da; hier macht das etwas mehr Umſtaͤnde;
unſere Cortege bildet eine kleine Caravane von einigen vier-
zig Pferden, und als wir uͤber die Bruͤcke von Konſtanti-
nopel ritten, ſah der Zug ganz ſtattlich aus: voraus eilte
ein Tartar in ſeinem rothen Anzuge mit Piſtolen und Hand-
ſchar, der die Quartiere macht und die Pferde auf den
naͤchſten Poſten zuſammen treibt; zwei andere Tataren ſchlie-
ßen den Zug, um Alles in Obacht zu nehmen und die Nach-
zuͤgler vorwaͤrts zu treiben. Die militairiſche Bedeckung
bilden drei Kawaſſe oder Gensd'armen; außer ihnen folgen
zwei armeniſche Dolmetſcher, zwei griechiſche Bedienten, ein
Koch, drei tuͤrkiſche Offiziere, vierzehn Packpferde, vier oder
fuͤnf Surudſchi oder Pferdejungen und ein paar Reſerve-
Pferde.

Auf der großen Straße nach Adrianopel bewegte ſich
dieſer Train ſchnell genug vorwaͤrts; bald aber fingen die
Bedienten an zu klagen; der eine hatte Kopfſchmerzen, der
andere Fieber, und alle hatten ſich durchgeritten. Von
Tſchatall-Burgas bogen wir aus nach Kirkliße. Die Berge
wurden immer hoͤher, die Wege ſchlechter, und der Regen
ſtroͤmte reichlich herab. Die Quartiere in den Doͤrfern
waren unbeſchreiblich elend; am vierten Tag kamen wir
nach Umur-Faki, welches auf der Karte mit großen Let-
tern geſchrieben, aber in der That nur ein ganz elendes
Dorf iſt. Zwei Drittel der Haͤuſer ſtanden leer, weil die
Bewohner an der Peſt geſtorben oder vor ihr geflohen wa-
ren. Als wir in die Wohnung des Tſchorbadſchi einzogen,
mußte die Familie zum Hauſe hinaus getrieben werden;
wir zuͤndeten ein maͤchtiges Feuer an und breiteten unſere
Decken von Ziegenhaar aus; einer eben voruͤbergehenden
Gans wurde ohne weitere Umſtaͤnde der Hals abgeſchnit-
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[157/0167] zu Beglerbey ſehr gnaͤdig empfing; bald darauf erhielten wir Befehl zu einer Reiſe nach der Donau. Bei uns wuͤrde man ſich auf die Schnellpoſt ſetzen und waͤre in zwei bis drei Tagen da; hier macht das etwas mehr Umſtaͤnde; unſere Cortege bildet eine kleine Caravane von einigen vier- zig Pferden, und als wir uͤber die Bruͤcke von Konſtanti- nopel ritten, ſah der Zug ganz ſtattlich aus: voraus eilte ein Tartar in ſeinem rothen Anzuge mit Piſtolen und Hand- ſchar, der die Quartiere macht und die Pferde auf den naͤchſten Poſten zuſammen treibt; zwei andere Tataren ſchlie- ßen den Zug, um Alles in Obacht zu nehmen und die Nach- zuͤgler vorwaͤrts zu treiben. Die militairiſche Bedeckung bilden drei Kawaſſe oder Gensd'armen; außer ihnen folgen zwei armeniſche Dolmetſcher, zwei griechiſche Bedienten, ein Koch, drei tuͤrkiſche Offiziere, vierzehn Packpferde, vier oder fuͤnf Surudſchi oder Pferdejungen und ein paar Reſerve- Pferde. Auf der großen Straße nach Adrianopel bewegte ſich dieſer Train ſchnell genug vorwaͤrts; bald aber fingen die Bedienten an zu klagen; der eine hatte Kopfſchmerzen, der andere Fieber, und alle hatten ſich durchgeritten. Von Tſchatall-Burgas bogen wir aus nach Kirkliße. Die Berge wurden immer hoͤher, die Wege ſchlechter, und der Regen ſtroͤmte reichlich herab. Die Quartiere in den Doͤrfern waren unbeſchreiblich elend; am vierten Tag kamen wir nach Umur-Faki, welches auf der Karte mit großen Let- tern geſchrieben, aber in der That nur ein ganz elendes Dorf iſt. Zwei Drittel der Haͤuſer ſtanden leer, weil die Bewohner an der Peſt geſtorben oder vor ihr geflohen wa- ren. Als wir in die Wohnung des Tſchorbadſchi einzogen, mußte die Familie zum Hauſe hinaus getrieben werden; wir zuͤndeten ein maͤchtiges Feuer an und breiteten unſere Decken von Ziegenhaar aus; einer eben voruͤbergehenden Gans wurde ohne weitere Umſtaͤnde der Hals abgeſchnit- ten, und kaum gerupft, ſpazierte ſie in den Keſſel, wo ſie ſich mit einigen Huͤhnern und einer reichlichen Portion Ger-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/167>, abgerufen am 26.11.2024.