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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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und für sich kein solch bedeutendes Terrain-Hinderniß, als
wir gewöhnlich glauben, aber in diesem dünn bevölkerten
Lande ist kaum die fruchtbare Ebene, weit weniger das
Gebirge angebaut; da giebt es keine Hämmer, Schmelz-
hütten, Mühlen und Fabriken, wie bei uns. Weil aber
keine Ortschaften, so sind auch keine Wege vorhanden, und
dadurch gewinnen die wenigen Straßen, die fahrbar sind,
eine große Bedeutung.

Schon von fern entdeckten wir ein Wäldchen mit rie-
senhaften Nußbäumen, und in dem Wäldchen erst das Städt-
chen Kasanlik. Selbst die Minarehs vermögen nicht über
die Berge von Laub und Zweigen hinaus zu schauen, unter
welchen sie begraben liegen. Der Nußbaum ist gewiß einer
der schönsten Bäume in der Welt; ich habe mehrere ge-
funden, die ihre Zweige wagerecht über einen Raum von
100 Fuß im Durchmesser ausbreiteten; das überaus fri-
sche Grün der breiten Blätter, das Dunkel unter ihrem
gewölbten Dache und die schöne Vegetation rings um den
Stamm, endlich das Rauschen der Bäche und Quellen, in
deren Nähe sie sich halten, das Alles ist wunderschön und
dabei sind sie die großen Palläste, in denen wilde Tauben
und Nachtigallen hausen. Von dem Wasserreichthum die-
ser Gegend kann man sich kaum eine Vorstellung machen.
Jch fand eine Quelle am Wege, die 9 Zoll stark senkrecht
aus den Kiesgrund emporsprudelte und dann als ein klei-
ner Bach davoneilte. Wie in der Lombardei werden alle
Gärten und Felder täglich aus dem Wasservorrath getränkt,
welcher in Gräben und Rinnen dahin rauscht. Das ganze
Thal ist ein Bild des gesegnetsten Wohlstandes und der
reichsten Fruchtbarkeit, ein wahres gelobtes Land; die wei-
ten Felder sind mit mannshohen, wogenden Halmen, die
Wiesen mit zahllosen Schaaf- und Büffel-Heerden bedeckt.
Dabei hängt der Himmel voll dicker Gewitterwolken, die
sich um die Schneegipfel der Berge aufthürmen und die
Fluren von Zeit zu Zeit begießen; zwischendurch funkelt
die glühende Sonne, um sie wieder zu erwärmen; die Luft

und fuͤr ſich kein ſolch bedeutendes Terrain-Hinderniß, als
wir gewoͤhnlich glauben, aber in dieſem duͤnn bevoͤlkerten
Lande iſt kaum die fruchtbare Ebene, weit weniger das
Gebirge angebaut; da giebt es keine Haͤmmer, Schmelz-
huͤtten, Muͤhlen und Fabriken, wie bei uns. Weil aber
keine Ortſchaften, ſo ſind auch keine Wege vorhanden, und
dadurch gewinnen die wenigen Straßen, die fahrbar ſind,
eine große Bedeutung.

Schon von fern entdeckten wir ein Waͤldchen mit rie-
ſenhaften Nußbaͤumen, und in dem Waͤldchen erſt das Staͤdt-
chen Kaſanlik. Selbſt die Minarehs vermoͤgen nicht uͤber
die Berge von Laub und Zweigen hinaus zu ſchauen, unter
welchen ſie begraben liegen. Der Nußbaum iſt gewiß einer
der ſchoͤnſten Baͤume in der Welt; ich habe mehrere ge-
funden, die ihre Zweige wagerecht uͤber einen Raum von
100 Fuß im Durchmeſſer ausbreiteten; das uͤberaus fri-
ſche Gruͤn der breiten Blaͤtter, das Dunkel unter ihrem
gewoͤlbten Dache und die ſchoͤne Vegetation rings um den
Stamm, endlich das Rauſchen der Baͤche und Quellen, in
deren Naͤhe ſie ſich halten, das Alles iſt wunderſchoͤn und
dabei ſind ſie die großen Pallaͤſte, in denen wilde Tauben
und Nachtigallen hauſen. Von dem Waſſerreichthum die-
ſer Gegend kann man ſich kaum eine Vorſtellung machen.
Jch fand eine Quelle am Wege, die 9 Zoll ſtark ſenkrecht
aus den Kiesgrund emporſprudelte und dann als ein klei-
ner Bach davoneilte. Wie in der Lombardei werden alle
Gaͤrten und Felder taͤglich aus dem Waſſervorrath getraͤnkt,
welcher in Graͤben und Rinnen dahin rauſcht. Das ganze
Thal iſt ein Bild des geſegnetſten Wohlſtandes und der
reichſten Fruchtbarkeit, ein wahres gelobtes Land; die wei-
ten Felder ſind mit mannshohen, wogenden Halmen, die
Wieſen mit zahlloſen Schaaf- und Buͤffel-Heerden bedeckt.
Dabei haͤngt der Himmel voll dicker Gewitterwolken, die
ſich um die Schneegipfel der Berge aufthuͤrmen und die
Fluren von Zeit zu Zeit begießen; zwiſchendurch funkelt
die gluͤhende Sonne, um ſie wieder zu erwaͤrmen; die Luft

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[139/0149] und fuͤr ſich kein ſolch bedeutendes Terrain-Hinderniß, als wir gewoͤhnlich glauben, aber in dieſem duͤnn bevoͤlkerten Lande iſt kaum die fruchtbare Ebene, weit weniger das Gebirge angebaut; da giebt es keine Haͤmmer, Schmelz- huͤtten, Muͤhlen und Fabriken, wie bei uns. Weil aber keine Ortſchaften, ſo ſind auch keine Wege vorhanden, und dadurch gewinnen die wenigen Straßen, die fahrbar ſind, eine große Bedeutung. Schon von fern entdeckten wir ein Waͤldchen mit rie- ſenhaften Nußbaͤumen, und in dem Waͤldchen erſt das Staͤdt- chen Kaſanlik. Selbſt die Minarehs vermoͤgen nicht uͤber die Berge von Laub und Zweigen hinaus zu ſchauen, unter welchen ſie begraben liegen. Der Nußbaum iſt gewiß einer der ſchoͤnſten Baͤume in der Welt; ich habe mehrere ge- funden, die ihre Zweige wagerecht uͤber einen Raum von 100 Fuß im Durchmeſſer ausbreiteten; das uͤberaus fri- ſche Gruͤn der breiten Blaͤtter, das Dunkel unter ihrem gewoͤlbten Dache und die ſchoͤne Vegetation rings um den Stamm, endlich das Rauſchen der Baͤche und Quellen, in deren Naͤhe ſie ſich halten, das Alles iſt wunderſchoͤn und dabei ſind ſie die großen Pallaͤſte, in denen wilde Tauben und Nachtigallen hauſen. Von dem Waſſerreichthum die- ſer Gegend kann man ſich kaum eine Vorſtellung machen. Jch fand eine Quelle am Wege, die 9 Zoll ſtark ſenkrecht aus den Kiesgrund emporſprudelte und dann als ein klei- ner Bach davoneilte. Wie in der Lombardei werden alle Gaͤrten und Felder taͤglich aus dem Waſſervorrath getraͤnkt, welcher in Graͤben und Rinnen dahin rauſcht. Das ganze Thal iſt ein Bild des geſegnetſten Wohlſtandes und der reichſten Fruchtbarkeit, ein wahres gelobtes Land; die wei- ten Felder ſind mit mannshohen, wogenden Halmen, die Wieſen mit zahlloſen Schaaf- und Buͤffel-Heerden bedeckt. Dabei haͤngt der Himmel voll dicker Gewitterwolken, die ſich um die Schneegipfel der Berge aufthuͤrmen und die Fluren von Zeit zu Zeit begießen; zwiſchendurch funkelt die gluͤhende Sonne, um ſie wieder zu erwaͤrmen; die Luft

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/149>, abgerufen am 04.05.2024.