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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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destens ein Fünftheil der Stadt ausmachen) geschleppt und
dort von den Hunden verzehrt. Sehr auffallend ist es
mir gewesen, wenn ich durch die Straßen von Stambul
ritt, die Hunde stets mitten in den Straßen schlafend zu
finden. Nie geht ein Hund einem Menschen oder Pferde
aus dem Wege, und Pferde und Menschen, die dies ein-
mal wissen, weichen den Hunden, wenn es irgend möglich
ist, aus, weil es offenbar bequemer ist, über einen Hund
fort, als auf ihn zu treten. Täglich kommen indeß die
schrecklichsten Verletzungen vor, überall hört man die Weh-
klagen der armen Thiere, und doch sieht man sie überall
regungslos mitten im dichtesten Gedränge auf dem Stein-
pflaster schlafen. Allerdings wäre es ganz unmöglich für
diese vierbeinige Polizei, sich zu flüchten; alle Häuser sind
verschlossen, und die Mitte der Straße ist immer noch der
sicherste Platz für sie, weil es viel mehr Fußgänger, als
Reiter giebt. Es scheint übrigens, daß sie die Ansicht der
Türken über das Kismeth oder Schicksal theilen, und man
kann nicht leugnen, daß diese Lehre vollkommen gut für die
geeignet ist, welche stündlich erwarten können, gerädert zu
werden, oder an der Pest zu erkranken. Noch muß ich
bemerken, daß es hier weder Pudel, Möpse, Spitze, Dachse,
Pinscher noch Windspiele, sondern nur eine einzige garstige
Race giebt, und diese scheint mit den Wölfen und Scha-
kaln der Umgegend in naher Vetterschaft zu stehen. Jn
psychologischer Hinsicht ist anzuführen, daß sie seit der Ver-
nichtung der Janitscharen gegen die Franken etwas minder
feindselig geworden sind.

Jm Ganzen sind die Thiere hier überhaupt sehr guter
Art: die Hunde bellen zwar, aber beißen sehr selten und
werden niemals von der Wuth befallen; die Schlangen und
Scorpione sind nicht giftig, und die Pferde unbeschreiblich
gehorsam. Man kann sich auf den muthigsten arabischen
Hengst setzen, er wird lebhaft sein und Sprünge machen,
aber die Bosheit unserer Pferde kennt er nicht; er wird viel-
leicht durchgehen, aber weder bocken, beißen noch schlagen.

deſtens ein Fuͤnftheil der Stadt ausmachen) geſchleppt und
dort von den Hunden verzehrt. Sehr auffallend iſt es
mir geweſen, wenn ich durch die Straßen von Stambul
ritt, die Hunde ſtets mitten in den Straßen ſchlafend zu
finden. Nie geht ein Hund einem Menſchen oder Pferde
aus dem Wege, und Pferde und Menſchen, die dies ein-
mal wiſſen, weichen den Hunden, wenn es irgend moͤglich
iſt, aus, weil es offenbar bequemer iſt, uͤber einen Hund
fort, als auf ihn zu treten. Taͤglich kommen indeß die
ſchrecklichſten Verletzungen vor, uͤberall hoͤrt man die Weh-
klagen der armen Thiere, und doch ſieht man ſie uͤberall
regungslos mitten im dichteſten Gedraͤnge auf dem Stein-
pflaſter ſchlafen. Allerdings waͤre es ganz unmoͤglich fuͤr
dieſe vierbeinige Polizei, ſich zu fluͤchten; alle Haͤuſer ſind
verſchloſſen, und die Mitte der Straße iſt immer noch der
ſicherſte Platz fuͤr ſie, weil es viel mehr Fußgaͤnger, als
Reiter giebt. Es ſcheint uͤbrigens, daß ſie die Anſicht der
Tuͤrken uͤber das Kismeth oder Schickſal theilen, und man
kann nicht leugnen, daß dieſe Lehre vollkommen gut fuͤr die
geeignet iſt, welche ſtuͤndlich erwarten koͤnnen, geraͤdert zu
werden, oder an der Peſt zu erkranken. Noch muß ich
bemerken, daß es hier weder Pudel, Moͤpſe, Spitze, Dachſe,
Pinſcher noch Windſpiele, ſondern nur eine einzige garſtige
Raçe giebt, und dieſe ſcheint mit den Woͤlfen und Scha-
kaln der Umgegend in naher Vetterſchaft zu ſtehen. Jn
pſychologiſcher Hinſicht iſt anzufuͤhren, daß ſie ſeit der Ver-
nichtung der Janitſcharen gegen die Franken etwas minder
feindſelig geworden ſind.

Jm Ganzen ſind die Thiere hier uͤberhaupt ſehr guter
Art: die Hunde bellen zwar, aber beißen ſehr ſelten und
werden niemals von der Wuth befallen; die Schlangen und
Scorpione ſind nicht giftig, und die Pferde unbeſchreiblich
gehorſam. Man kann ſich auf den muthigſten arabiſchen
Hengſt ſetzen, er wird lebhaft ſein und Spruͤnge machen,
aber die Bosheit unſerer Pferde kennt er nicht; er wird viel-
leicht durchgehen, aber weder bocken, beißen noch ſchlagen.

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[104/0114] deſtens ein Fuͤnftheil der Stadt ausmachen) geſchleppt und dort von den Hunden verzehrt. Sehr auffallend iſt es mir geweſen, wenn ich durch die Straßen von Stambul ritt, die Hunde ſtets mitten in den Straßen ſchlafend zu finden. Nie geht ein Hund einem Menſchen oder Pferde aus dem Wege, und Pferde und Menſchen, die dies ein- mal wiſſen, weichen den Hunden, wenn es irgend moͤglich iſt, aus, weil es offenbar bequemer iſt, uͤber einen Hund fort, als auf ihn zu treten. Taͤglich kommen indeß die ſchrecklichſten Verletzungen vor, uͤberall hoͤrt man die Weh- klagen der armen Thiere, und doch ſieht man ſie uͤberall regungslos mitten im dichteſten Gedraͤnge auf dem Stein- pflaſter ſchlafen. Allerdings waͤre es ganz unmoͤglich fuͤr dieſe vierbeinige Polizei, ſich zu fluͤchten; alle Haͤuſer ſind verſchloſſen, und die Mitte der Straße iſt immer noch der ſicherſte Platz fuͤr ſie, weil es viel mehr Fußgaͤnger, als Reiter giebt. Es ſcheint uͤbrigens, daß ſie die Anſicht der Tuͤrken uͤber das Kismeth oder Schickſal theilen, und man kann nicht leugnen, daß dieſe Lehre vollkommen gut fuͤr die geeignet iſt, welche ſtuͤndlich erwarten koͤnnen, geraͤdert zu werden, oder an der Peſt zu erkranken. Noch muß ich bemerken, daß es hier weder Pudel, Moͤpſe, Spitze, Dachſe, Pinſcher noch Windſpiele, ſondern nur eine einzige garſtige Raçe giebt, und dieſe ſcheint mit den Woͤlfen und Scha- kaln der Umgegend in naher Vetterſchaft zu ſtehen. Jn pſychologiſcher Hinſicht iſt anzufuͤhren, daß ſie ſeit der Ver- nichtung der Janitſcharen gegen die Franken etwas minder feindſelig geworden ſind. Jm Ganzen ſind die Thiere hier uͤberhaupt ſehr guter Art: die Hunde bellen zwar, aber beißen ſehr ſelten und werden niemals von der Wuth befallen; die Schlangen und Scorpione ſind nicht giftig, und die Pferde unbeſchreiblich gehorſam. Man kann ſich auf den muthigſten arabiſchen Hengſt ſetzen, er wird lebhaft ſein und Spruͤnge machen, aber die Bosheit unſerer Pferde kennt er nicht; er wird viel- leicht durchgehen, aber weder bocken, beißen noch ſchlagen.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/114>, abgerufen am 22.11.2024.