Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

persönliche Anwesenheit des Staatsoberhauptes wünschenswerth
ist; es ist ihr eine Einwirkung durch Persönlichkeit versagt;
manche Aufgabe eines Staatsoberhauptes, wie z. B. den Befehl
über Streitkräfte, kann sie unmittelbar gar nicht übernehmen.
-- Es stehen somit die Wahrscheinlichkeiten der Unvollkommen-
heit und die Möglichkeiten der völligen Unbrauchbarkeit eines
Einzelnen der unbedingten Gewißheit mannchfacher und schwerer
Nachtheile einer Geschäftsbesorgung durch Mehrere gegenüber.
Leicht also mag man da, wo eine vollkommene freie Wahl
zwischen beiden Besetzungsarten offen steht, zwischen ihnen
schwanken; und es werden im einzelnen Falle eher Nebenum-
stände die Entscheidung geben, als allgemein durchschlagende
Gründe. Bei einem Volke z. B., dessen große Zahl, höhere
Gesittigungsstufe, ausgedehnte Gewerbthätigkeit, vielfache und
schwierige Beziehungen zum Auslande vorzugsweise eine thätige,
schnell gefaßte und mit sich selbst einige Leitung verlangen,
bietet die Regierung eines Einzelnen eine größere Wahrschein-
lichkeit zufriedenstellender Führung. Dasselbe ist der Fall bei
einem durch Parteien tief zerrissenen Volke, oder da, wo, aus
welcher Ursache immer, eine große Gleichgültigkeit gegen das
Allgemeine oder eine große Verderbniß stattfindet. Dagegen
mag in einfachen Verhältnissen, bei einem staatlich angeregten
Volke und etwa nach sehr schlechten Erfahrungen in Betreff
von Einzelnregierungen die Uebertragung der Staatsgewalt an
Mehrere immerhin das Richtigere sein 2).

Wo nun aber eine Regierung durch eine Mehrzahl
besteht, sei es, daß sie durch den Grundgedanken des concreten
Staates unvermeidlich gegeben ist, wie namentlich in einer
Aristokratie und in einer reinen Demokratie, sei es daß sie
unter mehreren Möglichkeiten gewählt wurde, da sind jeden
Falles Vorkehrungen zu treffen, um die bei solcher Form mög-
lichen Vortheile nach Thunlichkeit zu genießen, die eigenthüm-

perſönliche Anweſenheit des Staatsoberhauptes wünſchenswerth
iſt; es iſt ihr eine Einwirkung durch Perſönlichkeit verſagt;
manche Aufgabe eines Staatsoberhauptes, wie z. B. den Befehl
über Streitkräfte, kann ſie unmittelbar gar nicht übernehmen.
— Es ſtehen ſomit die Wahrſcheinlichkeiten der Unvollkommen-
heit und die Möglichkeiten der völligen Unbrauchbarkeit eines
Einzelnen der unbedingten Gewißheit mannchfacher und ſchwerer
Nachtheile einer Geſchäftsbeſorgung durch Mehrere gegenüber.
Leicht alſo mag man da, wo eine vollkommene freie Wahl
zwiſchen beiden Beſetzungsarten offen ſteht, zwiſchen ihnen
ſchwanken; und es werden im einzelnen Falle eher Nebenum-
ſtände die Entſcheidung geben, als allgemein durchſchlagende
Gründe. Bei einem Volke z. B., deſſen große Zahl, höhere
Geſittigungsſtufe, ausgedehnte Gewerbthätigkeit, vielfache und
ſchwierige Beziehungen zum Auslande vorzugsweiſe eine thätige,
ſchnell gefaßte und mit ſich ſelbſt einige Leitung verlangen,
bietet die Regierung eines Einzelnen eine größere Wahrſchein-
lichkeit zufriedenſtellender Führung. Daſſelbe iſt der Fall bei
einem durch Parteien tief zerriſſenen Volke, oder da, wo, aus
welcher Urſache immer, eine große Gleichgültigkeit gegen das
Allgemeine oder eine große Verderbniß ſtattfindet. Dagegen
mag in einfachen Verhältniſſen, bei einem ſtaatlich angeregten
Volke und etwa nach ſehr ſchlechten Erfahrungen in Betreff
von Einzelnregierungen die Uebertragung der Staatsgewalt an
Mehrere immerhin das Richtigere ſein 2).

Wo nun aber eine Regierung durch eine Mehrzahl
beſteht, ſei es, daß ſie durch den Grundgedanken des concreten
Staates unvermeidlich gegeben iſt, wie namentlich in einer
Ariſtokratie und in einer reinen Demokratie, ſei es daß ſie
unter mehreren Möglichkeiten gewählt wurde, da ſind jeden
Falles Vorkehrungen zu treffen, um die bei ſolcher Form mög-
lichen Vortheile nach Thunlichkeit zu genießen, die eigenthüm-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0630" n="616"/>
per&#x017F;önliche Anwe&#x017F;enheit des Staatsoberhauptes wün&#x017F;chenswerth<lb/>
i&#x017F;t; es i&#x017F;t ihr eine Einwirkung durch Per&#x017F;önlichkeit ver&#x017F;agt;<lb/>
manche Aufgabe eines Staatsoberhauptes, wie z. B. den Befehl<lb/>
über Streitkräfte, kann &#x017F;ie unmittelbar gar nicht übernehmen.<lb/>
&#x2014; Es &#x017F;tehen &#x017F;omit die Wahr&#x017F;cheinlichkeiten der Unvollkommen-<lb/>
heit und die Möglichkeiten der völligen Unbrauchbarkeit eines<lb/>
Einzelnen der unbedingten Gewißheit mannchfacher und &#x017F;chwerer<lb/>
Nachtheile einer Ge&#x017F;chäftsbe&#x017F;orgung durch Mehrere gegenüber.<lb/>
Leicht al&#x017F;o mag man da, wo eine vollkommene freie Wahl<lb/>
zwi&#x017F;chen beiden Be&#x017F;etzungsarten offen &#x017F;teht, zwi&#x017F;chen ihnen<lb/>
&#x017F;chwanken; und es werden im einzelnen Falle eher Nebenum-<lb/>
&#x017F;tände die Ent&#x017F;cheidung geben, als allgemein durch&#x017F;chlagende<lb/>
Gründe. Bei einem Volke z. B., de&#x017F;&#x017F;en große Zahl, höhere<lb/>
Ge&#x017F;ittigungs&#x017F;tufe, ausgedehnte Gewerbthätigkeit, vielfache und<lb/>
&#x017F;chwierige Beziehungen zum Auslande vorzugswei&#x017F;e eine thätige,<lb/>
&#x017F;chnell gefaßte und mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t einige Leitung verlangen,<lb/>
bietet die Regierung eines Einzelnen eine größere Wahr&#x017F;chein-<lb/>
lichkeit zufrieden&#x017F;tellender Führung. Da&#x017F;&#x017F;elbe i&#x017F;t der Fall bei<lb/>
einem durch Parteien tief zerri&#x017F;&#x017F;enen Volke, oder da, wo, aus<lb/>
welcher Ur&#x017F;ache immer, eine große Gleichgültigkeit gegen das<lb/>
Allgemeine oder eine große Verderbniß &#x017F;tattfindet. Dagegen<lb/>
mag in einfachen Verhältni&#x017F;&#x017F;en, bei einem &#x017F;taatlich angeregten<lb/>
Volke und etwa nach &#x017F;ehr &#x017F;chlechten Erfahrungen in Betreff<lb/>
von Einzelnregierungen die Uebertragung der Staatsgewalt an<lb/>
Mehrere immerhin das Richtigere &#x017F;ein <hi rendition="#sup">2</hi>).</p><lb/>
                  <p>Wo nun aber eine Regierung durch eine Mehrzahl<lb/>
be&#x017F;teht, &#x017F;ei es, daß &#x017F;ie durch den Grundgedanken des concreten<lb/>
Staates unvermeidlich gegeben i&#x017F;t, wie namentlich in einer<lb/>
Ari&#x017F;tokratie und in einer reinen Demokratie, &#x017F;ei es daß &#x017F;ie<lb/>
unter mehreren Möglichkeiten gewählt wurde, da &#x017F;ind jeden<lb/>
Falles Vorkehrungen zu treffen, um die bei &#x017F;olcher Form mög-<lb/>
lichen Vortheile nach Thunlichkeit zu genießen, die eigenthüm-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[616/0630] perſönliche Anweſenheit des Staatsoberhauptes wünſchenswerth iſt; es iſt ihr eine Einwirkung durch Perſönlichkeit verſagt; manche Aufgabe eines Staatsoberhauptes, wie z. B. den Befehl über Streitkräfte, kann ſie unmittelbar gar nicht übernehmen. — Es ſtehen ſomit die Wahrſcheinlichkeiten der Unvollkommen- heit und die Möglichkeiten der völligen Unbrauchbarkeit eines Einzelnen der unbedingten Gewißheit mannchfacher und ſchwerer Nachtheile einer Geſchäftsbeſorgung durch Mehrere gegenüber. Leicht alſo mag man da, wo eine vollkommene freie Wahl zwiſchen beiden Beſetzungsarten offen ſteht, zwiſchen ihnen ſchwanken; und es werden im einzelnen Falle eher Nebenum- ſtände die Entſcheidung geben, als allgemein durchſchlagende Gründe. Bei einem Volke z. B., deſſen große Zahl, höhere Geſittigungsſtufe, ausgedehnte Gewerbthätigkeit, vielfache und ſchwierige Beziehungen zum Auslande vorzugsweiſe eine thätige, ſchnell gefaßte und mit ſich ſelbſt einige Leitung verlangen, bietet die Regierung eines Einzelnen eine größere Wahrſchein- lichkeit zufriedenſtellender Führung. Daſſelbe iſt der Fall bei einem durch Parteien tief zerriſſenen Volke, oder da, wo, aus welcher Urſache immer, eine große Gleichgültigkeit gegen das Allgemeine oder eine große Verderbniß ſtattfindet. Dagegen mag in einfachen Verhältniſſen, bei einem ſtaatlich angeregten Volke und etwa nach ſehr ſchlechten Erfahrungen in Betreff von Einzelnregierungen die Uebertragung der Staatsgewalt an Mehrere immerhin das Richtigere ſein 2). Wo nun aber eine Regierung durch eine Mehrzahl beſteht, ſei es, daß ſie durch den Grundgedanken des concreten Staates unvermeidlich gegeben iſt, wie namentlich in einer Ariſtokratie und in einer reinen Demokratie, ſei es daß ſie unter mehreren Möglichkeiten gewählt wurde, da ſind jeden Falles Vorkehrungen zu treffen, um die bei ſolcher Form mög- lichen Vortheile nach Thunlichkeit zu genießen, die eigenthüm-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/630
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/630>, abgerufen am 18.05.2024.