Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

gemeinschaftlicher Regierung ihre eigenthümlichen Nachtheile
darbietet. Zwar ist zu vermuthen, daß unter Mehreren sich
die verschiedenen nöthigen Eigenschaften bei dem Einen oder
bei dem Andern, vereinzelt oder in Mehrzahl vorfinden. Allein
theils ist damit noch nicht gesagt, daß der Träger einer solchen
Eigenschaft sich bei seinen Genossen den wünschenswerthen
Einfluß verschaffen kann; Neid, Parteiung, persönlicher Wider-
wille können mit mehr oder weniger Bewußtsein sich widersetzen.
Theils ist bei einer Mehrzahl möglich, daß ganz widersprechende
Eigenschaften in der Körperschaft vorhanden sind, welche sich
dann gegenseitig aufheben und gar kein Ergebniß zu Stande
kommen lassen. Theils endlich hat jede Berathung und Be-
schlußnahme durch eine Mehrzahl ihre eigenthümlichen Nachtheile.
Die Billigung ganz neuer und großer Gedanken durch ein
Collegium ist keineswegs als selbstverständlich zu erwarten, da
die Mittelmäßigkeit gewöhnlich in der Mehrheit ist. Die Ent-
werfung und Ausarbeitung eines verwickelten Planes durch
eine Mehrzahl hat große Schwierigkeiten, und selten wird die
innere Folgerichtigkeit und Einheit dabei gewinnen. Die ent-
schlossene Festhaltung eines Systemes oder auch nur eines
einzelnen Vorsatzes wird häufig gefährdet durch die Verschieden-
heit der Meinungen und durch die Nothwendigkeit, irgend eine
Uebereinkunft zu treffen. Ein Geheimniß ist weit schwieriger zu
bewahren; bei einer großen Anzahl ist es sogar ganz außer
Frage. Die Berathungen und Beschlußnahmen einer Mehrzahl sind
zeitraubend und können auch nicht in jedem Augenblicke ver-
anstaltet werden, was bei den gewöhnlichen Geschäften schwer-
fällig, bei dringenden sogar gefährlich ist. Unter Mehreren
mag der Eine oder der Andere durch fremde oder durch Par-
teien gewonnen und zum Verrathe, wenigstens zur Verzögerung
gebraucht werden. Endlich kann sich eine Versammlung, na-
mentlich eine größere, nicht an jeden Ort versetzen, wo die

gemeinſchaftlicher Regierung ihre eigenthümlichen Nachtheile
darbietet. Zwar iſt zu vermuthen, daß unter Mehreren ſich
die verſchiedenen nöthigen Eigenſchaften bei dem Einen oder
bei dem Andern, vereinzelt oder in Mehrzahl vorfinden. Allein
theils iſt damit noch nicht geſagt, daß der Träger einer ſolchen
Eigenſchaft ſich bei ſeinen Genoſſen den wünſchenswerthen
Einfluß verſchaffen kann; Neid, Parteiung, perſönlicher Wider-
wille können mit mehr oder weniger Bewußtſein ſich widerſetzen.
Theils iſt bei einer Mehrzahl möglich, daß ganz widerſprechende
Eigenſchaften in der Körperſchaft vorhanden ſind, welche ſich
dann gegenſeitig aufheben und gar kein Ergebniß zu Stande
kommen laſſen. Theils endlich hat jede Berathung und Be-
ſchlußnahme durch eine Mehrzahl ihre eigenthümlichen Nachtheile.
Die Billigung ganz neuer und großer Gedanken durch ein
Collegium iſt keineswegs als ſelbſtverſtändlich zu erwarten, da
die Mittelmäßigkeit gewöhnlich in der Mehrheit iſt. Die Ent-
werfung und Ausarbeitung eines verwickelten Planes durch
eine Mehrzahl hat große Schwierigkeiten, und ſelten wird die
innere Folgerichtigkeit und Einheit dabei gewinnen. Die ent-
ſchloſſene Feſthaltung eines Syſtemes oder auch nur eines
einzelnen Vorſatzes wird häufig gefährdet durch die Verſchieden-
heit der Meinungen und durch die Nothwendigkeit, irgend eine
Uebereinkunft zu treffen. Ein Geheimniß iſt weit ſchwieriger zu
bewahren; bei einer großen Anzahl iſt es ſogar ganz außer
Frage. Die Berathungen und Beſchlußnahmen einer Mehrzahl ſind
zeitraubend und können auch nicht in jedem Augenblicke ver-
anſtaltet werden, was bei den gewöhnlichen Geſchäften ſchwer-
fällig, bei dringenden ſogar gefährlich iſt. Unter Mehreren
mag der Eine oder der Andere durch fremde oder durch Par-
teien gewonnen und zum Verrathe, wenigſtens zur Verzögerung
gebraucht werden. Endlich kann ſich eine Verſammlung, na-
mentlich eine größere, nicht an jeden Ort verſetzen, wo die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0629" n="615"/>
gemein&#x017F;chaftlicher Regierung ihre eigenthümlichen Nachtheile<lb/>
darbietet. Zwar i&#x017F;t zu vermuthen, daß unter Mehreren &#x017F;ich<lb/>
die ver&#x017F;chiedenen nöthigen Eigen&#x017F;chaften bei dem Einen oder<lb/>
bei dem Andern, vereinzelt oder in Mehrzahl vorfinden. Allein<lb/>
theils i&#x017F;t damit noch nicht ge&#x017F;agt, daß der Träger einer &#x017F;olchen<lb/>
Eigen&#x017F;chaft &#x017F;ich bei &#x017F;einen Geno&#x017F;&#x017F;en den wün&#x017F;chenswerthen<lb/>
Einfluß ver&#x017F;chaffen kann; Neid, Parteiung, per&#x017F;önlicher Wider-<lb/>
wille können mit mehr oder weniger Bewußt&#x017F;ein &#x017F;ich wider&#x017F;etzen.<lb/>
Theils i&#x017F;t bei einer Mehrzahl möglich, daß ganz wider&#x017F;prechende<lb/>
Eigen&#x017F;chaften in der Körper&#x017F;chaft vorhanden &#x017F;ind, welche &#x017F;ich<lb/>
dann gegen&#x017F;eitig aufheben und gar kein Ergebniß zu Stande<lb/>
kommen la&#x017F;&#x017F;en. Theils endlich hat jede Berathung und Be-<lb/>
&#x017F;chlußnahme durch eine Mehrzahl ihre eigenthümlichen Nachtheile.<lb/>
Die Billigung ganz neuer und großer Gedanken durch ein<lb/>
Collegium i&#x017F;t keineswegs als &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich zu erwarten, da<lb/>
die Mittelmäßigkeit gewöhnlich in der Mehrheit i&#x017F;t. Die Ent-<lb/>
werfung und Ausarbeitung eines verwickelten Planes durch<lb/>
eine Mehrzahl hat große Schwierigkeiten, und &#x017F;elten wird die<lb/>
innere Folgerichtigkeit und Einheit dabei gewinnen. Die ent-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Fe&#x017F;thaltung eines Sy&#x017F;temes oder auch nur eines<lb/>
einzelnen Vor&#x017F;atzes wird häufig gefährdet durch die Ver&#x017F;chieden-<lb/>
heit der Meinungen und durch die Nothwendigkeit, irgend eine<lb/>
Uebereinkunft zu treffen. Ein Geheimniß i&#x017F;t weit &#x017F;chwieriger zu<lb/>
bewahren; bei einer großen Anzahl i&#x017F;t es &#x017F;ogar ganz außer<lb/>
Frage. Die Berathungen und Be&#x017F;chlußnahmen einer Mehrzahl &#x017F;ind<lb/>
zeitraubend und können auch nicht in jedem Augenblicke ver-<lb/>
an&#x017F;taltet werden, was bei den gewöhnlichen Ge&#x017F;chäften &#x017F;chwer-<lb/>
fällig, bei dringenden &#x017F;ogar gefährlich i&#x017F;t. Unter Mehreren<lb/>
mag der Eine oder der Andere durch fremde oder durch Par-<lb/>
teien gewonnen und zum Verrathe, wenig&#x017F;tens zur Verzögerung<lb/>
gebraucht werden. Endlich kann &#x017F;ich eine Ver&#x017F;ammlung, na-<lb/>
mentlich eine größere, nicht an jeden Ort ver&#x017F;etzen, wo die<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[615/0629] gemeinſchaftlicher Regierung ihre eigenthümlichen Nachtheile darbietet. Zwar iſt zu vermuthen, daß unter Mehreren ſich die verſchiedenen nöthigen Eigenſchaften bei dem Einen oder bei dem Andern, vereinzelt oder in Mehrzahl vorfinden. Allein theils iſt damit noch nicht geſagt, daß der Träger einer ſolchen Eigenſchaft ſich bei ſeinen Genoſſen den wünſchenswerthen Einfluß verſchaffen kann; Neid, Parteiung, perſönlicher Wider- wille können mit mehr oder weniger Bewußtſein ſich widerſetzen. Theils iſt bei einer Mehrzahl möglich, daß ganz widerſprechende Eigenſchaften in der Körperſchaft vorhanden ſind, welche ſich dann gegenſeitig aufheben und gar kein Ergebniß zu Stande kommen laſſen. Theils endlich hat jede Berathung und Be- ſchlußnahme durch eine Mehrzahl ihre eigenthümlichen Nachtheile. Die Billigung ganz neuer und großer Gedanken durch ein Collegium iſt keineswegs als ſelbſtverſtändlich zu erwarten, da die Mittelmäßigkeit gewöhnlich in der Mehrheit iſt. Die Ent- werfung und Ausarbeitung eines verwickelten Planes durch eine Mehrzahl hat große Schwierigkeiten, und ſelten wird die innere Folgerichtigkeit und Einheit dabei gewinnen. Die ent- ſchloſſene Feſthaltung eines Syſtemes oder auch nur eines einzelnen Vorſatzes wird häufig gefährdet durch die Verſchieden- heit der Meinungen und durch die Nothwendigkeit, irgend eine Uebereinkunft zu treffen. Ein Geheimniß iſt weit ſchwieriger zu bewahren; bei einer großen Anzahl iſt es ſogar ganz außer Frage. Die Berathungen und Beſchlußnahmen einer Mehrzahl ſind zeitraubend und können auch nicht in jedem Augenblicke ver- anſtaltet werden, was bei den gewöhnlichen Geſchäften ſchwer- fällig, bei dringenden ſogar gefährlich iſt. Unter Mehreren mag der Eine oder der Andere durch fremde oder durch Par- teien gewonnen und zum Verrathe, wenigſtens zur Verzögerung gebraucht werden. Endlich kann ſich eine Verſammlung, na- mentlich eine größere, nicht an jeden Ort verſetzen, wo die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/629
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/629>, abgerufen am 17.05.2024.