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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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ist zunächst vom Standpunkte des Rechtes, dann aber auch von
dem der Zweckmäßigkeit vorzunehmen. Wie sie aber auch
schließlich ausfallen mag, jeden Falles darf eine Untersuchung
nicht unterbleiben. Die Folgen der Entscheidung für das eine
oder das andere dieser Systeme sind von unübersehbarer Wich-
tigkeit; und daß das in der Gesellschaft und dem Staate
der Neuzeit eben Bestehende auch das Unverbesserliche und aus-
schließend Richtige sei, kann doch nicht ohne Weiteres voraus-
gesetzt werden 6).

Das System der Bevorrechtung, in welcher Form es
auch erscheinen mag, läßt sich weder von dem einen noch von
dem andern Standpunkte aus rechtfertigen. -- Rechtlich nicht,
weil der Mensch zur Erreichung seiner Lebensaufgabe, nämlich
zur Entfaltung seiner Persönlichkeit, ein Recht auf Benützung
der äußeren Dinge in Anspruch nehmen muß, und zwar sowohl
zu seiner Lebenserhaltung als zur Erreichung seiner besonderen
Zwecke. Allerdings ist dieses Recht durch das gleiche Recht
Anderer beschränkt; sowie für die zur Erhaltung und Gewinnung
der Güter nothwendigen Maßregeln; allein die rechtliche Mög-
lichkeit zur Aneignung und Benützung jeder Art von Gütern
und zu jeder Art von Kraftübung muß bleiben. -- Wirth-
schaftlich aber ist das System der Bevorrechtung verwerflich,
weil durch die Abhaltung der freien Thätigkeit einerseits und
durch Zwangsbeschäftigung andererseits die dem Einzelnen
passendste und daher auch für die Gesammtheit zuträglichste
Verwendung von Kapital und Einsicht gehemmt und somit
entweder völlige Unthätigkeit oder doch wenigstens minder vor-
theilhafte Verwendung dieser Güterquellen erzeugt wird. Außer-
dem fehlt dem ausschließlich Bevorrechteten der Sporn der
Mitwerbung; er wird also ohne Zweifel schlechter und theurer,
aus beiden Gründen auch weniger arbeiten. Nicht in Be-
tracht hingegen kommt der etwaige Vortheil einer gesetzlichen

iſt zunächſt vom Standpunkte des Rechtes, dann aber auch von
dem der Zweckmäßigkeit vorzunehmen. Wie ſie aber auch
ſchließlich ausfallen mag, jeden Falles darf eine Unterſuchung
nicht unterbleiben. Die Folgen der Entſcheidung für das eine
oder das andere dieſer Syſteme ſind von unüberſehbarer Wich-
tigkeit; und daß das in der Geſellſchaft und dem Staate
der Neuzeit eben Beſtehende auch das Unverbeſſerliche und aus-
ſchließend Richtige ſei, kann doch nicht ohne Weiteres voraus-
geſetzt werden 6).

Das Syſtem der Bevorrechtung, in welcher Form es
auch erſcheinen mag, läßt ſich weder von dem einen noch von
dem andern Standpunkte aus rechtfertigen. — Rechtlich nicht,
weil der Menſch zur Erreichung ſeiner Lebensaufgabe, nämlich
zur Entfaltung ſeiner Perſönlichkeit, ein Recht auf Benützung
der äußeren Dinge in Anſpruch nehmen muß, und zwar ſowohl
zu ſeiner Lebenserhaltung als zur Erreichung ſeiner beſonderen
Zwecke. Allerdings iſt dieſes Recht durch das gleiche Recht
Anderer beſchränkt; ſowie für die zur Erhaltung und Gewinnung
der Güter nothwendigen Maßregeln; allein die rechtliche Mög-
lichkeit zur Aneignung und Benützung jeder Art von Gütern
und zu jeder Art von Kraftübung muß bleiben. — Wirth-
ſchaftlich aber iſt das Syſtem der Bevorrechtung verwerflich,
weil durch die Abhaltung der freien Thätigkeit einerſeits und
durch Zwangsbeſchäftigung andererſeits die dem Einzelnen
paſſendſte und daher auch für die Geſammtheit zuträglichſte
Verwendung von Kapital und Einſicht gehemmt und ſomit
entweder völlige Unthätigkeit oder doch wenigſtens minder vor-
theilhafte Verwendung dieſer Güterquellen erzeugt wird. Außer-
dem fehlt dem ausſchließlich Bevorrechteten der Sporn der
Mitwerbung; er wird alſo ohne Zweifel ſchlechter und theurer,
aus beiden Gründen auch weniger arbeiten. Nicht in Be-
tracht hingegen kommt der etwaige Vortheil einer geſetzlichen

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[587/0601] iſt zunächſt vom Standpunkte des Rechtes, dann aber auch von dem der Zweckmäßigkeit vorzunehmen. Wie ſie aber auch ſchließlich ausfallen mag, jeden Falles darf eine Unterſuchung nicht unterbleiben. Die Folgen der Entſcheidung für das eine oder das andere dieſer Syſteme ſind von unüberſehbarer Wich- tigkeit; und daß das in der Geſellſchaft und dem Staate der Neuzeit eben Beſtehende auch das Unverbeſſerliche und aus- ſchließend Richtige ſei, kann doch nicht ohne Weiteres voraus- geſetzt werden 6). Das Syſtem der Bevorrechtung, in welcher Form es auch erſcheinen mag, läßt ſich weder von dem einen noch von dem andern Standpunkte aus rechtfertigen. — Rechtlich nicht, weil der Menſch zur Erreichung ſeiner Lebensaufgabe, nämlich zur Entfaltung ſeiner Perſönlichkeit, ein Recht auf Benützung der äußeren Dinge in Anſpruch nehmen muß, und zwar ſowohl zu ſeiner Lebenserhaltung als zur Erreichung ſeiner beſonderen Zwecke. Allerdings iſt dieſes Recht durch das gleiche Recht Anderer beſchränkt; ſowie für die zur Erhaltung und Gewinnung der Güter nothwendigen Maßregeln; allein die rechtliche Mög- lichkeit zur Aneignung und Benützung jeder Art von Gütern und zu jeder Art von Kraftübung muß bleiben. — Wirth- ſchaftlich aber iſt das Syſtem der Bevorrechtung verwerflich, weil durch die Abhaltung der freien Thätigkeit einerſeits und durch Zwangsbeſchäftigung andererſeits die dem Einzelnen paſſendſte und daher auch für die Geſammtheit zuträglichſte Verwendung von Kapital und Einſicht gehemmt und ſomit entweder völlige Unthätigkeit oder doch wenigſtens minder vor- theilhafte Verwendung dieſer Güterquellen erzeugt wird. Außer- dem fehlt dem ausſchließlich Bevorrechteten der Sporn der Mitwerbung; er wird alſo ohne Zweifel ſchlechter und theurer, aus beiden Gründen auch weniger arbeiten. Nicht in Be- tracht hingegen kommt der etwaige Vortheil einer geſetzlichen

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/601>, abgerufen am 24.11.2024.