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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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stände ihrer Thätigkeit nicht nach ihrem Belieben zu wählen,
sondern vielmehr die thatsächlich vorhandenen anzuerkennen und
zu besorgen hat, so besteht kein Recht, Solche, welche auf recht-
liche Weise Mitglieder des Staatsverbandes geworden sind, aus
demselben zu verweisen, und sie gegen ihren Willen entweder
einem bestimmten anderen Staate zuzutheilen, oder zur Auf-
suchung irgend einer neuen Verbindung zu zwingen. Wer
einem Volke angehört, hat das Recht in demselben zu leben
und zu sterben und die für dasselbe bestehenden Anstalten mit
zu genießen. Somit können denn namentlich Abtretungen von
Gebietstheilen sammt ihren Bewohnern oder Austauschungen
solcher mit anderen Staaten blos mit der Zustimmung der Be-
theiligten geschehen. Nur, wenn ein Staatsangehöriger eine
mit dem Zwecke des concreten Staates und mit seinen Ein-
richtungen durchaus unvereinbare Gesinnung thatsächlich und nach-
haltig erwiesen hat, mag eine Ausscheidung desselben zur Strafe
und als Vorbeugungsmaßregel rechtlich angeordnet werden. Es
steht aber eine solche Verfügung der Todesstrafe zunächst, weil
sie ebenfalls die ganze Lebensbestimmung ändert und alle bis-
herigen Verbindungen des Zusammenseins abbricht; ihre An-
ordnung muß daher im einzelnen Falle durch analoge, wenn
schon etwas schwächere, Gründe gerechtfertigt sein, wie sie die
Zuerkennung einer Lebensberaubung erfordert. -- Dagegen
steht dem Unterthanen ein Recht auf freiwillige Verlassung des
Staates, also ein Auswanderungsrecht, unbedenklich zu. Ein
Mensch, welcher in seinem bisherigen Staatsverbande seine
wesentlichen Lebenszwecke nicht erreichen kann, hat nicht nur
die Befugniß sondern sogar die sittliche Pflicht, denselben zu
verlassen und sich einen geeigneteren zu suchen. Ob sein Weg-
zug die geistigen und sachlichen Kräfte des bisherigen Staates
vermindert, ist gleichgültig, da nicht der Mensch ein Mittel für
den Staat, sondern dieser ein Mittel für den Menschen ist.

v. Mohl, Encyclopädie. 15

ſtände ihrer Thätigkeit nicht nach ihrem Belieben zu wählen,
ſondern vielmehr die thatſächlich vorhandenen anzuerkennen und
zu beſorgen hat, ſo beſteht kein Recht, Solche, welche auf recht-
liche Weiſe Mitglieder des Staatsverbandes geworden ſind, aus
demſelben zu verweiſen, und ſie gegen ihren Willen entweder
einem beſtimmten anderen Staate zuzutheilen, oder zur Auf-
ſuchung irgend einer neuen Verbindung zu zwingen. Wer
einem Volke angehört, hat das Recht in demſelben zu leben
und zu ſterben und die für dasſelbe beſtehenden Anſtalten mit
zu genießen. Somit können denn namentlich Abtretungen von
Gebietstheilen ſammt ihren Bewohnern oder Austauſchungen
ſolcher mit anderen Staaten blos mit der Zuſtimmung der Be-
theiligten geſchehen. Nur, wenn ein Staatsangehöriger eine
mit dem Zwecke des concreten Staates und mit ſeinen Ein-
richtungen durchaus unvereinbare Geſinnung thatſächlich und nach-
haltig erwieſen hat, mag eine Ausſcheidung desſelben zur Strafe
und als Vorbeugungsmaßregel rechtlich angeordnet werden. Es
ſteht aber eine ſolche Verfügung der Todesſtrafe zunächſt, weil
ſie ebenfalls die ganze Lebensbeſtimmung ändert und alle bis-
herigen Verbindungen des Zuſammenſeins abbricht; ihre An-
ordnung muß daher im einzelnen Falle durch analoge, wenn
ſchon etwas ſchwächere, Gründe gerechtfertigt ſein, wie ſie die
Zuerkennung einer Lebensberaubung erfordert. — Dagegen
ſteht dem Unterthanen ein Recht auf freiwillige Verlaſſung des
Staates, alſo ein Auswanderungsrecht, unbedenklich zu. Ein
Menſch, welcher in ſeinem bisherigen Staatsverbande ſeine
weſentlichen Lebenszwecke nicht erreichen kann, hat nicht nur
die Befugniß ſondern ſogar die ſittliche Pflicht, denſelben zu
verlaſſen und ſich einen geeigneteren zu ſuchen. Ob ſein Weg-
zug die geiſtigen und ſachlichen Kräfte des bisherigen Staates
vermindert, iſt gleichgültig, da nicht der Menſch ein Mittel für
den Staat, ſondern dieſer ein Mittel für den Menſchen iſt.

v. Mohl, Encyclopädie. 15
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[225/0239] ſtände ihrer Thätigkeit nicht nach ihrem Belieben zu wählen, ſondern vielmehr die thatſächlich vorhandenen anzuerkennen und zu beſorgen hat, ſo beſteht kein Recht, Solche, welche auf recht- liche Weiſe Mitglieder des Staatsverbandes geworden ſind, aus demſelben zu verweiſen, und ſie gegen ihren Willen entweder einem beſtimmten anderen Staate zuzutheilen, oder zur Auf- ſuchung irgend einer neuen Verbindung zu zwingen. Wer einem Volke angehört, hat das Recht in demſelben zu leben und zu ſterben und die für dasſelbe beſtehenden Anſtalten mit zu genießen. Somit können denn namentlich Abtretungen von Gebietstheilen ſammt ihren Bewohnern oder Austauſchungen ſolcher mit anderen Staaten blos mit der Zuſtimmung der Be- theiligten geſchehen. Nur, wenn ein Staatsangehöriger eine mit dem Zwecke des concreten Staates und mit ſeinen Ein- richtungen durchaus unvereinbare Geſinnung thatſächlich und nach- haltig erwieſen hat, mag eine Ausſcheidung desſelben zur Strafe und als Vorbeugungsmaßregel rechtlich angeordnet werden. Es ſteht aber eine ſolche Verfügung der Todesſtrafe zunächſt, weil ſie ebenfalls die ganze Lebensbeſtimmung ändert und alle bis- herigen Verbindungen des Zuſammenſeins abbricht; ihre An- ordnung muß daher im einzelnen Falle durch analoge, wenn ſchon etwas ſchwächere, Gründe gerechtfertigt ſein, wie ſie die Zuerkennung einer Lebensberaubung erfordert. — Dagegen ſteht dem Unterthanen ein Recht auf freiwillige Verlaſſung des Staates, alſo ein Auswanderungsrecht, unbedenklich zu. Ein Menſch, welcher in ſeinem bisherigen Staatsverbande ſeine weſentlichen Lebenszwecke nicht erreichen kann, hat nicht nur die Befugniß ſondern ſogar die ſittliche Pflicht, denſelben zu verlaſſen und ſich einen geeigneteren zu ſuchen. Ob ſein Weg- zug die geiſtigen und ſachlichen Kräfte des bisherigen Staates vermindert, iſt gleichgültig, da nicht der Menſch ein Mittel für den Staat, ſondern dieſer ein Mittel für den Menſchen iſt. v. Mohl, Encyclopädie. 15

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/239>, abgerufen am 27.11.2024.