Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Nur versteht sich, daß der zu einer Auswanderung Lusttragende
durch seine freiwillige Handlung nicht von der Erfüllung bereits
eingegangener Verpflichtungen befreit wird, mag er diese nun
gegen die Gesammtheit oder gegen Einzelne eingegangen haben. Je
nach der Art dieser Verpflichtungen kann er daher entweder bis
zur vollständigen Leistung zurückgehalten oder zur Bestellung
genügender Sicherheitsleistung genöthigt werden. Auch werden
die privatrechtlichen Beziehungen, welche Verpflichtungen in
der Wahl des Aufenthaltsortes auflegen und die Willkür
brechen, durch die Lust auszuwandern nicht aufgehoben 5).

b) Recht auf Gewährung der Vortheile, welche die
betreffende Staatsart jedem einzelnen Theilnehmer in
Aussicht stellt. Eine willkürliche Verkürzung Einzelner oder
ganzer Classen geht gegen den obersten Staatsgedanken und
ist das höchste mögliche Unrecht von Seiten des Staates.
Die Gewährung ist also nicht eine Gnade, welche auch nach
Belieben entzogen werden kann; sondern sie ist förmliche
Rechtspflicht von Seiten des Staates und seines Oberhauptes,
deren eigenes Vorhandensein durch diese Leistung bedingt ist.
Bei einer nachweisbaren und nicht zu beseitigenden Unzuläng-
lichkeit der Mittel muß wenigstens das Gesetz der Verhältniß-
mäßigkeit beobachtet werden. Vor Allem ist also wenigstens
das zur Erhaltung des Daseins Unentbehrliche zu leisten, na-
mentlich der Rechtsschutz. Ueber das Weitere entscheidet die
Wichtigkeit, diese nach dem Durchschnitte verständiger menschlicher
Schätzung berechnet. Es muß also insbesondere die Bedingung
vor dem dadurch Bedingten hergestellt werden; ferner geht das
für Viele bedeutende dem vor, was nur für eine kleinere An-
zahl von Wichtigkeit ist. Schwierig allerdings ist eine untadelige
Abwägung der geistigen und der sachlichen Güter. Endlich ist
noch zu bemerken, daß die Lebenszwecke des gerade bestehenden
Geschlechtes den größeren Vortheilen der zukünftigen Gene-

Nur verſteht ſich, daß der zu einer Auswanderung Luſttragende
durch ſeine freiwillige Handlung nicht von der Erfüllung bereits
eingegangener Verpflichtungen befreit wird, mag er dieſe nun
gegen die Geſammtheit oder gegen Einzelne eingegangen haben. Je
nach der Art dieſer Verpflichtungen kann er daher entweder bis
zur vollſtändigen Leiſtung zurückgehalten oder zur Beſtellung
genügender Sicherheitsleiſtung genöthigt werden. Auch werden
die privatrechtlichen Beziehungen, welche Verpflichtungen in
der Wahl des Aufenthaltsortes auflegen und die Willkür
brechen, durch die Luſt auszuwandern nicht aufgehoben 5).

b) Recht auf Gewährung der Vortheile, welche die
betreffende Staatsart jedem einzelnen Theilnehmer in
Ausſicht ſtellt. Eine willkürliche Verkürzung Einzelner oder
ganzer Claſſen geht gegen den oberſten Staatsgedanken und
iſt das höchſte mögliche Unrecht von Seiten des Staates.
Die Gewährung iſt alſo nicht eine Gnade, welche auch nach
Belieben entzogen werden kann; ſondern ſie iſt förmliche
Rechtspflicht von Seiten des Staates und ſeines Oberhauptes,
deren eigenes Vorhandenſein durch dieſe Leiſtung bedingt iſt.
Bei einer nachweisbaren und nicht zu beſeitigenden Unzuläng-
lichkeit der Mittel muß wenigſtens das Geſetz der Verhältniß-
mäßigkeit beobachtet werden. Vor Allem iſt alſo wenigſtens
das zur Erhaltung des Daſeins Unentbehrliche zu leiſten, na-
mentlich der Rechtsſchutz. Ueber das Weitere entſcheidet die
Wichtigkeit, dieſe nach dem Durchſchnitte verſtändiger menſchlicher
Schätzung berechnet. Es muß alſo insbeſondere die Bedingung
vor dem dadurch Bedingten hergeſtellt werden; ferner geht das
für Viele bedeutende dem vor, was nur für eine kleinere An-
zahl von Wichtigkeit iſt. Schwierig allerdings iſt eine untadelige
Abwägung der geiſtigen und der ſachlichen Güter. Endlich iſt
noch zu bemerken, daß die Lebenszwecke des gerade beſtehenden
Geſchlechtes den größeren Vortheilen der zukünftigen Gene-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0240" n="226"/>
Nur ver&#x017F;teht &#x017F;ich, daß der zu einer Auswanderung Lu&#x017F;ttragende<lb/>
durch &#x017F;eine freiwillige Handlung nicht von der Erfüllung bereits<lb/>
eingegangener Verpflichtungen befreit wird, mag er die&#x017F;e nun<lb/>
gegen die Ge&#x017F;ammtheit oder gegen Einzelne eingegangen haben. Je<lb/>
nach der Art die&#x017F;er Verpflichtungen kann er daher entweder bis<lb/>
zur voll&#x017F;tändigen Lei&#x017F;tung zurückgehalten oder zur Be&#x017F;tellung<lb/>
genügender Sicherheitslei&#x017F;tung genöthigt werden. Auch werden<lb/>
die privatrechtlichen Beziehungen, welche Verpflichtungen in<lb/>
der Wahl des Aufenthaltsortes auflegen und die Willkür<lb/>
brechen, durch die Lu&#x017F;t auszuwandern nicht aufgehoben <hi rendition="#sup">5</hi>).</p><lb/>
                    <p><hi rendition="#aq">b</hi>) Recht auf Gewährung der <hi rendition="#g">Vortheile</hi>, welche die<lb/><hi rendition="#g">betreffende Staatsart</hi> jedem einzelnen Theilnehmer in<lb/>
Aus&#x017F;icht &#x017F;tellt. Eine willkürliche Verkürzung Einzelner oder<lb/>
ganzer Cla&#x017F;&#x017F;en geht gegen den ober&#x017F;ten Staatsgedanken und<lb/>
i&#x017F;t das höch&#x017F;te mögliche Unrecht von Seiten des Staates.<lb/>
Die Gewährung i&#x017F;t al&#x017F;o nicht eine Gnade, welche auch nach<lb/>
Belieben entzogen werden kann; &#x017F;ondern &#x017F;ie i&#x017F;t förmliche<lb/>
Rechtspflicht von Seiten des Staates und &#x017F;eines Oberhauptes,<lb/>
deren eigenes Vorhanden&#x017F;ein durch die&#x017F;e Lei&#x017F;tung bedingt i&#x017F;t.<lb/>
Bei einer nachweisbaren und nicht zu be&#x017F;eitigenden Unzuläng-<lb/>
lichkeit der Mittel muß wenig&#x017F;tens das Ge&#x017F;etz der Verhältniß-<lb/>
mäßigkeit beobachtet werden. Vor Allem i&#x017F;t al&#x017F;o wenig&#x017F;tens<lb/>
das zur Erhaltung des Da&#x017F;eins Unentbehrliche zu lei&#x017F;ten, na-<lb/>
mentlich der Rechts&#x017F;chutz. Ueber das Weitere ent&#x017F;cheidet die<lb/>
Wichtigkeit, die&#x017F;e nach dem Durch&#x017F;chnitte ver&#x017F;tändiger men&#x017F;chlicher<lb/>
Schätzung berechnet. Es muß al&#x017F;o insbe&#x017F;ondere die Bedingung<lb/>
vor dem dadurch Bedingten herge&#x017F;tellt werden; ferner geht das<lb/>
für Viele bedeutende dem vor, was nur für eine kleinere An-<lb/>
zahl von Wichtigkeit i&#x017F;t. Schwierig allerdings i&#x017F;t eine untadelige<lb/>
Abwägung der gei&#x017F;tigen und der &#x017F;achlichen Güter. Endlich i&#x017F;t<lb/>
noch zu bemerken, daß die Lebenszwecke des gerade be&#x017F;tehenden<lb/>
Ge&#x017F;chlechtes den größeren Vortheilen der zukünftigen Gene-<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0240] Nur verſteht ſich, daß der zu einer Auswanderung Luſttragende durch ſeine freiwillige Handlung nicht von der Erfüllung bereits eingegangener Verpflichtungen befreit wird, mag er dieſe nun gegen die Geſammtheit oder gegen Einzelne eingegangen haben. Je nach der Art dieſer Verpflichtungen kann er daher entweder bis zur vollſtändigen Leiſtung zurückgehalten oder zur Beſtellung genügender Sicherheitsleiſtung genöthigt werden. Auch werden die privatrechtlichen Beziehungen, welche Verpflichtungen in der Wahl des Aufenthaltsortes auflegen und die Willkür brechen, durch die Luſt auszuwandern nicht aufgehoben 5). b) Recht auf Gewährung der Vortheile, welche die betreffende Staatsart jedem einzelnen Theilnehmer in Ausſicht ſtellt. Eine willkürliche Verkürzung Einzelner oder ganzer Claſſen geht gegen den oberſten Staatsgedanken und iſt das höchſte mögliche Unrecht von Seiten des Staates. Die Gewährung iſt alſo nicht eine Gnade, welche auch nach Belieben entzogen werden kann; ſondern ſie iſt förmliche Rechtspflicht von Seiten des Staates und ſeines Oberhauptes, deren eigenes Vorhandenſein durch dieſe Leiſtung bedingt iſt. Bei einer nachweisbaren und nicht zu beſeitigenden Unzuläng- lichkeit der Mittel muß wenigſtens das Geſetz der Verhältniß- mäßigkeit beobachtet werden. Vor Allem iſt alſo wenigſtens das zur Erhaltung des Daſeins Unentbehrliche zu leiſten, na- mentlich der Rechtsſchutz. Ueber das Weitere entſcheidet die Wichtigkeit, dieſe nach dem Durchſchnitte verſtändiger menſchlicher Schätzung berechnet. Es muß alſo insbeſondere die Bedingung vor dem dadurch Bedingten hergeſtellt werden; ferner geht das für Viele bedeutende dem vor, was nur für eine kleinere An- zahl von Wichtigkeit iſt. Schwierig allerdings iſt eine untadelige Abwägung der geiſtigen und der ſachlichen Güter. Endlich iſt noch zu bemerken, daß die Lebenszwecke des gerade beſtehenden Geſchlechtes den größeren Vortheilen der zukünftigen Gene-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/240
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/240>, abgerufen am 03.05.2024.