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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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im Staatsorganismus. Aber allerdings ist eine so durchgreifende
Umgestaltung mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil sich
kaum erwarten läßt, daß die neue Lebensauffassung alsbald
von Allen einstimmig angenommen wird, und namentlich die
im bisherigen Staate besonders Bevorzugten sich schwer zur
freiwilligen Aufgebung ihrer Vortheile entschließen; daher wird
hier in der Regel nur langer Kampf und Gewaltsamkeit der
Mittel zum Ziele führen.

Versäumniß rechtzeitiger und ausreichender Verbesserungen
ist nicht nur unsittlich und unrecht, sondern auch unklug. Die
nächste Folge ist ein Kränkeln des Staatslebens, immer weiter
um sich greifende Unzufriedenheit, staatliche Verschlechterung
der Bürger und allgemeines Mißbehagen. Bei längerer Fortdauer
aber und in besonders schweren Fällen werden Empörungen
und gewaltsame Umsturzversuche nicht ausbleiben, deren Folgen
sodann im besten Falle vielfaches Unglück Einzelner, auf lange
Zeit wirkende Erschütterungen der Grundlagen alles gesell-
schaftlichen Lebens, endlich unglückliche Uebergangszustände sind,
leicht aber auch blutige Bürgerkriege, ungeheure Verbrechen,
gründliche Zerrüttung des Volkswohlstandes und fortdauernde
neue Bewegungen sein können. Genügende und zeitige Ver-
besserung auf gesetzlichem Wege ist also das einzige, aber auch
ein sicheres Vorbeugungsmittel. Natürlich ist ein solches nicht
zu verwechseln mit feigem und kopflosem Nachgeben gegen unbe-
rechtigte Forderungen von Minderheiten oder gegen lärmende
Aufwallungen von Pöbelhaufen.

Weder in der Wissenschaft noch im Leben läßt sich die
schwierige und kitzliche Frage umgehen: ob zu einer gewaltsamen
Auflehnung der Bürger und einer gegen den Willen der bis-
herigen Machthaber durchzuführenden Aenderung ein Recht
bestehe, wenn gewünschte Umgestaltungen des Staates nicht
freiwillig und auf friedlichem, gesetzlichem Wege erfolgen?

im Staatsorganismus. Aber allerdings iſt eine ſo durchgreifende
Umgeſtaltung mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil ſich
kaum erwarten läßt, daß die neue Lebensauffaſſung alsbald
von Allen einſtimmig angenommen wird, und namentlich die
im bisherigen Staate beſonders Bevorzugten ſich ſchwer zur
freiwilligen Aufgebung ihrer Vortheile entſchließen; daher wird
hier in der Regel nur langer Kampf und Gewaltſamkeit der
Mittel zum Ziele führen.

Verſäumniß rechtzeitiger und ausreichender Verbeſſerungen
iſt nicht nur unſittlich und unrecht, ſondern auch unklug. Die
nächſte Folge iſt ein Kränkeln des Staatslebens, immer weiter
um ſich greifende Unzufriedenheit, ſtaatliche Verſchlechterung
der Bürger und allgemeines Mißbehagen. Bei längerer Fortdauer
aber und in beſonders ſchweren Fällen werden Empörungen
und gewaltſame Umſturzverſuche nicht ausbleiben, deren Folgen
ſodann im beſten Falle vielfaches Unglück Einzelner, auf lange
Zeit wirkende Erſchütterungen der Grundlagen alles geſell-
ſchaftlichen Lebens, endlich unglückliche Uebergangszuſtände ſind,
leicht aber auch blutige Bürgerkriege, ungeheure Verbrechen,
gründliche Zerrüttung des Volkswohlſtandes und fortdauernde
neue Bewegungen ſein können. Genügende und zeitige Ver-
beſſerung auf geſetzlichem Wege iſt alſo das einzige, aber auch
ein ſicheres Vorbeugungsmittel. Natürlich iſt ein ſolches nicht
zu verwechſeln mit feigem und kopfloſem Nachgeben gegen unbe-
rechtigte Forderungen von Minderheiten oder gegen lärmende
Aufwallungen von Pöbelhaufen.

Weder in der Wiſſenſchaft noch im Leben läßt ſich die
ſchwierige und kitzliche Frage umgehen: ob zu einer gewaltſamen
Auflehnung der Bürger und einer gegen den Willen der bis-
herigen Machthaber durchzuführenden Aenderung ein Recht
beſtehe, wenn gewünſchte Umgeſtaltungen des Staates nicht
freiwillig und auf friedlichem, geſetzlichem Wege erfolgen?

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[162/0176] im Staatsorganismus. Aber allerdings iſt eine ſo durchgreifende Umgeſtaltung mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil ſich kaum erwarten läßt, daß die neue Lebensauffaſſung alsbald von Allen einſtimmig angenommen wird, und namentlich die im bisherigen Staate beſonders Bevorzugten ſich ſchwer zur freiwilligen Aufgebung ihrer Vortheile entſchließen; daher wird hier in der Regel nur langer Kampf und Gewaltſamkeit der Mittel zum Ziele führen. Verſäumniß rechtzeitiger und ausreichender Verbeſſerungen iſt nicht nur unſittlich und unrecht, ſondern auch unklug. Die nächſte Folge iſt ein Kränkeln des Staatslebens, immer weiter um ſich greifende Unzufriedenheit, ſtaatliche Verſchlechterung der Bürger und allgemeines Mißbehagen. Bei längerer Fortdauer aber und in beſonders ſchweren Fällen werden Empörungen und gewaltſame Umſturzverſuche nicht ausbleiben, deren Folgen ſodann im beſten Falle vielfaches Unglück Einzelner, auf lange Zeit wirkende Erſchütterungen der Grundlagen alles geſell- ſchaftlichen Lebens, endlich unglückliche Uebergangszuſtände ſind, leicht aber auch blutige Bürgerkriege, ungeheure Verbrechen, gründliche Zerrüttung des Volkswohlſtandes und fortdauernde neue Bewegungen ſein können. Genügende und zeitige Ver- beſſerung auf geſetzlichem Wege iſt alſo das einzige, aber auch ein ſicheres Vorbeugungsmittel. Natürlich iſt ein ſolches nicht zu verwechſeln mit feigem und kopfloſem Nachgeben gegen unbe- rechtigte Forderungen von Minderheiten oder gegen lärmende Aufwallungen von Pöbelhaufen. Weder in der Wiſſenſchaft noch im Leben läßt ſich die ſchwierige und kitzliche Frage umgehen: ob zu einer gewaltſamen Auflehnung der Bürger und einer gegen den Willen der bis- herigen Machthaber durchzuführenden Aenderung ein Recht beſtehe, wenn gewünſchte Umgeſtaltungen des Staates nicht freiwillig und auf friedlichem, geſetzlichem Wege erfolgen?

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/176>, abgerufen am 28.04.2024.