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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Unendlich besser ist es freilich, wenn diese Frage nicht zur
praktischen Beantwortung gestellt wird; und Diejenigen, welche
durch Selbstsucht und Eigensinn die Nothwendigkeit einer that-
sächlichen Lösung herbeiführen, machen sich des größten politi-
schen Fehlers und des höchsten sittlichen Vergehens schuldig.
Allein da die Vermeidung einer theoretischen Antwort auf die
Frage die im Leben etwa vorkommenden Fälle nicht erledigt,
im Gegentheile eine besonnene Erörterung Klarheit und somit
Nutzen schafft: so erscheint die Aufstellung nachstehender Sätze
als nöthig.

Vor Allem müssen diejenigen Verhältnisse ausgeschieden
werden, bei welchen unter keinen Umständen von einem Rechte
zu einer gewaltsamen Umgestaltung des Staates die Rede sein
kann. -- Zunächst sind es alle diejenigen Fälle, in welchen
die gewöhnlichen gesetzlichen Mittel noch nicht vollständig erschöpft
sind. Ein Nothfall ist ja nicht vorhanden, wo noch regel-
mäßige Hülfe angerufen werden kann. Von selbst ergibt sich
dabei, wie wohlthätig auch in vorliegender Beziehung Staats-
einrichtungen sind, welche der Stimme des Volkes in geord-
neter Weise Gehör verschaffen. -- Ebensowenig besteht ein
Recht zu irgend einem gewaltthätigen Schritte, wenn das
Bedürfniß der Umgestaltung noch kein allgemeines ist.
Der Staat ist zur Förderung der Lebenszwecke des ganzen
Volkes bestimmt, nicht aber für die abweichenden Auffassungen
einer Minderheit; und ganz gleichgültig ist es hierbei, ob eine
Minderzahl geistig weiter fortgeschritten zu sein glaubt als die
Masse. In letzterer Voraussetzung mag sie die Gesammtheit
durch Belehrung nach sich zu ziehen suchen; allein bis zur
Erreichung dieses Zieles hat sie keine Befugniß zur Aufdrängung
ihrer vereinzelten Plane. Je folgeschwerer jeder Versuch einer
gewaltsamen Auflehnung gegen das Bestehende ist, und je
leichter er fehlgeschlagen und dann die Uebel nur noch ver-

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Unendlich beſſer iſt es freilich, wenn dieſe Frage nicht zur
praktiſchen Beantwortung geſtellt wird; und Diejenigen, welche
durch Selbſtſucht und Eigenſinn die Nothwendigkeit einer that-
ſächlichen Löſung herbeiführen, machen ſich des größten politi-
ſchen Fehlers und des höchſten ſittlichen Vergehens ſchuldig.
Allein da die Vermeidung einer theoretiſchen Antwort auf die
Frage die im Leben etwa vorkommenden Fälle nicht erledigt,
im Gegentheile eine beſonnene Erörterung Klarheit und ſomit
Nutzen ſchafft: ſo erſcheint die Aufſtellung nachſtehender Sätze
als nöthig.

Vor Allem müſſen diejenigen Verhältniſſe ausgeſchieden
werden, bei welchen unter keinen Umſtänden von einem Rechte
zu einer gewaltſamen Umgeſtaltung des Staates die Rede ſein
kann. — Zunächſt ſind es alle diejenigen Fälle, in welchen
die gewöhnlichen geſetzlichen Mittel noch nicht vollſtändig erſchöpft
ſind. Ein Nothfall iſt ja nicht vorhanden, wo noch regel-
mäßige Hülfe angerufen werden kann. Von ſelbſt ergibt ſich
dabei, wie wohlthätig auch in vorliegender Beziehung Staats-
einrichtungen ſind, welche der Stimme des Volkes in geord-
neter Weiſe Gehör verſchaffen. — Ebenſowenig beſteht ein
Recht zu irgend einem gewaltthätigen Schritte, wenn das
Bedürfniß der Umgeſtaltung noch kein allgemeines iſt.
Der Staat iſt zur Förderung der Lebenszwecke des ganzen
Volkes beſtimmt, nicht aber für die abweichenden Auffaſſungen
einer Minderheit; und ganz gleichgültig iſt es hierbei, ob eine
Minderzahl geiſtig weiter fortgeſchritten zu ſein glaubt als die
Maſſe. In letzterer Vorausſetzung mag ſie die Geſammtheit
durch Belehrung nach ſich zu ziehen ſuchen; allein bis zur
Erreichung dieſes Zieles hat ſie keine Befugniß zur Aufdrängung
ihrer vereinzelten Plane. Je folgeſchwerer jeder Verſuch einer
gewaltſamen Auflehnung gegen das Beſtehende iſt, und je
leichter er fehlgeſchlagen und dann die Uebel nur noch ver-

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[163/0177] Unendlich beſſer iſt es freilich, wenn dieſe Frage nicht zur praktiſchen Beantwortung geſtellt wird; und Diejenigen, welche durch Selbſtſucht und Eigenſinn die Nothwendigkeit einer that- ſächlichen Löſung herbeiführen, machen ſich des größten politi- ſchen Fehlers und des höchſten ſittlichen Vergehens ſchuldig. Allein da die Vermeidung einer theoretiſchen Antwort auf die Frage die im Leben etwa vorkommenden Fälle nicht erledigt, im Gegentheile eine beſonnene Erörterung Klarheit und ſomit Nutzen ſchafft: ſo erſcheint die Aufſtellung nachſtehender Sätze als nöthig. Vor Allem müſſen diejenigen Verhältniſſe ausgeſchieden werden, bei welchen unter keinen Umſtänden von einem Rechte zu einer gewaltſamen Umgeſtaltung des Staates die Rede ſein kann. — Zunächſt ſind es alle diejenigen Fälle, in welchen die gewöhnlichen geſetzlichen Mittel noch nicht vollſtändig erſchöpft ſind. Ein Nothfall iſt ja nicht vorhanden, wo noch regel- mäßige Hülfe angerufen werden kann. Von ſelbſt ergibt ſich dabei, wie wohlthätig auch in vorliegender Beziehung Staats- einrichtungen ſind, welche der Stimme des Volkes in geord- neter Weiſe Gehör verſchaffen. — Ebenſowenig beſteht ein Recht zu irgend einem gewaltthätigen Schritte, wenn das Bedürfniß der Umgeſtaltung noch kein allgemeines iſt. Der Staat iſt zur Förderung der Lebenszwecke des ganzen Volkes beſtimmt, nicht aber für die abweichenden Auffaſſungen einer Minderheit; und ganz gleichgültig iſt es hierbei, ob eine Minderzahl geiſtig weiter fortgeſchritten zu ſein glaubt als die Maſſe. In letzterer Vorausſetzung mag ſie die Geſammtheit durch Belehrung nach ſich zu ziehen ſuchen; allein bis zur Erreichung dieſes Zieles hat ſie keine Befugniß zur Aufdrängung ihrer vereinzelten Plane. Je folgeſchwerer jeder Verſuch einer gewaltſamen Auflehnung gegen das Beſtehende iſt, und je leichter er fehlgeſchlagen und dann die Uebel nur noch ver- 11*

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/177>, abgerufen am 28.04.2024.