Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

denn es ist nicht nur eine Erleichterung der Arbeit, das
von Andern bereits Geleistete zu benützen, sondern in der
That eine große sittliche und politische Schuld, Besseres
zu unterlassen aus Selbstüberhebung und vermeidbarer
Unwissenheit. Mittel: Beiziehung von Männern der Wissen-
schaft; Bekanntmachung der Entwürfe vor deren schließlicher
Feststellung; Aufforderung zur Beurtheilung und Beloh-
nung derselben; genügende Büchersammlungen; Reisen
Sachverständiger ins Ausland.

Beschränkung der Gesetzgebung auf allgemein gefühlte
Bedürfnisse und auf den richtigen geographischen Um-
fang. Eine allzugroße Thätigkeit der Gesetzgebung er-
zeugt leicht Verwirrung in den Befehlen, unsichere Kennt-
niß der Beamten und Bürger, schließlich Nichtbeachtung.
Es kann daher auch des Guten zu viel geschehen, und
dieses dann in Uebel umschlagen. Pedantisch und unge-
recht aber ist es, Einrichtungen, welche nur einem mehr
oder weniger ausgedehnten örtlichen Bedürfniße entsprechen,
auf Alle auszudehnen, und diese dadurch zu belästigen.
In großen Reichen sind Provinzialgesetzgebungen natur-
gemäß.

Verhältnißmäßigkeit der Mittel. Die Leistungen
des Staates sind ihrem Gegenstande und Werthe nach sehr
verschieden; ebenso die Mittel zu ihrer Durchführung nach dem
Aufwande an geistiger und körperlicher Kraft. Nutzen und
Mittel müssen selbstredend in jedem einzelnen Falle in richtigem
Verhältnisse stehen. Wenn also ein Gesetz nur einem verhält-
nißmäßig geringeren Bedürfnisse abhelfen, es dagegen weitläufige
Einrichtungen, zahlreiche Beamte, großen Geldaufwand erfordern,
oder den Bürgern viele Zeit kosten würde: so wäre seine Er-
lassung unverständig, auch wenn an und für sich gegen den
Inhalt nichts einzuwenden wäre. Namentlich muß darauf ge-

v. Mohl, Encyclopädie. 10

denn es iſt nicht nur eine Erleichterung der Arbeit, das
von Andern bereits Geleiſtete zu benützen, ſondern in der
That eine große ſittliche und politiſche Schuld, Beſſeres
zu unterlaſſen aus Selbſtüberhebung und vermeidbarer
Unwiſſenheit. Mittel: Beiziehung von Männern der Wiſſen-
ſchaft; Bekanntmachung der Entwürfe vor deren ſchließlicher
Feſtſtellung; Aufforderung zur Beurtheilung und Beloh-
nung derſelben; genügende Bücherſammlungen; Reiſen
Sachverſtändiger ins Ausland.

Beſchränkung der Geſetzgebung auf allgemein gefühlte
Bedürfniſſe und auf den richtigen geographiſchen Um-
fang. Eine allzugroße Thätigkeit der Geſetzgebung er-
zeugt leicht Verwirrung in den Befehlen, unſichere Kennt-
niß der Beamten und Bürger, ſchließlich Nichtbeachtung.
Es kann daher auch des Guten zu viel geſchehen, und
dieſes dann in Uebel umſchlagen. Pedantiſch und unge-
recht aber iſt es, Einrichtungen, welche nur einem mehr
oder weniger ausgedehnten örtlichen Bedürfniße entſprechen,
auf Alle auszudehnen, und dieſe dadurch zu beläſtigen.
In großen Reichen ſind Provinzialgeſetzgebungen natur-
gemäß.

Verhältnißmäßigkeit der Mittel. Die Leiſtungen
des Staates ſind ihrem Gegenſtande und Werthe nach ſehr
verſchieden; ebenſo die Mittel zu ihrer Durchführung nach dem
Aufwande an geiſtiger und körperlicher Kraft. Nutzen und
Mittel müſſen ſelbſtredend in jedem einzelnen Falle in richtigem
Verhältniſſe ſtehen. Wenn alſo ein Geſetz nur einem verhält-
nißmäßig geringeren Bedürfniſſe abhelfen, es dagegen weitläufige
Einrichtungen, zahlreiche Beamte, großen Geldaufwand erfordern,
oder den Bürgern viele Zeit koſten würde: ſo wäre ſeine Er-
laſſung unverſtändig, auch wenn an und für ſich gegen den
Inhalt nichts einzuwenden wäre. Namentlich muß darauf ge-

v. Mohl, Encyclopädie. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0159" n="145"/>
denn es i&#x017F;t nicht nur eine Erleichterung der Arbeit, das<lb/>
von Andern bereits Gelei&#x017F;tete zu benützen, &#x017F;ondern in der<lb/>
That eine große &#x017F;ittliche und politi&#x017F;che Schuld, Be&#x017F;&#x017F;eres<lb/>
zu unterla&#x017F;&#x017F;en aus Selb&#x017F;tüberhebung und vermeidbarer<lb/>
Unwi&#x017F;&#x017F;enheit. Mittel: Beiziehung von Männern der Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft; Bekanntmachung der Entwürfe vor deren &#x017F;chließlicher<lb/>
Fe&#x017F;t&#x017F;tellung; Aufforderung zur Beurtheilung und Beloh-<lb/>
nung der&#x017F;elben; genügende Bücher&#x017F;ammlungen; Rei&#x017F;en<lb/>
Sachver&#x017F;tändiger ins Ausland.</hi> </p><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">Be&#x017F;chränkung der Ge&#x017F;etzgebung auf allgemein gefühlte<lb/>
Bedürfni&#x017F;&#x017F;e und auf den richtigen geographi&#x017F;chen Um-<lb/>
fang. Eine allzugroße Thätigkeit der Ge&#x017F;etzgebung er-<lb/>
zeugt leicht Verwirrung in den Befehlen, un&#x017F;ichere Kennt-<lb/>
niß der Beamten und Bürger, &#x017F;chließlich Nichtbeachtung.<lb/>
Es kann daher auch des Guten zu viel ge&#x017F;chehen, und<lb/>
die&#x017F;es dann in Uebel um&#x017F;chlagen. Pedanti&#x017F;ch und unge-<lb/>
recht aber i&#x017F;t es, Einrichtungen, welche nur einem mehr<lb/>
oder weniger ausgedehnten örtlichen Bedürfniße ent&#x017F;prechen,<lb/>
auf Alle auszudehnen, und die&#x017F;e dadurch zu belä&#x017F;tigen.<lb/>
In großen Reichen &#x017F;ind Provinzialge&#x017F;etzgebungen natur-<lb/>
gemäß.</hi> </p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Verhältnißmäßigkeit der Mittel</hi>. Die Lei&#x017F;tungen<lb/>
des Staates &#x017F;ind ihrem Gegen&#x017F;tande und Werthe nach &#x017F;ehr<lb/>
ver&#x017F;chieden; eben&#x017F;o die Mittel zu ihrer Durchführung nach dem<lb/>
Aufwande an gei&#x017F;tiger und körperlicher Kraft. Nutzen und<lb/>
Mittel mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;tredend in jedem einzelnen Falle in richtigem<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tehen. Wenn al&#x017F;o ein Ge&#x017F;etz nur einem verhält-<lb/>
nißmäßig geringeren Bedürfni&#x017F;&#x017F;e abhelfen, es dagegen weitläufige<lb/>
Einrichtungen, zahlreiche Beamte, großen Geldaufwand erfordern,<lb/>
oder den Bürgern viele Zeit ko&#x017F;ten würde: &#x017F;o wäre &#x017F;eine Er-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;ung unver&#x017F;tändig, auch wenn an und für &#x017F;ich gegen den<lb/>
Inhalt nichts einzuwenden wäre. Namentlich muß darauf ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">v. <hi rendition="#g">Mohl</hi>, Encyclopädie. 10</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0159] denn es iſt nicht nur eine Erleichterung der Arbeit, das von Andern bereits Geleiſtete zu benützen, ſondern in der That eine große ſittliche und politiſche Schuld, Beſſeres zu unterlaſſen aus Selbſtüberhebung und vermeidbarer Unwiſſenheit. Mittel: Beiziehung von Männern der Wiſſen- ſchaft; Bekanntmachung der Entwürfe vor deren ſchließlicher Feſtſtellung; Aufforderung zur Beurtheilung und Beloh- nung derſelben; genügende Bücherſammlungen; Reiſen Sachverſtändiger ins Ausland. Beſchränkung der Geſetzgebung auf allgemein gefühlte Bedürfniſſe und auf den richtigen geographiſchen Um- fang. Eine allzugroße Thätigkeit der Geſetzgebung er- zeugt leicht Verwirrung in den Befehlen, unſichere Kennt- niß der Beamten und Bürger, ſchließlich Nichtbeachtung. Es kann daher auch des Guten zu viel geſchehen, und dieſes dann in Uebel umſchlagen. Pedantiſch und unge- recht aber iſt es, Einrichtungen, welche nur einem mehr oder weniger ausgedehnten örtlichen Bedürfniße entſprechen, auf Alle auszudehnen, und dieſe dadurch zu beläſtigen. In großen Reichen ſind Provinzialgeſetzgebungen natur- gemäß. Verhältnißmäßigkeit der Mittel. Die Leiſtungen des Staates ſind ihrem Gegenſtande und Werthe nach ſehr verſchieden; ebenſo die Mittel zu ihrer Durchführung nach dem Aufwande an geiſtiger und körperlicher Kraft. Nutzen und Mittel müſſen ſelbſtredend in jedem einzelnen Falle in richtigem Verhältniſſe ſtehen. Wenn alſo ein Geſetz nur einem verhält- nißmäßig geringeren Bedürfniſſe abhelfen, es dagegen weitläufige Einrichtungen, zahlreiche Beamte, großen Geldaufwand erfordern, oder den Bürgern viele Zeit koſten würde: ſo wäre ſeine Er- laſſung unverſtändig, auch wenn an und für ſich gegen den Inhalt nichts einzuwenden wäre. Namentlich muß darauf ge- v. Mohl, Encyclopädie. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/159
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/159>, abgerufen am 27.04.2024.