Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen werden, ob nicht die richtige Vollziehung eines Gesetzes
ein ungewöhnliches Maß von Geisteskräften erforderte. Da der
Staat über große Männer jeden Falles nicht in bedeutender Zahl
zu verfügen hat, dieselben auch wohl theuer zu stehen kommen
werden, so müssen sie, so weit sie vorhanden sind, für die
wichtigsten öffentlichen Angelegenheiten aufgespart werden, und
minder Bedeutendes, was aber ohne ihre Hülfe gar nicht zu
Stande kommen könnte oder verkehrt wirken würde, hat zu
unterbleiben. Der allgemeine Stand der Bildung eines Volkes
bedingt die Gesetzgebung desselben in doppelter Weise: einmal
hinsichtlich der daraus entstehenden Forderungen an das Leben
und an den Staat; zweitens hinsichtlich der zur Ausführung
bereiten Geisteskräfte.

Eine gute Form der Gesetze setzt folgende Eigenschaften
voraus:

Beschränkung auf Grundsätze und Vermeidung klein-
licher Casuistik. Natürlich muß der Gesetzgeber, wenn er ver-
schiedene Vorschriften für verschiedene Gattungen von Fällen
geben will, dieses ausdrücken; allein es ist nicht nur unmöglich,
alle kleineren Abschattungen der Verhältnisse aufzufinden und
für jede derselben eine eigene Entscheidung zu geben, sondern
es führt schon der Versuch zu einem solchen Eingehen in die
feinsten Unterschiede zu großen Schwierigkeiten bei der Anwen-
dung, da die Unterordnung der in der Wirklichkeit sich zu-
tragenden einzelnen Fälle unter einen allgemeinen Satz weit
leichter und weit sicherer ist, als die analoge Anpassung der
nächsten kleineren Bestimmung. Für ganz eigenthümliche Fälle,
deren Behandlung nach dem allgemeinen Grundsatze widersinnig
wäre, mag den Behörden der nöthige Spielraum, dem Staats-
oberhaupte ein Begnadigungs- und Dispensationsrecht zustehen.

Kürze und Einfachheit der Fassung. Deutliche
Gedanken können immer auch deutlich ausgedrückt werden, und

ſehen werden, ob nicht die richtige Vollziehung eines Geſetzes
ein ungewöhnliches Maß von Geiſteskräften erforderte. Da der
Staat über große Männer jeden Falles nicht in bedeutender Zahl
zu verfügen hat, dieſelben auch wohl theuer zu ſtehen kommen
werden, ſo müſſen ſie, ſo weit ſie vorhanden ſind, für die
wichtigſten öffentlichen Angelegenheiten aufgeſpart werden, und
minder Bedeutendes, was aber ohne ihre Hülfe gar nicht zu
Stande kommen könnte oder verkehrt wirken würde, hat zu
unterbleiben. Der allgemeine Stand der Bildung eines Volkes
bedingt die Geſetzgebung deſſelben in doppelter Weiſe: einmal
hinſichtlich der daraus entſtehenden Forderungen an das Leben
und an den Staat; zweitens hinſichtlich der zur Ausführung
bereiten Geiſteskräfte.

Eine gute Form der Geſetze ſetzt folgende Eigenſchaften
voraus:

Beſchränkung auf Grundſätze und Vermeidung klein-
licher Caſuiſtik. Natürlich muß der Geſetzgeber, wenn er ver-
ſchiedene Vorſchriften für verſchiedene Gattungen von Fällen
geben will, dieſes ausdrücken; allein es iſt nicht nur unmöglich,
alle kleineren Abſchattungen der Verhältniſſe aufzufinden und
für jede derſelben eine eigene Entſcheidung zu geben, ſondern
es führt ſchon der Verſuch zu einem ſolchen Eingehen in die
feinſten Unterſchiede zu großen Schwierigkeiten bei der Anwen-
dung, da die Unterordnung der in der Wirklichkeit ſich zu-
tragenden einzelnen Fälle unter einen allgemeinen Satz weit
leichter und weit ſicherer iſt, als die analoge Anpaſſung der
nächſten kleineren Beſtimmung. Für ganz eigenthümliche Fälle,
deren Behandlung nach dem allgemeinen Grundſatze widerſinnig
wäre, mag den Behörden der nöthige Spielraum, dem Staats-
oberhaupte ein Begnadigungs- und Dispenſationsrecht zuſtehen.

Kürze und Einfachheit der Faſſung. Deutliche
Gedanken können immer auch deutlich ausgedrückt werden, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0160" n="146"/>
&#x017F;ehen werden, ob nicht die richtige Vollziehung eines Ge&#x017F;etzes<lb/>
ein ungewöhnliches Maß von Gei&#x017F;teskräften erforderte. Da der<lb/>
Staat über große Männer jeden Falles nicht in bedeutender Zahl<lb/>
zu verfügen hat, die&#x017F;elben auch wohl theuer zu &#x017F;tehen kommen<lb/>
werden, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie, &#x017F;o weit &#x017F;ie vorhanden &#x017F;ind, für die<lb/>
wichtig&#x017F;ten öffentlichen Angelegenheiten aufge&#x017F;part werden, und<lb/>
minder Bedeutendes, was aber ohne ihre Hülfe gar nicht zu<lb/>
Stande kommen könnte oder verkehrt wirken würde, hat zu<lb/>
unterbleiben. Der allgemeine Stand der Bildung eines Volkes<lb/>
bedingt die Ge&#x017F;etzgebung de&#x017F;&#x017F;elben in doppelter Wei&#x017F;e: einmal<lb/>
hin&#x017F;ichtlich der daraus ent&#x017F;tehenden Forderungen an das Leben<lb/>
und an den Staat; zweitens hin&#x017F;ichtlich der zur Ausführung<lb/>
bereiten Gei&#x017F;teskräfte.</p><lb/>
            <p>Eine gute <hi rendition="#g">Form</hi> der Ge&#x017F;etze &#x017F;etzt folgende Eigen&#x017F;chaften<lb/>
voraus:</p><lb/>
            <p>Be&#x017F;chränkung auf <hi rendition="#g">Grund&#x017F;ätze</hi> und Vermeidung klein-<lb/>
licher Ca&#x017F;ui&#x017F;tik. Natürlich muß der Ge&#x017F;etzgeber, wenn er ver-<lb/>
&#x017F;chiedene Vor&#x017F;chriften für ver&#x017F;chiedene Gattungen von Fällen<lb/>
geben will, die&#x017F;es ausdrücken; allein es i&#x017F;t nicht nur unmöglich,<lb/>
alle kleineren Ab&#x017F;chattungen der Verhältni&#x017F;&#x017F;e aufzufinden und<lb/>
für jede der&#x017F;elben eine eigene Ent&#x017F;cheidung zu geben, &#x017F;ondern<lb/>
es führt &#x017F;chon der Ver&#x017F;uch zu einem &#x017F;olchen Eingehen in die<lb/>
fein&#x017F;ten Unter&#x017F;chiede zu großen Schwierigkeiten bei der Anwen-<lb/>
dung, da die Unterordnung der in der Wirklichkeit &#x017F;ich zu-<lb/>
tragenden einzelnen Fälle unter einen allgemeinen Satz weit<lb/>
leichter und weit &#x017F;icherer i&#x017F;t, als die analoge Anpa&#x017F;&#x017F;ung der<lb/>
näch&#x017F;ten kleineren Be&#x017F;timmung. Für ganz eigenthümliche Fälle,<lb/>
deren Behandlung nach dem allgemeinen Grund&#x017F;atze wider&#x017F;innig<lb/>
wäre, mag den Behörden der nöthige Spielraum, dem Staats-<lb/>
oberhaupte ein Begnadigungs- und Dispen&#x017F;ationsrecht zu&#x017F;tehen.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Kürze und Einfachheit der Fa&#x017F;&#x017F;ung</hi>. Deutliche<lb/>
Gedanken können immer auch deutlich ausgedrückt werden, und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0160] ſehen werden, ob nicht die richtige Vollziehung eines Geſetzes ein ungewöhnliches Maß von Geiſteskräften erforderte. Da der Staat über große Männer jeden Falles nicht in bedeutender Zahl zu verfügen hat, dieſelben auch wohl theuer zu ſtehen kommen werden, ſo müſſen ſie, ſo weit ſie vorhanden ſind, für die wichtigſten öffentlichen Angelegenheiten aufgeſpart werden, und minder Bedeutendes, was aber ohne ihre Hülfe gar nicht zu Stande kommen könnte oder verkehrt wirken würde, hat zu unterbleiben. Der allgemeine Stand der Bildung eines Volkes bedingt die Geſetzgebung deſſelben in doppelter Weiſe: einmal hinſichtlich der daraus entſtehenden Forderungen an das Leben und an den Staat; zweitens hinſichtlich der zur Ausführung bereiten Geiſteskräfte. Eine gute Form der Geſetze ſetzt folgende Eigenſchaften voraus: Beſchränkung auf Grundſätze und Vermeidung klein- licher Caſuiſtik. Natürlich muß der Geſetzgeber, wenn er ver- ſchiedene Vorſchriften für verſchiedene Gattungen von Fällen geben will, dieſes ausdrücken; allein es iſt nicht nur unmöglich, alle kleineren Abſchattungen der Verhältniſſe aufzufinden und für jede derſelben eine eigene Entſcheidung zu geben, ſondern es führt ſchon der Verſuch zu einem ſolchen Eingehen in die feinſten Unterſchiede zu großen Schwierigkeiten bei der Anwen- dung, da die Unterordnung der in der Wirklichkeit ſich zu- tragenden einzelnen Fälle unter einen allgemeinen Satz weit leichter und weit ſicherer iſt, als die analoge Anpaſſung der nächſten kleineren Beſtimmung. Für ganz eigenthümliche Fälle, deren Behandlung nach dem allgemeinen Grundſatze widerſinnig wäre, mag den Behörden der nöthige Spielraum, dem Staats- oberhaupte ein Begnadigungs- und Dispenſationsrecht zuſtehen. Kürze und Einfachheit der Faſſung. Deutliche Gedanken können immer auch deutlich ausgedrückt werden, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/160
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/160>, abgerufen am 24.11.2024.