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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Rechtfertigung zu erfolgen und welcher ein Urtheil auszusprechen
hat. Ein über der Staatsgewalt stehender Höherer ist aber
nicht vorhanden; wäre doch sonst eben dieser der Inhaber der
Staatsgewalt, und dann über ihm Niemand mehr. Außerdem
ist aber eine Verantwortlichkeit des Inhabers der obersten Gewalt
eine practische Unmöglichkeit, und schon der Versuch einer
Geltendmachung ein großes Unglück. Jenes ist der Fall,
weil Niemand Den zwingen und einem Befehle unterwerfen
kann, welcher über die gesammte Macht des einheitlich geord-
neten Volkes verfügt; Unglück aber ist die unvermeidliche Folge
auch nur eines Versuches, weil ein solcher nothwendig einen
erbitterten inneren Kampf hervorrufen muß. Nur eine bereits
gestürzte und durch eine neue mächtigere ersetzte Staatsgewalt
kann mit Erfolg (wenn schon mit Unrecht) zur Verantwortung
gezogen werden; daher ist auch der Anblick eines solchen Vor-
falles von so hochtragischer Wirkung.

1) Allgemeine Literatur über Staatsgewalt und Souverainität: Feuer-
dach
, A., Antihobbes, oder über die Grenzen der höchsten Gewalt. Erfurt,
1798. -- Ancillon, F., Ueber Souverainität und Staatsverfassung.
Berlin, 1816. -- Zachariä, K. S., Vierzig Bücher. Bd. I, S. 82 ff.
-- Schmitthenner, F., Ueber das Wesen der Staatsgewalt, (in Bülau's
Jahrb., 1841, S. 431). -- Zöpfl, H., Staatsrecht. Bd. I, S. 76 ff. --
Humboldt, W. von, Ideen über die Grenzen der Wirksamkeit des
Staates. Breslau, 1851. -- Dupont-White, L'individu et l'etat.
Ed. 2, Par.,
1858.
2) Die Lehre von der ursprünglichen und unveräußerlichen Souverai-
nität des Volkes ist zu aller Zeit bei tiefgehenden staatlichen Bewegungen
von Feinden der bestehenden Gewalt behauptet und als ein mächtiges
Angriffsmittel benutzt worden. So von F. Hotman in seinen Kämpfen
gegen Heinrich III. und die Ligue; von Junius Brutus und Buchanan
im Anfange der englischen Umwälzung. Bald hat sie jedoch auch Gegner
gefunden, z. B. an Hugo Grotius. (Man sehe diese ältere Literatur bei
Hertius, Opusc. Bd. I, dissert. 9.) Die meiste Verbreitung und der größte
Einfluß ist dieser Ansicht jedoch durch J. J. Rousseau verschafft worden.
Von ihm an ist unzähligemale gelehrt worden, daß die Staatsgewalt (Sou-
verainität) nur dem Volke rechtlich zustehe, nur in seinem Auftrage aus-

Rechtfertigung zu erfolgen und welcher ein Urtheil auszuſprechen
hat. Ein über der Staatsgewalt ſtehender Höherer iſt aber
nicht vorhanden; wäre doch ſonſt eben dieſer der Inhaber der
Staatsgewalt, und dann über ihm Niemand mehr. Außerdem
iſt aber eine Verantwortlichkeit des Inhabers der oberſten Gewalt
eine practiſche Unmöglichkeit, und ſchon der Verſuch einer
Geltendmachung ein großes Unglück. Jenes iſt der Fall,
weil Niemand Den zwingen und einem Befehle unterwerfen
kann, welcher über die geſammte Macht des einheitlich geord-
neten Volkes verfügt; Unglück aber iſt die unvermeidliche Folge
auch nur eines Verſuches, weil ein ſolcher nothwendig einen
erbitterten inneren Kampf hervorrufen muß. Nur eine bereits
geſtürzte und durch eine neue mächtigere erſetzte Staatsgewalt
kann mit Erfolg (wenn ſchon mit Unrecht) zur Verantwortung
gezogen werden; daher iſt auch der Anblick eines ſolchen Vor-
falles von ſo hochtragiſcher Wirkung.

1) Allgemeine Literatur über Staatsgewalt und Souverainität: Feuer-
dach
, A., Antihobbes, oder über die Grenzen der höchſten Gewalt. Erfurt,
1798. — Ancillon, F., Ueber Souverainität und Staatsverfaſſung.
Berlin, 1816. — Zachariä, K. S., Vierzig Bücher. Bd. I, S. 82 ff.
Schmitthenner, F., Ueber das Weſen der Staatsgewalt, (in Bülau’s
Jahrb., 1841, S. 431). — Zöpfl, H., Staatsrecht. Bd. I, S. 76 ff. —
Humboldt, W. von, Ideen über die Grenzen der Wirkſamkeit des
Staates. Breslau, 1851. — Dupont-White, L’individu et l’état.
Éd. 2, Par.,
1858.
2) Die Lehre von der urſprünglichen und unveräußerlichen Souverai-
nität des Volkes iſt zu aller Zeit bei tiefgehenden ſtaatlichen Bewegungen
von Feinden der beſtehenden Gewalt behauptet und als ein mächtiges
Angriffsmittel benutzt worden. So von F. Hotman in ſeinen Kämpfen
gegen Heinrich III. und die Ligue; von Junius Brutus und Buchanan
im Anfange der engliſchen Umwälzung. Bald hat ſie jedoch auch Gegner
gefunden, z. B. an Hugo Grotius. (Man ſehe dieſe ältere Literatur bei
Hertius, Opusc. Bd. I, dissert. 9.) Die meiſte Verbreitung und der größte
Einfluß iſt dieſer Anſicht jedoch durch J. J. Rouſſeau verſchafft worden.
Von ihm an iſt unzähligemale gelehrt worden, daß die Staatsgewalt (Sou-
verainität) nur dem Volke rechtlich zuſtehe, nur in ſeinem Auftrage aus-
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[111/0125] Rechtfertigung zu erfolgen und welcher ein Urtheil auszuſprechen hat. Ein über der Staatsgewalt ſtehender Höherer iſt aber nicht vorhanden; wäre doch ſonſt eben dieſer der Inhaber der Staatsgewalt, und dann über ihm Niemand mehr. Außerdem iſt aber eine Verantwortlichkeit des Inhabers der oberſten Gewalt eine practiſche Unmöglichkeit, und ſchon der Verſuch einer Geltendmachung ein großes Unglück. Jenes iſt der Fall, weil Niemand Den zwingen und einem Befehle unterwerfen kann, welcher über die geſammte Macht des einheitlich geord- neten Volkes verfügt; Unglück aber iſt die unvermeidliche Folge auch nur eines Verſuches, weil ein ſolcher nothwendig einen erbitterten inneren Kampf hervorrufen muß. Nur eine bereits geſtürzte und durch eine neue mächtigere erſetzte Staatsgewalt kann mit Erfolg (wenn ſchon mit Unrecht) zur Verantwortung gezogen werden; daher iſt auch der Anblick eines ſolchen Vor- falles von ſo hochtragiſcher Wirkung. ¹⁾ Allgemeine Literatur über Staatsgewalt und Souverainität: Feuer- dach, A., Antihobbes, oder über die Grenzen der höchſten Gewalt. Erfurt, 1798. — Ancillon, F., Ueber Souverainität und Staatsverfaſſung. Berlin, 1816. — Zachariä, K. S., Vierzig Bücher. Bd. I, S. 82 ff. — Schmitthenner, F., Ueber das Weſen der Staatsgewalt, (in Bülau’s Jahrb., 1841, S. 431). — Zöpfl, H., Staatsrecht. Bd. I, S. 76 ff. — Humboldt, W. von, Ideen über die Grenzen der Wirkſamkeit des Staates. Breslau, 1851. — Dupont-White, L’individu et l’état. Éd. 2, Par., 1858. ²⁾ Die Lehre von der urſprünglichen und unveräußerlichen Souverai- nität des Volkes iſt zu aller Zeit bei tiefgehenden ſtaatlichen Bewegungen von Feinden der beſtehenden Gewalt behauptet und als ein mächtiges Angriffsmittel benutzt worden. So von F. Hotman in ſeinen Kämpfen gegen Heinrich III. und die Ligue; von Junius Brutus und Buchanan im Anfange der engliſchen Umwälzung. Bald hat ſie jedoch auch Gegner gefunden, z. B. an Hugo Grotius. (Man ſehe dieſe ältere Literatur bei Hertius, Opusc. Bd. I, dissert. 9.) Die meiſte Verbreitung und der größte Einfluß iſt dieſer Anſicht jedoch durch J. J. Rouſſeau verſchafft worden. Von ihm an iſt unzähligemale gelehrt worden, daß die Staatsgewalt (Sou- verainität) nur dem Volke rechtlich zuſtehe, nur in ſeinem Auftrage aus-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/125>, abgerufen am 22.11.2024.