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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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1. Sie ist ausschließend, und also untheilbar.
Mehrere obersten Gewalten, welchen die Staatsgenossen gleichen
Gehorsam schuldig wären, würden schon dem Begriffe eines
Organismus, d. h. der Einheit in der Vielheit, widersprechen;
außerdem müßte die unvermeidliche Verschiedenheit der Befehle
zur Verwirrung und Auflösung führen. Wo eine staatliche
Gestaltung insoferne eine zusammengesetzte ist, als ein Theil
der Staats-Zwecke zunächst durch eine Anzahl von untergeord-
neten Organismen besorgt wird, der Rest aber einem höheren
einheitlichen Ganzen zusteht, (also namentlich in einem Bundes-
staate,) da ist eine scharfe Scheidung der beiderseitigen Aufgaben,
somit auch eine entsprechende Zutheilung von Rechten und von
Macht, unerläßlich 3).

2. Sie ist ewig, d. h. sie hört nicht auf durch den
Tod oder den sonstigen Wegfall des zeitigen Inhabers; sondern
geht vielmehr alsbald über auf einen neuen Besitzer, falls sich
nicht der Staat zu gleicher Zeit ganz auflöst 4). Es sind daher
in allen Gattungen und Arten von Staaten Bestimmungen
nothwendig, wie es in solchem Falle zu halten ist. Selbst
wenn der neue Inhaber nur unter Bedingungen eintreten kann,
berührt die Frage nach Erfüllung derselben zwar die Person des
Beanspruchenden, nicht aber die Dauer und das Wesen der
Staatsgewalt selbst.

3. Sie ist allumfassend, und zwar in dem Sinne,
daß sie ihre Wirkung auf das ganze Gebiet und auf die sämmt-
lichen Staatstheilnehmer erstreckt. Wie weit die einzelnen Hand-
lungen und menschlichen Verhältnisse ihr unterworfen sind, hängt
freilich von dem Wesen und von den einzelnen Gesetzen des
concreten Staates ab.

4. Sie ist, endlich, keiner Verantwortlichkeit
unterworfen. Dieß ist schon logisch nothwendig, weil eine
Verantwortlichkeit einen Höheren voraussetzt, gegen welchen die

1. Sie iſt ausſchließend, und alſo untheilbar.
Mehrere oberſten Gewalten, welchen die Staatsgenoſſen gleichen
Gehorſam ſchuldig wären, würden ſchon dem Begriffe eines
Organismus, d. h. der Einheit in der Vielheit, widerſprechen;
außerdem müßte die unvermeidliche Verſchiedenheit der Befehle
zur Verwirrung und Auflöſung führen. Wo eine ſtaatliche
Geſtaltung inſoferne eine zuſammengeſetzte iſt, als ein Theil
der Staats-Zwecke zunächſt durch eine Anzahl von untergeord-
neten Organismen beſorgt wird, der Reſt aber einem höheren
einheitlichen Ganzen zuſteht, (alſo namentlich in einem Bundes-
ſtaate,) da iſt eine ſcharfe Scheidung der beiderſeitigen Aufgaben,
ſomit auch eine entſprechende Zutheilung von Rechten und von
Macht, unerläßlich 3).

2. Sie iſt ewig, d. h. ſie hört nicht auf durch den
Tod oder den ſonſtigen Wegfall des zeitigen Inhabers; ſondern
geht vielmehr alsbald über auf einen neuen Beſitzer, falls ſich
nicht der Staat zu gleicher Zeit ganz auflöſt 4). Es ſind daher
in allen Gattungen und Arten von Staaten Beſtimmungen
nothwendig, wie es in ſolchem Falle zu halten iſt. Selbſt
wenn der neue Inhaber nur unter Bedingungen eintreten kann,
berührt die Frage nach Erfüllung derſelben zwar die Perſon des
Beanſpruchenden, nicht aber die Dauer und das Weſen der
Staatsgewalt ſelbſt.

3. Sie iſt allumfaſſend, und zwar in dem Sinne,
daß ſie ihre Wirkung auf das ganze Gebiet und auf die ſämmt-
lichen Staatstheilnehmer erſtreckt. Wie weit die einzelnen Hand-
lungen und menſchlichen Verhältniſſe ihr unterworfen ſind, hängt
freilich von dem Weſen und von den einzelnen Geſetzen des
concreten Staates ab.

4. Sie iſt, endlich, keiner Verantwortlichkeit
unterworfen. Dieß iſt ſchon logiſch nothwendig, weil eine
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[110/0124] 1. Sie iſt ausſchließend, und alſo untheilbar. Mehrere oberſten Gewalten, welchen die Staatsgenoſſen gleichen Gehorſam ſchuldig wären, würden ſchon dem Begriffe eines Organismus, d. h. der Einheit in der Vielheit, widerſprechen; außerdem müßte die unvermeidliche Verſchiedenheit der Befehle zur Verwirrung und Auflöſung führen. Wo eine ſtaatliche Geſtaltung inſoferne eine zuſammengeſetzte iſt, als ein Theil der Staats-Zwecke zunächſt durch eine Anzahl von untergeord- neten Organismen beſorgt wird, der Reſt aber einem höheren einheitlichen Ganzen zuſteht, (alſo namentlich in einem Bundes- ſtaate,) da iſt eine ſcharfe Scheidung der beiderſeitigen Aufgaben, ſomit auch eine entſprechende Zutheilung von Rechten und von Macht, unerläßlich 3). 2. Sie iſt ewig, d. h. ſie hört nicht auf durch den Tod oder den ſonſtigen Wegfall des zeitigen Inhabers; ſondern geht vielmehr alsbald über auf einen neuen Beſitzer, falls ſich nicht der Staat zu gleicher Zeit ganz auflöſt 4). Es ſind daher in allen Gattungen und Arten von Staaten Beſtimmungen nothwendig, wie es in ſolchem Falle zu halten iſt. Selbſt wenn der neue Inhaber nur unter Bedingungen eintreten kann, berührt die Frage nach Erfüllung derſelben zwar die Perſon des Beanſpruchenden, nicht aber die Dauer und das Weſen der Staatsgewalt ſelbſt. 3. Sie iſt allumfaſſend, und zwar in dem Sinne, daß ſie ihre Wirkung auf das ganze Gebiet und auf die ſämmt- lichen Staatstheilnehmer erſtreckt. Wie weit die einzelnen Hand- lungen und menſchlichen Verhältniſſe ihr unterworfen ſind, hängt freilich von dem Weſen und von den einzelnen Geſetzen des concreten Staates ab. 4. Sie iſt, endlich, keiner Verantwortlichkeit unterworfen. Dieß iſt ſchon logiſch nothwendig, weil eine Verantwortlichkeit einen Höheren vorausſetzt, gegen welchen die

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/124>, abgerufen am 30.04.2024.