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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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geübt werden könne, und in jedem Augenblicke von ihm wieder an sich
gezogen, selbst ausgeübt oder anderwärtig vergeben werden dürfe. Die beste
Widerlegung dieser Sätze, welche dem Wesen der meisten Gattungen und
Arten des Staates geradezu widersprechen und mit welchen eine feste also
vernünftige Staatseinrichtung unvereinbar ist, liegt in einer richtigen Auf-
fassung des Wesens so wie der verschiedenen Zwecke und Arten des Staa-
tes, und es kann also statt alles Anderen auch hier darauf verwiesen
werden. Diejenigen aber, welche in übergroßem Eifer jakobinischen Grund-
sätzen nur durch eine ebenso einseitige Hervorhebung einer göttlichen, patri-
monialen oder geschichtlichen Fürstenmacht begegnen zu können glauben,
sind selbst schuld daran, wenn ihrer allzu ausschließenden und dadurch
unrichtigen Lehre eine ebenso einseitige und unzulässige nicht ohne Schein
von Glück entgegengesetzt wird. Völliger Unsinn ist es freilich unter allen
Umständen, wenn nicht blos von der Souverainität des ganzen Volkes,
sondern auch von der eines jeden Einzelnen gesprochen wird. Dies heißt
den ganzen Begriff und die Möglichkeit nicht nur des Staates sondern
selbst jedes menschlichen Vereines bis zur Familie herunter läugnen. --
Die an sich sehr einfache Frage über den rechtlichen Inhaber der Staats-
gewalt ist wegen des groben Mißbrauches, welcher hier wiederholt getrieben
wurde, über die Gebühr vielfach und ausführlich behandelt. Man sehe
z. B. Murhard, F., Die Volkssouverainität im Gegensatze der Legitimität.
Kassel, 1732. -- Thilo, L., Die Volkssouverainität in ihrer wahren
Gestalt. Breslau, 1833. -- Maurenbrecher, Die deutschen regierenden
Fürsten und die Souverainität. Frankfurt, 1839. -- Bluntschli,
Allgemeines Staatsrecht. Bd. II, S. 1 fg.
3) Im entschiedenen Widerspruche mit dem Satze, daß die Staats-
gewalt eine einheitliche und untheilbare sei, steht die bekannte, schon von
Aristoteles vorgetragene, später von Locke mächtig erfaßte, endlich haupt-
sächlich durch Montsquieu verbreitete, Lehre: daß die Staatsgewalt in drei
wesentlich verschiedene Bestandtheile zerfalle, und daß in jeder freien Ver-
fassung eine völlige Trennung derselben und eine Uebertragung an physisch
verschiedene von einander unabhängige Personen oder Körperschaften statt-
finden müsse. Die Unrichtigkeit dieses Gedankens ist zwar jetzt fast allgemein
in der Wissenschaft anerkannt; jedoch erst nachdem er die größten Verwirrungen
in der Lehre und den größten Schaden im Leben angerichtet hatte. Sind
doch zahlreiche Verfassungen auf seiner Grundlage angelegt worden mit
immer gleich schlechten Wirkungen für Ordnung und für Freiheit. -- Dieser
so allgemeine und lange andauernde Beifall ist in der That schwer zu
begreifen, da die Lehre eben so sehr den zu ihrer Stützung angeführten
Thatsachen als den ersten Grundsätzen der Logik und der Staatsklugheit
widerspricht. Thatsächlich nicht richtig ist es nämlich, daß die englische
geübt werden könne, und in jedem Augenblicke von ihm wieder an ſich
gezogen, ſelbſt ausgeübt oder anderwärtig vergeben werden dürfe. Die beſte
Widerlegung dieſer Sätze, welche dem Weſen der meiſten Gattungen und
Arten des Staates geradezu widerſprechen und mit welchen eine feſte alſo
vernünftige Staatseinrichtung unvereinbar iſt, liegt in einer richtigen Auf-
faſſung des Weſens ſo wie der verſchiedenen Zwecke und Arten des Staa-
tes, und es kann alſo ſtatt alles Anderen auch hier darauf verwieſen
werden. Diejenigen aber, welche in übergroßem Eifer jakobiniſchen Grund-
ſätzen nur durch eine ebenſo einſeitige Hervorhebung einer göttlichen, patri-
monialen oder geſchichtlichen Fürſtenmacht begegnen zu können glauben,
ſind ſelbſt ſchuld daran, wenn ihrer allzu ausſchließenden und dadurch
unrichtigen Lehre eine ebenſo einſeitige und unzuläſſige nicht ohne Schein
von Glück entgegengeſetzt wird. Völliger Unſinn iſt es freilich unter allen
Umſtänden, wenn nicht blos von der Souverainität des ganzen Volkes,
ſondern auch von der eines jeden Einzelnen geſprochen wird. Dies heißt
den ganzen Begriff und die Möglichkeit nicht nur des Staates ſondern
ſelbſt jedes menſchlichen Vereines bis zur Familie herunter läugnen. —
Die an ſich ſehr einfache Frage über den rechtlichen Inhaber der Staats-
gewalt iſt wegen des groben Mißbrauches, welcher hier wiederholt getrieben
wurde, über die Gebühr vielfach und ausführlich behandelt. Man ſehe
z. B. Murhard, F., Die Volksſouverainität im Gegenſatze der Legitimität.
Kaſſel, 1732. — Thilo, L., Die Volksſouverainität in ihrer wahren
Geſtalt. Breslau, 1833. — Maurenbrecher, Die deutſchen regierenden
Fürſten und die Souverainität. Frankfurt, 1839. — Bluntſchli,
Allgemeines Staatsrecht. Bd. II, S. 1 fg.
3) Im entſchiedenen Widerſpruche mit dem Satze, daß die Staats-
gewalt eine einheitliche und untheilbare ſei, ſteht die bekannte, ſchon von
Ariſtoteles vorgetragene, ſpäter von Locke mächtig erfaßte, endlich haupt-
ſächlich durch Montsquieu verbreitete, Lehre: daß die Staatsgewalt in drei
weſentlich verſchiedene Beſtandtheile zerfalle, und daß in jeder freien Ver-
faſſung eine völlige Trennung derſelben und eine Uebertragung an phyſiſch
verſchiedene von einander unabhängige Perſonen oder Körperſchaften ſtatt-
finden müſſe. Die Unrichtigkeit dieſes Gedankens iſt zwar jetzt faſt allgemein
in der Wiſſenſchaft anerkannt; jedoch erſt nachdem er die größten Verwirrungen
in der Lehre und den größten Schaden im Leben angerichtet hatte. Sind
doch zahlreiche Verfaſſungen auf ſeiner Grundlage angelegt worden mit
immer gleich ſchlechten Wirkungen für Ordnung und für Freiheit. — Dieſer
ſo allgemeine und lange andauernde Beifall iſt in der That ſchwer zu
begreifen, da die Lehre eben ſo ſehr den zu ihrer Stützung angeführten
Thatſachen als den erſten Grundſätzen der Logik und der Staatsklugheit
widerſpricht. Thatſächlich nicht richtig iſt es nämlich, daß die engliſche
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[112/0126] ²⁾ geübt werden könne, und in jedem Augenblicke von ihm wieder an ſich gezogen, ſelbſt ausgeübt oder anderwärtig vergeben werden dürfe. Die beſte Widerlegung dieſer Sätze, welche dem Weſen der meiſten Gattungen und Arten des Staates geradezu widerſprechen und mit welchen eine feſte alſo vernünftige Staatseinrichtung unvereinbar iſt, liegt in einer richtigen Auf- faſſung des Weſens ſo wie der verſchiedenen Zwecke und Arten des Staa- tes, und es kann alſo ſtatt alles Anderen auch hier darauf verwieſen werden. Diejenigen aber, welche in übergroßem Eifer jakobiniſchen Grund- ſätzen nur durch eine ebenſo einſeitige Hervorhebung einer göttlichen, patri- monialen oder geſchichtlichen Fürſtenmacht begegnen zu können glauben, ſind ſelbſt ſchuld daran, wenn ihrer allzu ausſchließenden und dadurch unrichtigen Lehre eine ebenſo einſeitige und unzuläſſige nicht ohne Schein von Glück entgegengeſetzt wird. Völliger Unſinn iſt es freilich unter allen Umſtänden, wenn nicht blos von der Souverainität des ganzen Volkes, ſondern auch von der eines jeden Einzelnen geſprochen wird. Dies heißt den ganzen Begriff und die Möglichkeit nicht nur des Staates ſondern ſelbſt jedes menſchlichen Vereines bis zur Familie herunter läugnen. — Die an ſich ſehr einfache Frage über den rechtlichen Inhaber der Staats- gewalt iſt wegen des groben Mißbrauches, welcher hier wiederholt getrieben wurde, über die Gebühr vielfach und ausführlich behandelt. Man ſehe z. B. Murhard, F., Die Volksſouverainität im Gegenſatze der Legitimität. Kaſſel, 1732. — Thilo, L., Die Volksſouverainität in ihrer wahren Geſtalt. Breslau, 1833. — Maurenbrecher, Die deutſchen regierenden Fürſten und die Souverainität. Frankfurt, 1839. — Bluntſchli, Allgemeines Staatsrecht. Bd. II, S. 1 fg. ³⁾ Im entſchiedenen Widerſpruche mit dem Satze, daß die Staats- gewalt eine einheitliche und untheilbare ſei, ſteht die bekannte, ſchon von Ariſtoteles vorgetragene, ſpäter von Locke mächtig erfaßte, endlich haupt- ſächlich durch Montsquieu verbreitete, Lehre: daß die Staatsgewalt in drei weſentlich verſchiedene Beſtandtheile zerfalle, und daß in jeder freien Ver- faſſung eine völlige Trennung derſelben und eine Uebertragung an phyſiſch verſchiedene von einander unabhängige Perſonen oder Körperſchaften ſtatt- finden müſſe. Die Unrichtigkeit dieſes Gedankens iſt zwar jetzt faſt allgemein in der Wiſſenſchaft anerkannt; jedoch erſt nachdem er die größten Verwirrungen in der Lehre und den größten Schaden im Leben angerichtet hatte. Sind doch zahlreiche Verfaſſungen auf ſeiner Grundlage angelegt worden mit immer gleich ſchlechten Wirkungen für Ordnung und für Freiheit. — Dieſer ſo allgemeine und lange andauernde Beifall iſt in der That ſchwer zu begreifen, da die Lehre eben ſo ſehr den zu ihrer Stützung angeführten Thatſachen als den erſten Grundſätzen der Logik und der Staatsklugheit widerſpricht. Thatſächlich nicht richtig iſt es nämlich, daß die engliſche

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/126>, abgerufen am 22.11.2024.