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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Schreiben einer Dame
ihres Gegners das Blut ins Gesichte stieg, wenn sie auf
jene Art ihren Mann für stockblind oder für unverstän-
dig erklärten! Wenn Sie gesehen hätten, wie Jhre eigne
liebe Frau eine heimliche Thräne nach der andern ver-
goß! Wenn Sie die bedeutenden Seitenblicke unsrer jun-
gen Fräulein, das unvermerkte Achselzucken der jungen
Herrn, das räuspernde Jtem, das Bestreben etwas vor-
zubringen, wobey man das Gezänk nicht hören sollte,
und alle die verunglückten Mittel ihnen den Streitpunkt
zu verschieben, bemerkt hätten, wahrlich Sie würden
eine solche Schiene um ihre Seele empfangen haben, die
auch der größte Naturfehler derselben nicht hätte zerbre-
chen sollen.

Und was ward nun am Ende aus dem allen? ich ließ
die Charten eine halbe Stunde früher geben, um den
ungeschickten Streiter mit einer Puppe zu beschäftigen,
und Sie verspielten mit glüenden Wangen und zanken-
den Augen eine Zeit, die wir des Tages vorher zu einer
weit edlern Ergötzung ausgesucht hatten. Die Wahr-
heit aber gewann nichts dabey, und vielleicht schmollen
Sie heute und Morgen noch im Kauf gegen ihren Freund,
der doch weiter nichts that, als daß er gelassen sagte:
ihm käme die Sache, welche Sie blau fänden, etwas
grünlich vor, oder schiene ihm ins grüne zu fallen; und
ihn deuchte, man könne sie auch zur Noth für grün an-
sehen. So bescheiden war er in dem Vortrage der Zwei-
fel, die Sie so hitzig zu widerlegen suchten.

O! mein lieber würdiger Freund, Sie sind gewiß
ein Mann, dem Niemand seine großen Verdienste ab-
spricht; man läßt Jhren Einsichten, Jhrem Eyfer und
Jhrer Redlichkeit die vollkommenste Gerechtigkeit wieder-
fahren; man widerspricht Jhnen oft nur, um sich von
Jhnen belehren zu lassen, und die starken Gründe zu hö-

ren,

Schreiben einer Dame
ihres Gegners das Blut ins Geſichte ſtieg, wenn ſie auf
jene Art ihren Mann fuͤr ſtockblind oder fuͤr unverſtaͤn-
dig erklaͤrten! Wenn Sie geſehen haͤtten, wie Jhre eigne
liebe Frau eine heimliche Thraͤne nach der andern ver-
goß! Wenn Sie die bedeutenden Seitenblicke unſrer jun-
gen Fraͤulein, das unvermerkte Achſelzucken der jungen
Herrn, das raͤuſpernde Jtem, das Beſtreben etwas vor-
zubringen, wobey man das Gezaͤnk nicht hoͤren ſollte,
und alle die verungluͤckten Mittel ihnen den Streitpunkt
zu verſchieben, bemerkt haͤtten, wahrlich Sie wuͤrden
eine ſolche Schiene um ihre Seele empfangen haben, die
auch der groͤßte Naturfehler derſelben nicht haͤtte zerbre-
chen ſollen.

Und was ward nun am Ende aus dem allen? ich ließ
die Charten eine halbe Stunde fruͤher geben, um den
ungeſchickten Streiter mit einer Puppe zu beſchaͤftigen,
und Sie verſpielten mit gluͤenden Wangen und zanken-
den Augen eine Zeit, die wir des Tages vorher zu einer
weit edlern Ergoͤtzung ausgeſucht hatten. Die Wahr-
heit aber gewann nichts dabey, und vielleicht ſchmollen
Sie heute und Morgen noch im Kauf gegen ihren Freund,
der doch weiter nichts that, als daß er gelaſſen ſagte:
ihm kaͤme die Sache, welche Sie blau faͤnden, etwas
gruͤnlich vor, oder ſchiene ihm ins gruͤne zu fallen; und
ihn deuchte, man koͤnne ſie auch zur Noth fuͤr gruͤn an-
ſehen. So beſcheiden war er in dem Vortrage der Zwei-
fel, die Sie ſo hitzig zu widerlegen ſuchten.

O! mein lieber wuͤrdiger Freund, Sie ſind gewiß
ein Mann, dem Niemand ſeine großen Verdienſte ab-
ſpricht; man laͤßt Jhren Einſichten, Jhrem Eyfer und
Jhrer Redlichkeit die vollkommenſte Gerechtigkeit wieder-
fahren; man widerſpricht Jhnen oft nur, um ſich von
Jhnen belehren zu laſſen, und die ſtarken Gruͤnde zu hoͤ-

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[62/0074] Schreiben einer Dame ihres Gegners das Blut ins Geſichte ſtieg, wenn ſie auf jene Art ihren Mann fuͤr ſtockblind oder fuͤr unverſtaͤn- dig erklaͤrten! Wenn Sie geſehen haͤtten, wie Jhre eigne liebe Frau eine heimliche Thraͤne nach der andern ver- goß! Wenn Sie die bedeutenden Seitenblicke unſrer jun- gen Fraͤulein, das unvermerkte Achſelzucken der jungen Herrn, das raͤuſpernde Jtem, das Beſtreben etwas vor- zubringen, wobey man das Gezaͤnk nicht hoͤren ſollte, und alle die verungluͤckten Mittel ihnen den Streitpunkt zu verſchieben, bemerkt haͤtten, wahrlich Sie wuͤrden eine ſolche Schiene um ihre Seele empfangen haben, die auch der groͤßte Naturfehler derſelben nicht haͤtte zerbre- chen ſollen. Und was ward nun am Ende aus dem allen? ich ließ die Charten eine halbe Stunde fruͤher geben, um den ungeſchickten Streiter mit einer Puppe zu beſchaͤftigen, und Sie verſpielten mit gluͤenden Wangen und zanken- den Augen eine Zeit, die wir des Tages vorher zu einer weit edlern Ergoͤtzung ausgeſucht hatten. Die Wahr- heit aber gewann nichts dabey, und vielleicht ſchmollen Sie heute und Morgen noch im Kauf gegen ihren Freund, der doch weiter nichts that, als daß er gelaſſen ſagte: ihm kaͤme die Sache, welche Sie blau faͤnden, etwas gruͤnlich vor, oder ſchiene ihm ins gruͤne zu fallen; und ihn deuchte, man koͤnne ſie auch zur Noth fuͤr gruͤn an- ſehen. So beſcheiden war er in dem Vortrage der Zwei- fel, die Sie ſo hitzig zu widerlegen ſuchten. O! mein lieber wuͤrdiger Freund, Sie ſind gewiß ein Mann, dem Niemand ſeine großen Verdienſte ab- ſpricht; man laͤßt Jhren Einſichten, Jhrem Eyfer und Jhrer Redlichkeit die vollkommenſte Gerechtigkeit wieder- fahren; man widerſpricht Jhnen oft nur, um ſich von Jhnen belehren zu laſſen, und die ſtarken Gruͤnde zu hoͤ- ren,

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/74>, abgerufen am 24.11.2024.