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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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der alten Deutschen.
that, auf die Rechnung des Anführers setzen, und sich
damit nicht selbst erheben durfte *).

Das Frauenzimmer hatte einen eben so hohen Be-
griff von Ehre. Wie die Cimbern zulezt überlistiget
wurden, bat das gefangene Frauenzimmer, unter die
Vestalinnen aufgenommen zu werden; und wie ihnen
dieses abgeschlagen wurde, schlugen sie ihre schönen
Haarflechten **) über die Reiffen ihrer Wagen, knüpf-
ten solche unter das Kinn zusammen, und erhängten sich
mit diesem Wohlstande unter der Decke ihrer Wagen.
Speciosam mortem nennet es Florus.

Die Dichtkunst der Nation hatte drey Hauptge-
genstände, die Ankunft des Volks von seinem Ursprung
an, die Thaten der Krieger, und die Ermunterung
zur Schlacht; ihre Mahlerey gieng blos auf die Ver-
zierung des Schildes, die Tanzkunst auf den hohen Eh-
rentanz zur Belohnung der Sieger, und auf den Paß
zum marschiren. Mit einem Worte, alle Wissenschaf-
ten und alle Künste giengen bey ihnen lediglich auf den
Krieg; und daß sie auch in der höhern Strategie erfah-
ren waren, schließt man nicht allein daraus, daß sie fünf
römische Consular-armeen nach einander aus dem Felde
schlugen, sondern auch besonders aus dem großen Ma-
noeuver des Ariovists ***), der gleich sein Lager nur
eine Meile vom römischen nahm, des andern Tages den

Cäsar
*) Fortissimus quisque ferreum insuper annulum, ignominiosum
id genti, velut vinculum gestat, donec s caede hostis absol-
vit. TACIT. G. c.
31.
**) Id. c. 14.
***) Vinculo e crinibus suis facto a jugis plaustrorum pepende-
runt. FLOR. III.
3.
Mösers patr. Phantas. IV. Th. B

der alten Deutſchen.
that, auf die Rechnung des Anfuͤhrers ſetzen, und ſich
damit nicht ſelbſt erheben durfte *).

Das Frauenzimmer hatte einen eben ſo hohen Be-
griff von Ehre. Wie die Cimbern zulezt uͤberliſtiget
wurden, bat das gefangene Frauenzimmer, unter die
Veſtalinnen aufgenommen zu werden; und wie ihnen
dieſes abgeſchlagen wurde, ſchlugen ſie ihre ſchoͤnen
Haarflechten **) uͤber die Reiffen ihrer Wagen, knuͤpf-
ten ſolche unter das Kinn zuſammen, und erhaͤngten ſich
mit dieſem Wohlſtande unter der Decke ihrer Wagen.
Specioſam mortem nennet es Florus.

Die Dichtkunſt der Nation hatte drey Hauptge-
genſtaͤnde, die Ankunft des Volks von ſeinem Urſprung
an, die Thaten der Krieger, und die Ermunterung
zur Schlacht; ihre Mahlerey gieng blos auf die Ver-
zierung des Schildes, die Tanzkunſt auf den hohen Eh-
rentanz zur Belohnung der Sieger, und auf den Paß
zum marſchiren. Mit einem Worte, alle Wiſſenſchaf-
ten und alle Kuͤnſte giengen bey ihnen lediglich auf den
Krieg; und daß ſie auch in der hoͤhern Strategie erfah-
ren waren, ſchließt man nicht allein daraus, daß ſie fuͤnf
roͤmiſche Conſular-armeen nach einander aus dem Felde
ſchlugen, ſondern auch beſonders aus dem großen Ma-
noeuver des Arioviſts ***), der gleich ſein Lager nur
eine Meile vom roͤmiſchen nahm, des andern Tages den

Caͤſar
*) Fortiſſimus quisque ferreum inſuper annulum, ignominioſum
id genti, velut vinculum geſtat, donec ſ caede hoſtis abſol-
vit. TACIT. G. c.
31.
**) Id. c. 14.
***) Vinculo e crinibus ſuis facto a jugis plauſtrorum pepende-
runt. FLOR. III.
3.
Moͤſers patr. Phantaſ. IV. Th. B
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[17/0029] der alten Deutſchen. that, auf die Rechnung des Anfuͤhrers ſetzen, und ſich damit nicht ſelbſt erheben durfte *). Das Frauenzimmer hatte einen eben ſo hohen Be- griff von Ehre. Wie die Cimbern zulezt uͤberliſtiget wurden, bat das gefangene Frauenzimmer, unter die Veſtalinnen aufgenommen zu werden; und wie ihnen dieſes abgeſchlagen wurde, ſchlugen ſie ihre ſchoͤnen Haarflechten **) uͤber die Reiffen ihrer Wagen, knuͤpf- ten ſolche unter das Kinn zuſammen, und erhaͤngten ſich mit dieſem Wohlſtande unter der Decke ihrer Wagen. Specioſam mortem nennet es Florus. Die Dichtkunſt der Nation hatte drey Hauptge- genſtaͤnde, die Ankunft des Volks von ſeinem Urſprung an, die Thaten der Krieger, und die Ermunterung zur Schlacht; ihre Mahlerey gieng blos auf die Ver- zierung des Schildes, die Tanzkunſt auf den hohen Eh- rentanz zur Belohnung der Sieger, und auf den Paß zum marſchiren. Mit einem Worte, alle Wiſſenſchaf- ten und alle Kuͤnſte giengen bey ihnen lediglich auf den Krieg; und daß ſie auch in der hoͤhern Strategie erfah- ren waren, ſchließt man nicht allein daraus, daß ſie fuͤnf roͤmiſche Conſular-armeen nach einander aus dem Felde ſchlugen, ſondern auch beſonders aus dem großen Ma- noeuver des Arioviſts ***), der gleich ſein Lager nur eine Meile vom roͤmiſchen nahm, des andern Tages den Caͤſar *) Fortiſſimus quisque ferreum inſuper annulum, ignominioſum id genti, velut vinculum geſtat, donec ſ caede hoſtis abſol- vit. TACIT. G. c. 31. **) Id. c. 14. ***) Vinculo e crinibus ſuis facto a jugis plauſtrorum pepende- runt. FLOR. III. 3. Moͤſers patr. Phantaſ. IV. Th. B

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/29>, abgerufen am 29.03.2024.