Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

der Landbesitzer.
Städte, Weichbilde und Dörfer. Neben her entstanden
noch allerhand Hoden und Echten unter dem Namen ei-
nes Heiligen, welche nach und nach auch solche Leute auf-
nahmen, die sich mit Erlaubniß der Hofgesessenen, ein-
zeln einen Kotten oder eine Hütte erbaueten, und entwe-
der ein Pfund Wachs zum Licht der Pfarrkirche, eine
Brieftracht, oder andre kleine gemeine Last übernahmen,
um ihre Hütte zu verdienen. Das Geld kam mittler-
weile aus den reichen Ländern der Römer und Franken
zu uns herüber, und folgte dem Kriege oder der aufkei-
menden Handlung. Die Kirche drang in ihren frühesten
Verordnungen für die nordlichen Gegenden, auf eine zu-
längliche Aussteuer für Mädgen, die sich ihrem Stande
gemäs verheyratheten, und der römische Brautschatz, wel-
cher in einer Verfassung entstanden war, worin lange ein
starker Geldreichthum, viel bürgerliches Vermögen, sehr
viel fliegend Land, und eine besoldete Kriegesmacht ge-
wesen war, empfohl sich unsern Vorfahren, nach dem
Maaße wie sie in gleiche Umstände und Bedürfnisse ka-
men. Besonders aber vermehrte sich die Zahl von aller-
hand Leibeignen, welche zu nichts greifen konnten, und
das Brod von der Hand ihres Herrn, dem Vergnügen
in Freyheit zu hungern vorzogen.

Alle diese Erscheinungen zeigen sich in der Geschichte
nach dem Verhältniß wie die Bedürfniß des Staats zu-
nimmt, seiner jungen Brut, die nun nicht mehr auswan-
dern konnte, Unterhalt oder Untergang zu verschaffen;
und für einen gewissen Theil sorgen die Klöster, die in
gleichem Verhältniß steigen; und auch wiederum abneh-
men, je nachdem die stehenden Heere von Kriegern und
Bedienten andre Auswege eröffnen; oder die See-
handlung und neue Welt den Ueberschuß verschlingt

wel-

der Landbeſitzer.
Staͤdte, Weichbilde und Doͤrfer. Neben her entſtanden
noch allerhand Hoden und Echten unter dem Namen ei-
nes Heiligen, welche nach und nach auch ſolche Leute auf-
nahmen, die ſich mit Erlaubniß der Hofgeſeſſenen, ein-
zeln einen Kotten oder eine Huͤtte erbaueten, und entwe-
der ein Pfund Wachs zum Licht der Pfarrkirche, eine
Brieftracht, oder andre kleine gemeine Laſt uͤbernahmen,
um ihre Huͤtte zu verdienen. Das Geld kam mittler-
weile aus den reichen Laͤndern der Roͤmer und Franken
zu uns heruͤber, und folgte dem Kriege oder der aufkei-
menden Handlung. Die Kirche drang in ihren fruͤheſten
Verordnungen fuͤr die nordlichen Gegenden, auf eine zu-
laͤngliche Ausſteuer fuͤr Maͤdgen, die ſich ihrem Stande
gemaͤs verheyratheten, und der roͤmiſche Brautſchatz, wel-
cher in einer Verfaſſung entſtanden war, worin lange ein
ſtarker Geldreichthum, viel buͤrgerliches Vermoͤgen, ſehr
viel fliegend Land, und eine beſoldete Kriegesmacht ge-
weſen war, empfohl ſich unſern Vorfahren, nach dem
Maaße wie ſie in gleiche Umſtaͤnde und Beduͤrfniſſe ka-
men. Beſonders aber vermehrte ſich die Zahl von aller-
hand Leibeignen, welche zu nichts greifen konnten, und
das Brod von der Hand ihres Herrn, dem Vergnuͤgen
in Freyheit zu hungern vorzogen.

Alle dieſe Erſcheinungen zeigen ſich in der Geſchichte
nach dem Verhaͤltniß wie die Beduͤrfniß des Staats zu-
nimmt, ſeiner jungen Brut, die nun nicht mehr auswan-
dern konnte, Unterhalt oder Untergang zu verſchaffen;
und fuͤr einen gewiſſen Theil ſorgen die Kloͤſter, die in
gleichem Verhaͤltniß ſteigen; und auch wiederum abneh-
men, je nachdem die ſtehenden Heere von Kriegern und
Bedienten andre Auswege eroͤffnen; oder die See-
handlung und neue Welt den Ueberſchuß verſchlingt

wel-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0231" n="219"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Landbe&#x017F;itzer.</hi></fw><lb/>
Sta&#x0364;dte, Weichbilde und Do&#x0364;rfer. Neben her ent&#x017F;tanden<lb/>
noch allerhand Hoden und Echten unter dem Namen ei-<lb/>
nes Heiligen, welche nach und nach auch &#x017F;olche Leute auf-<lb/>
nahmen, die &#x017F;ich mit Erlaubniß der Hofge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;enen, ein-<lb/>
zeln einen Kotten oder eine Hu&#x0364;tte erbaueten, und entwe-<lb/>
der ein Pfund Wachs zum Licht der Pfarrkirche, eine<lb/>
Brieftracht, oder andre kleine gemeine La&#x017F;t u&#x0364;bernahmen,<lb/>
um ihre Hu&#x0364;tte zu verdienen. Das Geld kam mittler-<lb/>
weile aus den reichen La&#x0364;ndern der Ro&#x0364;mer und Franken<lb/>
zu uns heru&#x0364;ber, und folgte dem Kriege oder der aufkei-<lb/>
menden Handlung. Die Kirche drang in ihren fru&#x0364;he&#x017F;ten<lb/>
Verordnungen fu&#x0364;r die nordlichen Gegenden, auf eine zu-<lb/>
la&#x0364;ngliche Aus&#x017F;teuer fu&#x0364;r Ma&#x0364;dgen, die &#x017F;ich ihrem Stande<lb/>
gema&#x0364;s verheyratheten, und der ro&#x0364;mi&#x017F;che Braut&#x017F;chatz, wel-<lb/>
cher in einer Verfa&#x017F;&#x017F;ung ent&#x017F;tanden war, worin lange ein<lb/>
&#x017F;tarker Geldreichthum, viel bu&#x0364;rgerliches Vermo&#x0364;gen, &#x017F;ehr<lb/>
viel <hi rendition="#fr">fliegend</hi> Land, und eine be&#x017F;oldete Kriegesmacht ge-<lb/>
we&#x017F;en war, empfohl &#x017F;ich un&#x017F;ern Vorfahren, nach dem<lb/>
Maaße wie &#x017F;ie in gleiche Um&#x017F;ta&#x0364;nde und Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e ka-<lb/>
men. Be&#x017F;onders aber vermehrte &#x017F;ich die Zahl von aller-<lb/>
hand Leibeignen, welche zu nichts greifen konnten, und<lb/>
das Brod von der Hand ihres Herrn, dem Vergnu&#x0364;gen<lb/>
in Freyheit zu hungern vorzogen.</p><lb/>
          <p>Alle die&#x017F;e Er&#x017F;cheinungen zeigen &#x017F;ich in der Ge&#x017F;chichte<lb/>
nach dem Verha&#x0364;ltniß wie die Bedu&#x0364;rfniß des Staats zu-<lb/>
nimmt, &#x017F;einer jungen Brut, die nun nicht mehr auswan-<lb/>
dern konnte, Unterhalt oder Untergang zu ver&#x017F;chaffen;<lb/>
und fu&#x0364;r einen gewi&#x017F;&#x017F;en Theil &#x017F;orgen die Klo&#x0364;&#x017F;ter, die in<lb/>
gleichem Verha&#x0364;ltniß &#x017F;teigen; und auch wiederum abneh-<lb/>
men, je nachdem die &#x017F;tehenden Heere von Kriegern und<lb/>
Bedienten andre Auswege ero&#x0364;ffnen; oder die See-<lb/>
handlung und neue Welt den Ueber&#x017F;chuß ver&#x017F;chlingt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wel-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0231] der Landbeſitzer. Staͤdte, Weichbilde und Doͤrfer. Neben her entſtanden noch allerhand Hoden und Echten unter dem Namen ei- nes Heiligen, welche nach und nach auch ſolche Leute auf- nahmen, die ſich mit Erlaubniß der Hofgeſeſſenen, ein- zeln einen Kotten oder eine Huͤtte erbaueten, und entwe- der ein Pfund Wachs zum Licht der Pfarrkirche, eine Brieftracht, oder andre kleine gemeine Laſt uͤbernahmen, um ihre Huͤtte zu verdienen. Das Geld kam mittler- weile aus den reichen Laͤndern der Roͤmer und Franken zu uns heruͤber, und folgte dem Kriege oder der aufkei- menden Handlung. Die Kirche drang in ihren fruͤheſten Verordnungen fuͤr die nordlichen Gegenden, auf eine zu- laͤngliche Ausſteuer fuͤr Maͤdgen, die ſich ihrem Stande gemaͤs verheyratheten, und der roͤmiſche Brautſchatz, wel- cher in einer Verfaſſung entſtanden war, worin lange ein ſtarker Geldreichthum, viel buͤrgerliches Vermoͤgen, ſehr viel fliegend Land, und eine beſoldete Kriegesmacht ge- weſen war, empfohl ſich unſern Vorfahren, nach dem Maaße wie ſie in gleiche Umſtaͤnde und Beduͤrfniſſe ka- men. Beſonders aber vermehrte ſich die Zahl von aller- hand Leibeignen, welche zu nichts greifen konnten, und das Brod von der Hand ihres Herrn, dem Vergnuͤgen in Freyheit zu hungern vorzogen. Alle dieſe Erſcheinungen zeigen ſich in der Geſchichte nach dem Verhaͤltniß wie die Beduͤrfniß des Staats zu- nimmt, ſeiner jungen Brut, die nun nicht mehr auswan- dern konnte, Unterhalt oder Untergang zu verſchaffen; und fuͤr einen gewiſſen Theil ſorgen die Kloͤſter, die in gleichem Verhaͤltniß ſteigen; und auch wiederum abneh- men, je nachdem die ſtehenden Heere von Kriegern und Bedienten andre Auswege eroͤffnen; oder die See- handlung und neue Welt den Ueberſchuß verſchlingt wel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/231
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/231>, abgerufen am 22.12.2024.