Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber die Absteuer der Töchter
welchen neue Krankheiten und Uebel nicht aufreiben
können.

Sie führen aber mit einander nur auf eine billige
Abfindung
der jüngern Kinder, und nicht auf Gleichthei-
lungen
oder Pflichttheile, dergleichen die Römer in ihrer
bürgerlichen Verfassung, nachdem der Geldreichthum zu
sehr überhand genommen hatte, und der Kriegesdienst
sich nicht mehr auf Haus und Hof, sondern auf eine Löh-
nung an Gelde gründete, mit Recht eingeführet hatten.
Und wenn man die Gesetze und Urkunden der Deutschen
aufs genaueste prüfet: so findet sich keine Spur, daß die-
selben jemals an die Möglichkeit einer Gleichtheilung,
oder ein sicheres Verhältniß zur Aussteuer gedacht hätten.
Der einzige Wisigothe dachte anders, aber auch nur erst
in dem reichen Spanien, wo er fest setzte, daß man sei-
ner künftigen Frau nicht mehr als den zehnten Theil sei-
ner Güter, oder doch nicht mehr verschreiben sollte, als
diese einbringen werde. Und dieses Gesetz galt doch nur
für die großen Hofbediente des Königes, die überall zu-
erst fremde Rechte angenommen haben, nicht aber für
die Nation, welche in ihren Dinghöfen allemal nach al-
ten Gewohnheiten richtet.

Dem Staate, der aus Hofbesitzern entsteht, ist zu
allen Zeiten an der Erhaltung des Hofes gelegen; zwar
jetzt nicht mehr so sehr als vor dem, da der Eigner des-
selben noch im Heerbann zu Felde ziehen mußte; aber
doch immer noch genug, um dessen Versplitterung und
Verschuldung zu verhindern. Die Natur fordert dieses
Gesetze; sie hat es in dem Augenblick der ersten Verbin-
dung gegeben, und kann es nicht untergehen lassen, ohne
diesem Staate seine ganze Einrichtung zu nehmen. Es
giebt sogar Fälle, wo sie die Vertheilung mehrer zusam-

men-

Ueber die Abſteuer der Toͤchter
welchen neue Krankheiten und Uebel nicht aufreiben
koͤnnen.

Sie fuͤhren aber mit einander nur auf eine billige
Abfindung
der juͤngern Kinder, und nicht auf Gleichthei-
lungen
oder Pflichttheile, dergleichen die Roͤmer in ihrer
buͤrgerlichen Verfaſſung, nachdem der Geldreichthum zu
ſehr uͤberhand genommen hatte, und der Kriegesdienſt
ſich nicht mehr auf Haus und Hof, ſondern auf eine Loͤh-
nung an Gelde gruͤndete, mit Recht eingefuͤhret hatten.
Und wenn man die Geſetze und Urkunden der Deutſchen
aufs genaueſte pruͤfet: ſo findet ſich keine Spur, daß die-
ſelben jemals an die Moͤglichkeit einer Gleichtheilung,
oder ein ſicheres Verhaͤltniß zur Ausſteuer gedacht haͤtten.
Der einzige Wiſigothe dachte anders, aber auch nur erſt
in dem reichen Spanien, wo er feſt ſetzte, daß man ſei-
ner kuͤnftigen Frau nicht mehr als den zehnten Theil ſei-
ner Guͤter, oder doch nicht mehr verſchreiben ſollte, als
dieſe einbringen werde. Und dieſes Geſetz galt doch nur
fuͤr die großen Hofbediente des Koͤniges, die uͤberall zu-
erſt fremde Rechte angenommen haben, nicht aber fuͤr
die Nation, welche in ihren Dinghoͤfen allemal nach al-
ten Gewohnheiten richtet.

Dem Staate, der aus Hofbeſitzern entſteht, iſt zu
allen Zeiten an der Erhaltung des Hofes gelegen; zwar
jetzt nicht mehr ſo ſehr als vor dem, da der Eigner deſ-
ſelben noch im Heerbann zu Felde ziehen mußte; aber
doch immer noch genug, um deſſen Verſplitterung und
Verſchuldung zu verhindern. Die Natur fordert dieſes
Geſetze; ſie hat es in dem Augenblick der erſten Verbin-
dung gegeben, und kann es nicht untergehen laſſen, ohne
dieſem Staate ſeine ganze Einrichtung zu nehmen. Es
giebt ſogar Faͤlle, wo ſie die Vertheilung mehrer zuſam-

men-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0232" n="220"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ueber die Ab&#x017F;teuer der To&#x0364;chter</hi></fw><lb/>
welchen neue Krankheiten und Uebel nicht aufreiben<lb/>
ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Sie fu&#x0364;hren aber mit einander nur auf eine <hi rendition="#fr">billige<lb/>
Abfindung</hi> der ju&#x0364;ngern Kinder, und nicht auf <hi rendition="#fr">Gleichthei-<lb/>
lungen</hi> oder <hi rendition="#fr">Pflichttheile,</hi> dergleichen die Ro&#x0364;mer in ihrer<lb/>
bu&#x0364;rgerlichen Verfa&#x017F;&#x017F;ung, nachdem der Geldreichthum zu<lb/>
&#x017F;ehr u&#x0364;berhand genommen hatte, und der Kriegesdien&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ich nicht mehr auf Haus und Hof, &#x017F;ondern auf eine Lo&#x0364;h-<lb/>
nung an Gelde gru&#x0364;ndete, mit Recht eingefu&#x0364;hret hatten.<lb/>
Und wenn man die Ge&#x017F;etze und Urkunden der Deut&#x017F;chen<lb/>
aufs genaue&#x017F;te pru&#x0364;fet: &#x017F;o findet &#x017F;ich keine Spur, daß die-<lb/>
&#x017F;elben jemals an die Mo&#x0364;glichkeit einer Gleichtheilung,<lb/>
oder ein &#x017F;icheres Verha&#x0364;ltniß zur Aus&#x017F;teuer gedacht ha&#x0364;tten.<lb/>
Der einzige Wi&#x017F;igothe dachte anders, aber auch nur er&#x017F;t<lb/>
in dem reichen Spanien, wo er fe&#x017F;t &#x017F;etzte, daß man &#x017F;ei-<lb/>
ner ku&#x0364;nftigen Frau nicht mehr als den zehnten Theil &#x017F;ei-<lb/>
ner Gu&#x0364;ter, oder doch nicht mehr ver&#x017F;chreiben &#x017F;ollte, als<lb/>
die&#x017F;e einbringen werde. Und die&#x017F;es Ge&#x017F;etz galt doch nur<lb/>
fu&#x0364;r die großen Hofbediente des Ko&#x0364;niges, die u&#x0364;berall zu-<lb/>
er&#x017F;t fremde Rechte angenommen haben, nicht aber fu&#x0364;r<lb/>
die Nation, welche in ihren Dingho&#x0364;fen allemal nach al-<lb/>
ten Gewohnheiten richtet.</p><lb/>
          <p>Dem Staate, der aus Hofbe&#x017F;itzern ent&#x017F;teht, i&#x017F;t zu<lb/>
allen Zeiten an der Erhaltung <hi rendition="#fr">des Hofes</hi> gelegen; zwar<lb/>
jetzt nicht mehr &#x017F;o &#x017F;ehr als vor dem, da der Eigner de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben noch im Heerbann zu Felde ziehen mußte; aber<lb/>
doch immer noch genug, um de&#x017F;&#x017F;en Ver&#x017F;plitterung und<lb/>
Ver&#x017F;chuldung zu verhindern. Die Natur fordert die&#x017F;es<lb/>
Ge&#x017F;etze; &#x017F;ie hat es in dem Augenblick der er&#x017F;ten Verbin-<lb/>
dung gegeben, und kann es nicht untergehen la&#x017F;&#x017F;en, ohne<lb/>
die&#x017F;em Staate &#x017F;eine ganze Einrichtung zu nehmen. Es<lb/>
giebt &#x017F;ogar Fa&#x0364;lle, wo &#x017F;ie die Vertheilung mehrer zu&#x017F;am-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">men-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0232] Ueber die Abſteuer der Toͤchter welchen neue Krankheiten und Uebel nicht aufreiben koͤnnen. Sie fuͤhren aber mit einander nur auf eine billige Abfindung der juͤngern Kinder, und nicht auf Gleichthei- lungen oder Pflichttheile, dergleichen die Roͤmer in ihrer buͤrgerlichen Verfaſſung, nachdem der Geldreichthum zu ſehr uͤberhand genommen hatte, und der Kriegesdienſt ſich nicht mehr auf Haus und Hof, ſondern auf eine Loͤh- nung an Gelde gruͤndete, mit Recht eingefuͤhret hatten. Und wenn man die Geſetze und Urkunden der Deutſchen aufs genaueſte pruͤfet: ſo findet ſich keine Spur, daß die- ſelben jemals an die Moͤglichkeit einer Gleichtheilung, oder ein ſicheres Verhaͤltniß zur Ausſteuer gedacht haͤtten. Der einzige Wiſigothe dachte anders, aber auch nur erſt in dem reichen Spanien, wo er feſt ſetzte, daß man ſei- ner kuͤnftigen Frau nicht mehr als den zehnten Theil ſei- ner Guͤter, oder doch nicht mehr verſchreiben ſollte, als dieſe einbringen werde. Und dieſes Geſetz galt doch nur fuͤr die großen Hofbediente des Koͤniges, die uͤberall zu- erſt fremde Rechte angenommen haben, nicht aber fuͤr die Nation, welche in ihren Dinghoͤfen allemal nach al- ten Gewohnheiten richtet. Dem Staate, der aus Hofbeſitzern entſteht, iſt zu allen Zeiten an der Erhaltung des Hofes gelegen; zwar jetzt nicht mehr ſo ſehr als vor dem, da der Eigner deſ- ſelben noch im Heerbann zu Felde ziehen mußte; aber doch immer noch genug, um deſſen Verſplitterung und Verſchuldung zu verhindern. Die Natur fordert dieſes Geſetze; ſie hat es in dem Augenblick der erſten Verbin- dung gegeben, und kann es nicht untergehen laſſen, ohne dieſem Staate ſeine ganze Einrichtung zu nehmen. Es giebt ſogar Faͤlle, wo ſie die Vertheilung mehrer zuſam- men-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/232
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/232>, abgerufen am 05.05.2024.