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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Die arme Tante Lore.
ich gesammlet habe -- und doch hält es so schwer auch nur
dem bloßen Namen nach, in diesen unerwünschten Stand zu
kommen.

So viel sehe ich endlich wohl ein, daß der glücklichste
und ruhigste Weg um zu einer Wittwenpension zu gelangen,
für eine ledige Frauensperson dieser sey, sich einen Mann
zu wählen, der ihr im Leben so viel gutes thut, daß sie
durch seinen Tod nicht glücklicher werden kann; und dieses
ist auch der Grund, worauf die Königl. Verordnung am
stärksten gebauet hat, da sie einen Vater, einen Oheim und
einen Bruder zuerst nennet; vielleicht würden auch diese
zu mehrer Wohlthätigkeit verpflichtet, und würde überhaupt
das Band der Liebe unter Verwandten fester geknüpft,
wenn sie durch ihr Wohlthun im Leben der Hofnung auf
ihren Tod zu begegnen hätten .... Aber ich habe kei-
nen Vater, keinen Oheim, keinen Bruder, und es ist auch
kein großer Herr in der Welt, der mir bey seinem Leben
eine Pension von zweyhundert Thaler geben will, damit
ich ihn zu meinem Manne in der Wittwencasse benennen,
und mich so von der Versuchung wie von dem Verdachte
befreyen könne, daß mir 100 Rthlr. nach seinem Tode lie-
ber seyn würden, als zweyhundert Thaler bey seinem Leben.

Schreckliche Verlegenheit! woraus ich mich nicht an-
ders zu helfen weiß, als daß ich hiemit öffentlich bekannt
mache: Wie ich einen Mann suche, wodurch ich höchstens
in zehn Jahren (ich bin jetzt sechzig) Wittwe werden, und
so nur die letzten Tage meines kummervollen lieblosen Le-
bens ausserhalb der Kinderstube meiner Verwandtinnen zu-
bringen könne? Ein Greiß von siebenzig oder achzig Jah-
ren -- unter diesen findet sich ja noch wohl einer, der sein
Leben nicht länger als auf zehn Jahr rechnet -- soll mir
der willkommenste seyn, und da ihm mit meiner Liebe nichts

gedie-
D 3

Die arme Tante Lore.
ich geſammlet habe — und doch haͤlt es ſo ſchwer auch nur
dem bloßen Namen nach, in dieſen unerwuͤnſchten Stand zu
kommen.

So viel ſehe ich endlich wohl ein, daß der gluͤcklichſte
und ruhigſte Weg um zu einer Wittwenpenſion zu gelangen,
fuͤr eine ledige Frauensperſon dieſer ſey, ſich einen Mann
zu waͤhlen, der ihr im Leben ſo viel gutes thut, daß ſie
durch ſeinen Tod nicht gluͤcklicher werden kann; und dieſes
iſt auch der Grund, worauf die Koͤnigl. Verordnung am
ſtaͤrkſten gebauet hat, da ſie einen Vater, einen Oheim und
einen Bruder zuerſt nennet; vielleicht wuͤrden auch dieſe
zu mehrer Wohlthaͤtigkeit verpflichtet, und wuͤrde uͤberhaupt
das Band der Liebe unter Verwandten feſter geknuͤpft,
wenn ſie durch ihr Wohlthun im Leben der Hofnung auf
ihren Tod zu begegnen haͤtten .... Aber ich habe kei-
nen Vater, keinen Oheim, keinen Bruder, und es iſt auch
kein großer Herr in der Welt, der mir bey ſeinem Leben
eine Penſion von zweyhundert Thaler geben will, damit
ich ihn zu meinem Manne in der Wittwencaſſe benennen,
und mich ſo von der Verſuchung wie von dem Verdachte
befreyen koͤnne, daß mir 100 Rthlr. nach ſeinem Tode lie-
ber ſeyn wuͤrden, als zweyhundert Thaler bey ſeinem Leben.

Schreckliche Verlegenheit! woraus ich mich nicht an-
ders zu helfen weiß, als daß ich hiemit oͤffentlich bekannt
mache: Wie ich einen Mann ſuche, wodurch ich hoͤchſtens
in zehn Jahren (ich bin jetzt ſechzig) Wittwe werden, und
ſo nur die letzten Tage meines kummervollen liebloſen Le-
bens auſſerhalb der Kinderſtube meiner Verwandtinnen zu-
bringen koͤnne? Ein Greiß von ſiebenzig oder achzig Jah-
ren — unter dieſen findet ſich ja noch wohl einer, der ſein
Leben nicht laͤnger als auf zehn Jahr rechnet — ſoll mir
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[[53]/0067] Die arme Tante Lore. ich geſammlet habe — und doch haͤlt es ſo ſchwer auch nur dem bloßen Namen nach, in dieſen unerwuͤnſchten Stand zu kommen. So viel ſehe ich endlich wohl ein, daß der gluͤcklichſte und ruhigſte Weg um zu einer Wittwenpenſion zu gelangen, fuͤr eine ledige Frauensperſon dieſer ſey, ſich einen Mann zu waͤhlen, der ihr im Leben ſo viel gutes thut, daß ſie durch ſeinen Tod nicht gluͤcklicher werden kann; und dieſes iſt auch der Grund, worauf die Koͤnigl. Verordnung am ſtaͤrkſten gebauet hat, da ſie einen Vater, einen Oheim und einen Bruder zuerſt nennet; vielleicht wuͤrden auch dieſe zu mehrer Wohlthaͤtigkeit verpflichtet, und wuͤrde uͤberhaupt das Band der Liebe unter Verwandten feſter geknuͤpft, wenn ſie durch ihr Wohlthun im Leben der Hofnung auf ihren Tod zu begegnen haͤtten .... Aber ich habe kei- nen Vater, keinen Oheim, keinen Bruder, und es iſt auch kein großer Herr in der Welt, der mir bey ſeinem Leben eine Penſion von zweyhundert Thaler geben will, damit ich ihn zu meinem Manne in der Wittwencaſſe benennen, und mich ſo von der Verſuchung wie von dem Verdachte befreyen koͤnne, daß mir 100 Rthlr. nach ſeinem Tode lie- ber ſeyn wuͤrden, als zweyhundert Thaler bey ſeinem Leben. Schreckliche Verlegenheit! woraus ich mich nicht an- ders zu helfen weiß, als daß ich hiemit oͤffentlich bekannt mache: Wie ich einen Mann ſuche, wodurch ich hoͤchſtens in zehn Jahren (ich bin jetzt ſechzig) Wittwe werden, und ſo nur die letzten Tage meines kummervollen liebloſen Le- bens auſſerhalb der Kinderſtube meiner Verwandtinnen zu- bringen koͤnne? Ein Greiß von ſiebenzig oder achzig Jah- ren — unter dieſen findet ſich ja noch wohl einer, der ſein Leben nicht laͤnger als auf zehn Jahr rechnet — ſoll mir der willkommenſte ſeyn, und da ihm mit meiner Liebe nichts gedie- D 3

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. [53]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/67>, abgerufen am 25.04.2024.