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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Die arme Tante Lore.
lersoper **), und mir einen Straßenräuber zum Manne
wählen, der bald an den Galgen kommen würde.

Unser Pastor, ein würdiger Geistlicher, mit dem ich
die Sache mehrmals überlegt, glaubt, ich würde täglich
in die Versuchung gerathen, mich zu versündigen und bey
jedem Verdrusse den ich litte, den Tod des Mannes wün-
schen, wodurch ich in glücklichere Umstände gerathen könnte.
Eine Ehefrau, fügte er hinzu, hätte an ihrem Manne ihre
Krone, und ihr Auskommen durch ihn, sie könnte durch
seinen Tod nie glücklicher werden als sie wäre, wofern der
Mann nicht so unvorsichtig gewesen wäre, ihr eine glückli-
chere Aussicht in die Zukunft zu versichern, als sie gegen-
wärtig bey ihm genösse; wenn Kinder vorhanden wären:
so würde die Mutter die Erhaltung des Vaters noch eifri-
ger von Gott erflehen, und ihr Gebet mit dem Gebete ihrer
Kinder vereinigen; mithin sey es ganz etwas anders, wenn
ein Mann für seine Frau, als wenn jemand für eine ledige
Person in die Wittwencasse setzte ....

Sehr richtig, antwortete ich ihm, aber wie gelange
ich nun zu einer baldigen Wittwenpension? Dieses ist die
Frage. Hier zuckte er die Achseln, und hustete aus voller
Brust, damit ich seinen Husten, den er bereits eine Zeit-
lang gehabt, nicht für schwindsüchtig halten, und ihn um
sein christliches Mitleiden ansprechen mögte. Das fühlte
ich so stark, daß ich mich der Thränen nicht erwehren konnte.
Ich armes Kind! Sonst dachte ich der Wittwenstand sey
so betrübt; so steht wenigstens in fnufzig Trauerbriefen die

ich
**) The Beggars opera. Sie führt diesen Namen vermuthlich um
deswillen, weil die darin vorkommenden Arien auf erborgte und
zusammen gesuchte Melodien gemacht sind. Also geht eine Arie
auf die Melodie: Ma commere quand je danse etc. und eine an-
dre auf: Le printems rappelle aux armes.

Die arme Tante Lore.
lersoper **), und mir einen Straßenraͤuber zum Manne
waͤhlen, der bald an den Galgen kommen wuͤrde.

Unſer Paſtor, ein wuͤrdiger Geiſtlicher, mit dem ich
die Sache mehrmals uͤberlegt, glaubt, ich wuͤrde taͤglich
in die Verſuchung gerathen, mich zu verſuͤndigen und bey
jedem Verdruſſe den ich litte, den Tod des Mannes wuͤn-
ſchen, wodurch ich in gluͤcklichere Umſtaͤnde gerathen koͤnnte.
Eine Ehefrau, fuͤgte er hinzu, haͤtte an ihrem Manne ihre
Krone, und ihr Auskommen durch ihn, ſie koͤnnte durch
ſeinen Tod nie gluͤcklicher werden als ſie waͤre, wofern der
Mann nicht ſo unvorſichtig geweſen waͤre, ihr eine gluͤckli-
chere Ausſicht in die Zukunft zu verſichern, als ſie gegen-
waͤrtig bey ihm genoͤſſe; wenn Kinder vorhanden waͤren:
ſo wuͤrde die Mutter die Erhaltung des Vaters noch eifri-
ger von Gott erflehen, und ihr Gebet mit dem Gebete ihrer
Kinder vereinigen; mithin ſey es ganz etwas anders, wenn
ein Mann fuͤr ſeine Frau, als wenn jemand fuͤr eine ledige
Perſon in die Wittwencaſſe ſetzte ....

Sehr richtig, antwortete ich ihm, aber wie gelange
ich nun zu einer baldigen Wittwenpenſion? Dieſes iſt die
Frage. Hier zuckte er die Achſeln, und huſtete aus voller
Bruſt, damit ich ſeinen Huſten, den er bereits eine Zeit-
lang gehabt, nicht fuͤr ſchwindſuͤchtig halten, und ihn um
ſein chriſtliches Mitleiden anſprechen moͤgte. Das fuͤhlte
ich ſo ſtark, daß ich mich der Thraͤnen nicht erwehren konnte.
Ich armes Kind! Sonſt dachte ich der Wittwenſtand ſey
ſo betruͤbt; ſo ſteht wenigſtens in fnufzig Trauerbriefen die

ich
**) The Beggars opera. Sie fuͤhrt dieſen Namen vermuthlich um
deswillen, weil die darin vorkommenden Arien auf erborgte und
zuſammen geſuchte Melodien gemacht ſind. Alſo geht eine Arie
auf die Melodie: Ma commere quand je danſe etc. und eine an-
dre auf: Le printems rappelle aux armes.
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[52/0066] Die arme Tante Lore. lersoper **), und mir einen Straßenraͤuber zum Manne waͤhlen, der bald an den Galgen kommen wuͤrde. Unſer Paſtor, ein wuͤrdiger Geiſtlicher, mit dem ich die Sache mehrmals uͤberlegt, glaubt, ich wuͤrde taͤglich in die Verſuchung gerathen, mich zu verſuͤndigen und bey jedem Verdruſſe den ich litte, den Tod des Mannes wuͤn- ſchen, wodurch ich in gluͤcklichere Umſtaͤnde gerathen koͤnnte. Eine Ehefrau, fuͤgte er hinzu, haͤtte an ihrem Manne ihre Krone, und ihr Auskommen durch ihn, ſie koͤnnte durch ſeinen Tod nie gluͤcklicher werden als ſie waͤre, wofern der Mann nicht ſo unvorſichtig geweſen waͤre, ihr eine gluͤckli- chere Ausſicht in die Zukunft zu verſichern, als ſie gegen- waͤrtig bey ihm genoͤſſe; wenn Kinder vorhanden waͤren: ſo wuͤrde die Mutter die Erhaltung des Vaters noch eifri- ger von Gott erflehen, und ihr Gebet mit dem Gebete ihrer Kinder vereinigen; mithin ſey es ganz etwas anders, wenn ein Mann fuͤr ſeine Frau, als wenn jemand fuͤr eine ledige Perſon in die Wittwencaſſe ſetzte .... Sehr richtig, antwortete ich ihm, aber wie gelange ich nun zu einer baldigen Wittwenpenſion? Dieſes iſt die Frage. Hier zuckte er die Achſeln, und huſtete aus voller Bruſt, damit ich ſeinen Huſten, den er bereits eine Zeit- lang gehabt, nicht fuͤr ſchwindſuͤchtig halten, und ihn um ſein chriſtliches Mitleiden anſprechen moͤgte. Das fuͤhlte ich ſo ſtark, daß ich mich der Thraͤnen nicht erwehren konnte. Ich armes Kind! Sonſt dachte ich der Wittwenſtand ſey ſo betruͤbt; ſo ſteht wenigſtens in fnufzig Trauerbriefen die ich **) The Beggars opera. Sie fuͤhrt dieſen Namen vermuthlich um deswillen, weil die darin vorkommenden Arien auf erborgte und zuſammen geſuchte Melodien gemacht ſind. Alſo geht eine Arie auf die Melodie: Ma commere quand je danſe etc. und eine an- dre auf: Le printems rappelle aux armes.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/66>, abgerufen am 29.03.2024.