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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Vom Gläubiger
ihnen binnen drey Jahren kein Capital gelöset, der Rück-
stand aller während dem Kriege angelaufenen Zinsen bis
auf ein Viertel erlassen, und vorerst uichts weiter als eine
alte und neue Zinse jährlich zu bezahlen angemuthet wer-
den sollte.

Es ist dieses das einzige Exempel in der Reichsgeschich-
te, daß man sich des höchsten und äussersten Obereigen-
thumsrechts auf eine so mächtige und allgemeine Weise be-
dienet habe. Die vorgängige Zuziehung aller Landstände,
die Einwilligung sämtlicher Reichsstände; das Gutachten
beyder höchsten Reichsgerichte; und die beyfällige Mey-
nung der grösten Rechtsgelehrten der damaligen Zeit, sind
aber auch solche feyerliche und wesentliche Umstände, daß
man wohl einsehen kann, wie die Reichsstände einen für
die Aufrechterhaltung des Eigenthumsrechts und der da-
von abhangenden Nationalfreyheit so bedenklichen Schritt
nicht anders als mit der reiflichsten und zärtlichsten Ueber-
legung gewaget haben. Die damalige Noth, worin bin-
nen einer Zeit von drey Jahren alle Bauern dieses Hoch-
stifts entweder von ihren Höfen entsetzt, oder doch unter
eine gerichtliche Verfügung gestellet seyn sollen, war auch
würklich sehr groß; und rührte hauptsächlich daher, daß
man im Jahr 1622 und 1623 die gar zu schlecht gewor-
dene Münze ohne eine genugsame Menge besserer einzu-
führen, plötzlich verrufen, und damit den Schuldnern
die Mittel genommen hatte, sich noch einigermassen zu be-
freyen. Wer Gelegenheit gehabt hat, Geldregister von
solcher Zeit einzusehen, wird finden, daß von 1623 bis 1648
alle Zinsen und Geldgefälle rückständig geblieben seyn.

Der letztere Krieg hat zwar nicht so lange gedauret;
diejenigen Gegenden aber, welche er in einer beständigen
Folge betroffen, nicht weniger unglücklich gemacht. Gleich-
wohl ist in dem darauf erfolgten Frieden für die verunglück-

ten

Vom Glaͤubiger
ihnen binnen drey Jahren kein Capital geloͤſet, der Ruͤck-
ſtand aller waͤhrend dem Kriege angelaufenen Zinſen bis
auf ein Viertel erlaſſen, und vorerſt uichts weiter als eine
alte und neue Zinſe jaͤhrlich zu bezahlen angemuthet wer-
den ſollte.

Es iſt dieſes das einzige Exempel in der Reichsgeſchich-
te, daß man ſich des hoͤchſten und aͤuſſerſten Obereigen-
thumsrechts auf eine ſo maͤchtige und allgemeine Weiſe be-
dienet habe. Die vorgaͤngige Zuziehung aller Landſtaͤnde,
die Einwilligung ſaͤmtlicher Reichsſtaͤnde; das Gutachten
beyder hoͤchſten Reichsgerichte; und die beyfaͤllige Mey-
nung der groͤſten Rechtsgelehrten der damaligen Zeit, ſind
aber auch ſolche feyerliche und weſentliche Umſtaͤnde, daß
man wohl einſehen kann, wie die Reichsſtaͤnde einen fuͤr
die Aufrechterhaltung des Eigenthumsrechts und der da-
von abhangenden Nationalfreyheit ſo bedenklichen Schritt
nicht anders als mit der reiflichſten und zaͤrtlichſten Ueber-
legung gewaget haben. Die damalige Noth, worin bin-
nen einer Zeit von drey Jahren alle Bauern dieſes Hoch-
ſtifts entweder von ihren Hoͤfen entſetzt, oder doch unter
eine gerichtliche Verfuͤgung geſtellet ſeyn ſollen, war auch
wuͤrklich ſehr groß; und ruͤhrte hauptſaͤchlich daher, daß
man im Jahr 1622 und 1623 die gar zu ſchlecht gewor-
dene Muͤnze ohne eine genugſame Menge beſſerer einzu-
fuͤhren, ploͤtzlich verrufen, und damit den Schuldnern
die Mittel genommen hatte, ſich noch einigermaſſen zu be-
freyen. Wer Gelegenheit gehabt hat, Geldregiſter von
ſolcher Zeit einzuſehen, wird finden, daß von 1623 bis 1648
alle Zinſen und Geldgefaͤlle ruͤckſtaͤndig geblieben ſeyn.

Der letztere Krieg hat zwar nicht ſo lange gedauret;
diejenigen Gegenden aber, welche er in einer beſtaͤndigen
Folge betroffen, nicht weniger ungluͤcklich gemacht. Gleich-
wohl iſt in dem darauf erfolgten Frieden fuͤr die verungluͤck-

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[366/0380] Vom Glaͤubiger ihnen binnen drey Jahren kein Capital geloͤſet, der Ruͤck- ſtand aller waͤhrend dem Kriege angelaufenen Zinſen bis auf ein Viertel erlaſſen, und vorerſt uichts weiter als eine alte und neue Zinſe jaͤhrlich zu bezahlen angemuthet wer- den ſollte. Es iſt dieſes das einzige Exempel in der Reichsgeſchich- te, daß man ſich des hoͤchſten und aͤuſſerſten Obereigen- thumsrechts auf eine ſo maͤchtige und allgemeine Weiſe be- dienet habe. Die vorgaͤngige Zuziehung aller Landſtaͤnde, die Einwilligung ſaͤmtlicher Reichsſtaͤnde; das Gutachten beyder hoͤchſten Reichsgerichte; und die beyfaͤllige Mey- nung der groͤſten Rechtsgelehrten der damaligen Zeit, ſind aber auch ſolche feyerliche und weſentliche Umſtaͤnde, daß man wohl einſehen kann, wie die Reichsſtaͤnde einen fuͤr die Aufrechterhaltung des Eigenthumsrechts und der da- von abhangenden Nationalfreyheit ſo bedenklichen Schritt nicht anders als mit der reiflichſten und zaͤrtlichſten Ueber- legung gewaget haben. Die damalige Noth, worin bin- nen einer Zeit von drey Jahren alle Bauern dieſes Hoch- ſtifts entweder von ihren Hoͤfen entſetzt, oder doch unter eine gerichtliche Verfuͤgung geſtellet ſeyn ſollen, war auch wuͤrklich ſehr groß; und ruͤhrte hauptſaͤchlich daher, daß man im Jahr 1622 und 1623 die gar zu ſchlecht gewor- dene Muͤnze ohne eine genugſame Menge beſſerer einzu- fuͤhren, ploͤtzlich verrufen, und damit den Schuldnern die Mittel genommen hatte, ſich noch einigermaſſen zu be- freyen. Wer Gelegenheit gehabt hat, Geldregiſter von ſolcher Zeit einzuſehen, wird finden, daß von 1623 bis 1648 alle Zinſen und Geldgefaͤlle ruͤckſtaͤndig geblieben ſeyn. Der letztere Krieg hat zwar nicht ſo lange gedauret; diejenigen Gegenden aber, welche er in einer beſtaͤndigen Folge betroffen, nicht weniger ungluͤcklich gemacht. Gleich- wohl iſt in dem darauf erfolgten Frieden fuͤr die verungluͤck- ten

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/380>, abgerufen am 29.03.2024.