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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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und landsäßigen Schuldner.
ten Schuldner nicht gesorgt. Man hört auch nicht, daß
auf Reichs- oder Landtägen ihrenthalben etwas beschlossen
werde. Was soll also ein Richter, der täglich von dem
Gläubiger um Hülfe und von dem Schuldner um Gedult
angeflehet wird, thun, um sein Gewissen nicht zu verletzen?

Auf der einen Seite verpflichtet ihn sein Amt, dem Gläu-
biger ohne allen Verzug zu helfen. Auf der Gewißheit
und Fertigkeit dieser Hülfe beruhet aller Credit. Der ge-
ringste Ordnungswidrige Verzug, womit er einem Schuld-
ner dienet, schadet hundert andern, denen kein Gläubi-
ger aushelfen will, so bald sie Aufzüge zu befürchten ha-
ben. Wo die Handlung blühen soll, muß die richterli-
che Hülfe sich weder durch die Thränen der Wittwe noch
durch das Geschrey der Waisen aufhalten lassen. In Lon-
don, Amsterdam, Hamburg und Bremen kennt man kei-
nen Stillestand, den Richter und Obrigkeit ertheilen. Es
ist ein Raub, den der Richter begeht, wenn er einem Gläu-
biger das seinige vorenthält, oder Schuld daran ist, daß
es ihm vorenthalten werde. Wenn Gott den Schuldner
mit Unglückssällen heimsucht: so muß er und nicht der
Gläubiger leiden. Die Gesetze a) haben dem Gläubiger
das Seinige auf den Fall nicht abgesprochen, wenn der
Schuldner unglücklich werden würde. Die Gesetzgeber
wusten die Möglichkeit der Unglücksfälle vorher. Sie ver-
änderten aber das allgemeine Gesetz, daß jeder ohne Auf-

ent-
a) Quid? tu tam imprudentes judicas fuisse majores nostros, ut
non intelligerent iniquissimum esse eodem loco haberi eum, qui
pecuniam quam a creditore acceperat, libidine aut alea absum-
sit, et eum qui incendio aut latronico aut alio quodam casu
tristiori aliena cum suis perdidit? Nullam excusationem recepe-
runt ut homines scitent fidem utique praestandum. Satius enim
erat a paucis etiam justam exceptionem non accipi, quam ab
omnibus aliquam tentari, Seneca de benef. VII.
26.

und landſaͤßigen Schuldner.
ten Schuldner nicht geſorgt. Man hoͤrt auch nicht, daß
auf Reichs- oder Landtaͤgen ihrenthalben etwas beſchloſſen
werde. Was ſoll alſo ein Richter, der taͤglich von dem
Glaͤubiger um Huͤlfe und von dem Schuldner um Gedult
angeflehet wird, thun, um ſein Gewiſſen nicht zu verletzen?

Auf der einen Seite verpflichtet ihn ſein Amt, dem Glaͤu-
biger ohne allen Verzug zu helfen. Auf der Gewißheit
und Fertigkeit dieſer Huͤlfe beruhet aller Credit. Der ge-
ringſte Ordnungswidrige Verzug, womit er einem Schuld-
ner dienet, ſchadet hundert andern, denen kein Glaͤubi-
ger aushelfen will, ſo bald ſie Aufzuͤge zu befuͤrchten ha-
ben. Wo die Handlung bluͤhen ſoll, muß die richterli-
che Huͤlfe ſich weder durch die Thraͤnen der Wittwe noch
durch das Geſchrey der Waiſen aufhalten laſſen. In Lon-
don, Amſterdam, Hamburg und Bremen kennt man kei-
nen Stilleſtand, den Richter und Obrigkeit ertheilen. Es
iſt ein Raub, den der Richter begeht, wenn er einem Glaͤu-
biger das ſeinige vorenthaͤlt, oder Schuld daran iſt, daß
es ihm vorenthalten werde. Wenn Gott den Schuldner
mit Ungluͤcksſaͤllen heimſucht: ſo muß er und nicht der
Glaͤubiger leiden. Die Geſetze a) haben dem Glaͤubiger
das Seinige auf den Fall nicht abgeſprochen, wenn der
Schuldner ungluͤcklich werden wuͤrde. Die Geſetzgeber
wuſten die Moͤglichkeit der Ungluͤcksfaͤlle vorher. Sie ver-
aͤnderten aber das allgemeine Geſetz, daß jeder ohne Auf-

ent-
a) Quid? tu tam imprudentes judicas fuiſſe majores noſtros, ut
non intelligerent iniquiſſimum eſſe eodem loco haberi eum, qui
pecuniam quam a creditore acceperat, libidine aut alea abſum-
ſit, et eum qui incendio aut latronico aut alio quodam caſu
triſtiori aliena cum ſuis perdidit? Nullam excuſationem recepe-
runt ut homines ſcitent fidem utique præſtandum. Satius enim
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[367/0381] und landſaͤßigen Schuldner. ten Schuldner nicht geſorgt. Man hoͤrt auch nicht, daß auf Reichs- oder Landtaͤgen ihrenthalben etwas beſchloſſen werde. Was ſoll alſo ein Richter, der taͤglich von dem Glaͤubiger um Huͤlfe und von dem Schuldner um Gedult angeflehet wird, thun, um ſein Gewiſſen nicht zu verletzen? Auf der einen Seite verpflichtet ihn ſein Amt, dem Glaͤu- biger ohne allen Verzug zu helfen. Auf der Gewißheit und Fertigkeit dieſer Huͤlfe beruhet aller Credit. Der ge- ringſte Ordnungswidrige Verzug, womit er einem Schuld- ner dienet, ſchadet hundert andern, denen kein Glaͤubi- ger aushelfen will, ſo bald ſie Aufzuͤge zu befuͤrchten ha- ben. Wo die Handlung bluͤhen ſoll, muß die richterli- che Huͤlfe ſich weder durch die Thraͤnen der Wittwe noch durch das Geſchrey der Waiſen aufhalten laſſen. In Lon- don, Amſterdam, Hamburg und Bremen kennt man kei- nen Stilleſtand, den Richter und Obrigkeit ertheilen. Es iſt ein Raub, den der Richter begeht, wenn er einem Glaͤu- biger das ſeinige vorenthaͤlt, oder Schuld daran iſt, daß es ihm vorenthalten werde. Wenn Gott den Schuldner mit Ungluͤcksſaͤllen heimſucht: ſo muß er und nicht der Glaͤubiger leiden. Die Geſetze a) haben dem Glaͤubiger das Seinige auf den Fall nicht abgeſprochen, wenn der Schuldner ungluͤcklich werden wuͤrde. Die Geſetzgeber wuſten die Moͤglichkeit der Ungluͤcksfaͤlle vorher. Sie ver- aͤnderten aber das allgemeine Geſetz, daß jeder ohne Auf- ent- a) Quid? tu tam imprudentes judicas fuiſſe majores noſtros, ut non intelligerent iniquiſſimum eſſe eodem loco haberi eum, qui pecuniam quam a creditore acceperat, libidine aut alea abſum- ſit, et eum qui incendio aut latronico aut alio quodam caſu triſtiori aliena cum ſuis perdidit? Nullam excuſationem recepe- runt ut homines ſcitent fidem utique præſtandum. Satius enim erat a paucis etiam juſtam exceptionem non accipi, quam ab omnibus aliquam tentari, Seneca de benef. VII. 26.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/381>, abgerufen am 21.11.2024.