Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.Ueber die verfeinerte Begriffe. tief aus der Sache geschöpft, sie beziehen sich auf Verhält-nisse, die nur den Baumeistern bekannt sind, und es kömmt mir oft so vor, als wenn sie durch ein Vergrösserungsglas arbeiteten, und die Dinge in einem ganz andern Lichte, in einem so ausserordentlichen Verhältnisse sähen, worinn sie sonst niemand erblickt. Man kann doch, wenn man sich unterrichten, erbauen oder vergnügen will, nicht immer auch sein Vergrösserungsglas vor sich haben, oder wenn man krank ist, den feinen Zergliederer dem nützlichen Arzte vorziehen. Die natürliche Folge jenes Verfahrens ist, daß sie auch ihre Empfindungen erhöhen, und da jauchzen oder heulen, wo ein andrer ehrlicher Mann, der das nicht sie- het was sie sehen, ganz gleichgültig bleibt. Ja ich kenne ihrer viele, die durch die neu entdeckten Aehnlichkeiten und Verhältnisse in dem Unendlichen der Natur in eine für den gemeinen Leser ganz unbegreifliche Schwärmerey versetzet werden. Die Wissenschaft sollte meiner Meinung nach für den Meister, und die Frucht derselben für das allgemeine Beste seyn. Mir ist das Resultat einer grossen Geistesar- beit, und zum Beyspiel der Gedanke, das Einweyhungs- fest der neuen catholischen Kirche in Berlin, mit dem Ge- sange: Wir gläuben alle an einen Gott etc. anzufangen, lieber, und lehrreicher, auch in seiner Stelle schöner und besser, als die feinste Zergliederung einer menschlichen Tugend. Wenn aber, fiel hier der Pfarrer ein, die feinsten Wahr- Spra-
Ueber die verfeinerte Begriffe. tief aus der Sache geſchoͤpft, ſie beziehen ſich auf Verhaͤlt-niſſe, die nur den Baumeiſtern bekannt ſind, und es koͤmmt mir oft ſo vor, als wenn ſie durch ein Vergroͤſſerungsglas arbeiteten, und die Dinge in einem ganz andern Lichte, in einem ſo auſſerordentlichen Verhaͤltniſſe ſaͤhen, worinn ſie ſonſt niemand erblickt. Man kann doch, wenn man ſich unterrichten, erbauen oder vergnuͤgen will, nicht immer auch ſein Vergroͤſſerungsglas vor ſich haben, oder wenn man krank iſt, den feinen Zergliederer dem nuͤtzlichen Arzte vorziehen. Die natuͤrliche Folge jenes Verfahrens iſt, daß ſie auch ihre Empfindungen erhoͤhen, und da jauchzen oder heulen, wo ein andrer ehrlicher Mann, der das nicht ſie- het was ſie ſehen, ganz gleichguͤltig bleibt. Ja ich kenne ihrer viele, die durch die neu entdeckten Aehnlichkeiten und Verhaͤltniſſe in dem Unendlichen der Natur in eine fuͤr den gemeinen Leſer ganz unbegreifliche Schwaͤrmerey verſetzet werden. Die Wiſſenſchaft ſollte meiner Meinung nach fuͤr den Meiſter, und die Frucht derſelben fuͤr das allgemeine Beſte ſeyn. Mir iſt das Reſultat einer groſſen Geiſtesar- beit, und zum Beyſpiel der Gedanke, das Einweyhungs- feſt der neuen catholiſchen Kirche in Berlin, mit dem Ge- ſange: Wir glaͤuben alle an einen Gott ꝛc. anzufangen, lieber, und lehrreicher, auch in ſeiner Stelle ſchoͤner und beſſer, als die feinſte Zergliederung einer menſchlichen Tugend. Wenn aber, fiel hier der Pfarrer ein, die feinſten Wahr- Spra-
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Ueber die verfeinerte Begriffe.
tief aus der Sache geſchoͤpft, ſie beziehen ſich auf Verhaͤlt-
niſſe, die nur den Baumeiſtern bekannt ſind, und es koͤmmt
mir oft ſo vor, als wenn ſie durch ein Vergroͤſſerungsglas
arbeiteten, und die Dinge in einem ganz andern Lichte, in
einem ſo auſſerordentlichen Verhaͤltniſſe ſaͤhen, worinn ſie
ſonſt niemand erblickt. Man kann doch, wenn man ſich
unterrichten, erbauen oder vergnuͤgen will, nicht immer
auch ſein Vergroͤſſerungsglas vor ſich haben, oder wenn
man krank iſt, den feinen Zergliederer dem nuͤtzlichen Arzte
vorziehen. Die natuͤrliche Folge jenes Verfahrens iſt, daß
ſie auch ihre Empfindungen erhoͤhen, und da jauchzen oder
heulen, wo ein andrer ehrlicher Mann, der das nicht ſie-
het was ſie ſehen, ganz gleichguͤltig bleibt. Ja ich kenne
ihrer viele, die durch die neu entdeckten Aehnlichkeiten und
Verhaͤltniſſe in dem Unendlichen der Natur in eine fuͤr den
gemeinen Leſer ganz unbegreifliche Schwaͤrmerey verſetzet
werden. Die Wiſſenſchaft ſollte meiner Meinung nach fuͤr
den Meiſter, und die Frucht derſelben fuͤr das allgemeine
Beſte ſeyn. Mir iſt das Reſultat einer groſſen Geiſtesar-
beit, und zum Beyſpiel der Gedanke, das Einweyhungs-
feſt der neuen catholiſchen Kirche in Berlin, mit dem Ge-
ſange: Wir glaͤuben alle an einen Gott ꝛc. anzufangen,
lieber, und lehrreicher, auch in ſeiner Stelle ſchoͤner und
beſſer, als die feinſte Zergliederung einer menſchlichen Tugend.
Wenn aber, fiel hier der Pfarrer ein, die feinſten Wahr-
heiten populaͤr gemacht werden koͤnnen! O, ſagte ich, wo
das geſchehen kann, da hoͤret mein Widerſpruch auf; aber
es iſt gegen die Natur der Sache unendlich kleinen Theilgen,
und unendlich feinen Unterſcheiden, Groͤſſe und Farbe zu
geben, daß ſie ein jeder ſehen und empfinden kann. Auſſer
dem engen Kreiſe der Wiſſenſchaften verwirret man nur da-
mit den geſunden Menſchenverſtand. Die ganze Behand-
lung einer Sache, und die zu deren Vortrag gewidmete
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