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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen
nach einzelnen schönen Gegenständen in der Natur, ausge-
arbeitet, und es nicht gewagt haben, eine allgemeine Regel
des Schönen festzusetzen, und ihren Meissel nach dieser zu
führen. Die römischen Gesetze bewnndert man, und muß
sie gleich den griechischen Kunstwerken bewundern, weil ein
jedes derselben einen einzelnen Fall zum Grunde hat, und
allemal eine Erfahrung zur Regel für eine völlig ähnliche
Begebenheit darbietet. Man spricht täglich davon, wie
nachtheilig dem Genie alle allgemeine Regeln und Gesetze
seyn, und wie sehr die neuern durch einige wenige Idealen
gehindert werden, sich über das mittelmäßige zu erheben;
und dennoch soll das edelste Kunstwerk unter allen, die
Staatsverfassung, sich auf einige allgemeine Gesetze zurück
bringen lassen; sie soll die unmannigfaltige Schönheit eines
französischen Schauspiels annehmen; und sich wenigstens im
Prospect, im Grundriß und im Durchschnitt auf einen Bo-
gen Papier yollkommen abzeichnen lassen, damit die Herrn
beym Departement mit Hülfe eines kleinen Maasstabs alle
Größen und Höhen so fort berechnen können.

Ich will es nicht untersuchen, ob die gelehrte Natur einen
Hang zur Einförmigkeit genommen, oder das ruhige Ver-
gnügen allgemeine Wahrheiten zu erfinden, und Gesetze für
die ganze Natur daraus zu machen, diese unsre neumodi-
sche Denkungsart beliebt gemacht, oder auch der Militair-
stand, worinn oft hundert tausend Menschen das Auge auf
einen Punkt richten, und den Fuß nach dem nehmlichen
Tackte setzen müssen, sein Exempel zur Nachahmung em-
pfohlen habe. Man mag hier annehmen was man will,
die Wahrheit bleibt allemal, je einfacher die Gesetze, und je
allgemeiner die Regeln werden, desto despotischer, trockner
und armseliger wird ein Staat.*)

Ich
*) Der Herr von Montesquieu sagt eben dieses; aber der
Auteur de la Theorie des loix civiles. Londres 1767.

Der jetzige Hang zu allgemeinen Geſetzen
nach einzelnen ſchoͤnen Gegenſtaͤnden in der Natur, ausge-
arbeitet, und es nicht gewagt haben, eine allgemeine Regel
des Schoͤnen feſtzuſetzen, und ihren Meiſſel nach dieſer zu
fuͤhren. Die roͤmiſchen Geſetze bewnndert man, und muß
ſie gleich den griechiſchen Kunſtwerken bewundern, weil ein
jedes derſelben einen einzelnen Fall zum Grunde hat, und
allemal eine Erfahrung zur Regel fuͤr eine voͤllig aͤhnliche
Begebenheit darbietet. Man ſpricht taͤglich davon, wie
nachtheilig dem Genie alle allgemeine Regeln und Geſetze
ſeyn, und wie ſehr die neuern durch einige wenige Idealen
gehindert werden, ſich uͤber das mittelmaͤßige zu erheben;
und dennoch ſoll das edelſte Kunſtwerk unter allen, die
Staatsverfaſſung, ſich auf einige allgemeine Geſetze zuruͤck
bringen laſſen; ſie ſoll die unmannigfaltige Schoͤnheit eines
franzoͤſiſchen Schauſpiels annehmen; und ſich wenigſtens im
Proſpect, im Grundriß und im Durchſchnitt auf einen Bo-
gen Papier yollkommen abzeichnen laſſen, damit die Herrn
beym Departement mit Huͤlfe eines kleinen Maasſtabs alle
Groͤßen und Hoͤhen ſo fort berechnen koͤnnen.

Ich will es nicht unterſuchen, ob die gelehrte Natur einen
Hang zur Einfoͤrmigkeit genommen, oder das ruhige Ver-
gnuͤgen allgemeine Wahrheiten zu erfinden, und Geſetze fuͤr
die ganze Natur daraus zu machen, dieſe unſre neumodi-
ſche Denkungsart beliebt gemacht, oder auch der Militair-
ſtand, worinn oft hundert tauſend Menſchen das Auge auf
einen Punkt richten, und den Fuß nach dem nehmlichen
Tackte ſetzen muͤſſen, ſein Exempel zur Nachahmung em-
pfohlen habe. Man mag hier annehmen was man will,
die Wahrheit bleibt allemal, je einfacher die Geſetze, und je
allgemeiner die Regeln werden, deſto deſpotiſcher, trockner
und armſeliger wird ein Staat.*)

Ich
*) Der Herr von Montesquieu ſagt eben dieſes; aber der
Auteur de la Theorie des loix civiles. Londres 1767.
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[16/0034] Der jetzige Hang zu allgemeinen Geſetzen nach einzelnen ſchoͤnen Gegenſtaͤnden in der Natur, ausge- arbeitet, und es nicht gewagt haben, eine allgemeine Regel des Schoͤnen feſtzuſetzen, und ihren Meiſſel nach dieſer zu fuͤhren. Die roͤmiſchen Geſetze bewnndert man, und muß ſie gleich den griechiſchen Kunſtwerken bewundern, weil ein jedes derſelben einen einzelnen Fall zum Grunde hat, und allemal eine Erfahrung zur Regel fuͤr eine voͤllig aͤhnliche Begebenheit darbietet. Man ſpricht taͤglich davon, wie nachtheilig dem Genie alle allgemeine Regeln und Geſetze ſeyn, und wie ſehr die neuern durch einige wenige Idealen gehindert werden, ſich uͤber das mittelmaͤßige zu erheben; und dennoch ſoll das edelſte Kunſtwerk unter allen, die Staatsverfaſſung, ſich auf einige allgemeine Geſetze zuruͤck bringen laſſen; ſie ſoll die unmannigfaltige Schoͤnheit eines franzoͤſiſchen Schauſpiels annehmen; und ſich wenigſtens im Proſpect, im Grundriß und im Durchſchnitt auf einen Bo- gen Papier yollkommen abzeichnen laſſen, damit die Herrn beym Departement mit Huͤlfe eines kleinen Maasſtabs alle Groͤßen und Hoͤhen ſo fort berechnen koͤnnen. Ich will es nicht unterſuchen, ob die gelehrte Natur einen Hang zur Einfoͤrmigkeit genommen, oder das ruhige Ver- gnuͤgen allgemeine Wahrheiten zu erfinden, und Geſetze fuͤr die ganze Natur daraus zu machen, dieſe unſre neumodi- ſche Denkungsart beliebt gemacht, oder auch der Militair- ſtand, worinn oft hundert tauſend Menſchen das Auge auf einen Punkt richten, und den Fuß nach dem nehmlichen Tackte ſetzen muͤſſen, ſein Exempel zur Nachahmung em- pfohlen habe. Man mag hier annehmen was man will, die Wahrheit bleibt allemal, je einfacher die Geſetze, und je allgemeiner die Regeln werden, deſto deſpotiſcher, trockner und armſeliger wird ein Staat. *) Ich *) Der Herr von Montesquieu ſagt eben dieſes; aber der Auteur de la Theorie des loix civiles. Londres 1767.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/34>, abgerufen am 23.11.2024.