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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Schreiben über die Cultur der Industrie.
den? Was ist dieselbe aber in Vergleichung des starken Exem-
pels, des beständigen Anführens, und der unaufhörlichen Ver-
suche, wodurch Kinder in den Nehnadelnfabriken zu der ihnen
eignen Fertigkeit gebracht werden? Jene fällt freylich mehr in
die Augen; aber diese ist unbemerkt unendlich. Wie viel
heimlicher Einfluß muß auf die Kinder würken, welche zu
Gütersloh von ihrer zartesten Jugend an das Garn zu den
brabandischen Spitzen spinnen? Wie viel eigenthümliche Hand-
griffe muß das Dorf Brothagen im Ravensbergischen haben,
welches das Flachs dazu bereitet, da es ihm kein ander Dorf
hierinn gleich thun kan? Was für eine eigenthümliche Beschaf-
fenheit muß der Boden um dieses Dorf haben, da auch der
Hanfsaame, welcher dort fällt, und hier von Kennern um ein
Drittel höher als der Zwollische bezahlet wird, einen Hanf
liefert, der unendlich feiner und seidenhafter verarbeitet wer-
den kan, als aller übriger? Was für ein früher und starker
Eindruck gehört dazu, um den Wollenspinnern jeden Unter-
schleif mit der Wolle als die größte Sünde einzubilden? Wie
früh wird das Ohr des künftigen Virtuosen gewehnt? welch
eine Reihe von Jahren arbeitet er, um seine Finger, seinen
Arm und sein ganzes Gefühl zu bilden? Wie anhaltend sind
seine Bemühungen? und wenn solche frühe, starke und große
Studien dazu erfordert werden, um geschickte Leute in jeder
Kunst zu bilden? Wenn der Einfluß so vieler Exempel, wenn
eine beständige Gewohnheit, wenn eine ordentlich darauf ein-
gerichtete Sittenlehre nöthig ist, um diese Nation mit Lust
auf die See und jene singend in die Bergwerke zu führen.
Ja wenn man dem Volke, was zu einer besondern Art von
Arbeiten auf Zeit Lebens gewidmet bleiben soll, mit Hülfe der
Erziehung gleichsam alle andre Sinnen nehmen, und ihm nur
den einzigen, den es gebraucht, lassen muß, um es zu einem
beständigen Sclaven seines einzigen Berufs zu machen, um

ihm

Schreiben uͤber die Cultur der Induſtrie.
den? Was iſt dieſelbe aber in Vergleichung des ſtarken Exem-
pels, des beſtaͤndigen Anfuͤhrens, und der unaufhoͤrlichen Ver-
ſuche, wodurch Kinder in den Nehnadelnfabriken zu der ihnen
eignen Fertigkeit gebracht werden? Jene faͤllt freylich mehr in
die Augen; aber dieſe iſt unbemerkt unendlich. Wie viel
heimlicher Einfluß muß auf die Kinder wuͤrken, welche zu
Guͤtersloh von ihrer zarteſten Jugend an das Garn zu den
brabandiſchen Spitzen ſpinnen? Wie viel eigenthuͤmliche Hand-
griffe muß das Dorf Brothagen im Ravensbergiſchen haben,
welches das Flachs dazu bereitet, da es ihm kein ander Dorf
hierinn gleich thun kan? Was fuͤr eine eigenthuͤmliche Beſchaf-
fenheit muß der Boden um dieſes Dorf haben, da auch der
Hanfſaame, welcher dort faͤllt, und hier von Kennern um ein
Drittel hoͤher als der Zwolliſche bezahlet wird, einen Hanf
liefert, der unendlich feiner und ſeidenhafter verarbeitet wer-
den kan, als aller uͤbriger? Was fuͤr ein fruͤher und ſtarker
Eindruck gehoͤrt dazu, um den Wollenſpinnern jeden Unter-
ſchleif mit der Wolle als die groͤßte Suͤnde einzubilden? Wie
fruͤh wird das Ohr des kuͤnftigen Virtuoſen gewehnt? welch
eine Reihe von Jahren arbeitet er, um ſeine Finger, ſeinen
Arm und ſein ganzes Gefuͤhl zu bilden? Wie anhaltend ſind
ſeine Bemuͤhungen? und wenn ſolche fruͤhe, ſtarke und große
Studien dazu erfordert werden, um geſchickte Leute in jeder
Kunſt zu bilden? Wenn der Einfluß ſo vieler Exempel, wenn
eine beſtaͤndige Gewohnheit, wenn eine ordentlich darauf ein-
gerichtete Sittenlehre noͤthig iſt, um dieſe Nation mit Luſt
auf die See und jene ſingend in die Bergwerke zu fuͤhren.
Ja wenn man dem Volke, was zu einer beſondern Art von
Arbeiten auf Zeit Lebens gewidmet bleiben ſoll, mit Huͤlfe der
Erziehung gleichſam alle andre Sinnen nehmen, und ihm nur
den einzigen, den es gebraucht, laſſen muß, um es zu einem
beſtaͤndigen Sclaven ſeines einzigen Berufs zu machen, um

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[254/0272] Schreiben uͤber die Cultur der Induſtrie. den? Was iſt dieſelbe aber in Vergleichung des ſtarken Exem- pels, des beſtaͤndigen Anfuͤhrens, und der unaufhoͤrlichen Ver- ſuche, wodurch Kinder in den Nehnadelnfabriken zu der ihnen eignen Fertigkeit gebracht werden? Jene faͤllt freylich mehr in die Augen; aber dieſe iſt unbemerkt unendlich. Wie viel heimlicher Einfluß muß auf die Kinder wuͤrken, welche zu Guͤtersloh von ihrer zarteſten Jugend an das Garn zu den brabandiſchen Spitzen ſpinnen? Wie viel eigenthuͤmliche Hand- griffe muß das Dorf Brothagen im Ravensbergiſchen haben, welches das Flachs dazu bereitet, da es ihm kein ander Dorf hierinn gleich thun kan? Was fuͤr eine eigenthuͤmliche Beſchaf- fenheit muß der Boden um dieſes Dorf haben, da auch der Hanfſaame, welcher dort faͤllt, und hier von Kennern um ein Drittel hoͤher als der Zwolliſche bezahlet wird, einen Hanf liefert, der unendlich feiner und ſeidenhafter verarbeitet wer- den kan, als aller uͤbriger? Was fuͤr ein fruͤher und ſtarker Eindruck gehoͤrt dazu, um den Wollenſpinnern jeden Unter- ſchleif mit der Wolle als die groͤßte Suͤnde einzubilden? Wie fruͤh wird das Ohr des kuͤnftigen Virtuoſen gewehnt? welch eine Reihe von Jahren arbeitet er, um ſeine Finger, ſeinen Arm und ſein ganzes Gefuͤhl zu bilden? Wie anhaltend ſind ſeine Bemuͤhungen? und wenn ſolche fruͤhe, ſtarke und große Studien dazu erfordert werden, um geſchickte Leute in jeder Kunſt zu bilden? Wenn der Einfluß ſo vieler Exempel, wenn eine beſtaͤndige Gewohnheit, wenn eine ordentlich darauf ein- gerichtete Sittenlehre noͤthig iſt, um dieſe Nation mit Luſt auf die See und jene ſingend in die Bergwerke zu fuͤhren. Ja wenn man dem Volke, was zu einer beſondern Art von Arbeiten auf Zeit Lebens gewidmet bleiben ſoll, mit Huͤlfe der Erziehung gleichſam alle andre Sinnen nehmen, und ihm nur den einzigen, den es gebraucht, laſſen muß, um es zu einem beſtaͤndigen Sclaven ſeines einzigen Berufs zu machen, um ihm

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/272>, abgerufen am 22.11.2024.