ihm die Geschicklichkeit, die Lust und die Kräfte zu benehmen, jemals ein ander Handwerk ergreifen zu können, und um es solchergestalt zu zwingen, ewig in seinen Fesseln zu bleiben. Wie darf man denn von neuen Fabriken, an Orten, wo solche gar nicht zu Hause sind, wo noch keiner durch Erziehung, Ge- wohnheit und Noth gezwungen ist, Arbeit bey der Fabrik zu betteln, wo die ganze Denkungsart der Einwohner noch nicht dazu gewöhnt ist, alles auf den großen Punkt zu leiten; wie darf man hier sage ich, das erwarten, das leisten und das un- ternehmen, was an andern Orten, wo alle obige Vortheile den Fabrikanten zu statten kommen, schon langst vorbereitet ist, und nur auf die Hand eines Verlegers wartet.
Glauben Sie aber nicht, mein werthester! daß ich Sie dadurch von ihrer Unternehmung abschrecken wolle. Meine absicht geht blos dahin, Sie für dem Fehler unser heutigen Fabrikanten zu warnen, die insgemein mit einem prächtigen Gebäude den Anfang machen, und ehe es fertig, schon halb ermüdet sind; die alles sogleich mit fremden Händen und vollem Lohne zwingen wollen; und die Jahre nicht erwarten können, worinn der ausgestreuete Saame an ihrem Orte kei- men, aufgehen und zur Reife gelangen kan. Nur alsdann erst wenn einheimische Kinder unter der Anführung von Frem- den gebildet; und diese Kinder erst wiederum ihre eigne Kin- der gezogen haben; wann das neue Geschlecht nichts anders gesehen und gelernt und sich nothdürftig vermehret hat; wenn dasselbe den Verleger als seinen Vater betrachtet, und sich um die Wette beeyfert besser und wohlfeiler zu arbeiten; wenn bey ihnen die Arbeit zur Bedürfnisse, der Fleiß zur Erge- tzung, die Noth zum Zuchtmeister geworden ist; wenn die Er- nährung der Faullenzer nicht mehr Barmherzigkeit heißt; und keiner als einer der bey der Fabrik unvermögend gewor- den ist, Anspruch auf Mitleid und Unterstützung hat; wenn
die
Schreiben uͤber die Cultur der Induſtrie.
ihm die Geſchicklichkeit, die Luſt und die Kraͤfte zu benehmen, jemals ein ander Handwerk ergreifen zu koͤnnen, und um es ſolchergeſtalt zu zwingen, ewig in ſeinen Feſſeln zu bleiben. Wie darf man denn von neuen Fabriken, an Orten, wo ſolche gar nicht zu Hauſe ſind, wo noch keiner durch Erziehung, Ge- wohnheit und Noth gezwungen iſt, Arbeit bey der Fabrik zu betteln, wo die ganze Denkungsart der Einwohner noch nicht dazu gewoͤhnt iſt, alles auf den großen Punkt zu leiten; wie darf man hier ſage ich, das erwarten, das leiſten und das un- ternehmen, was an andern Orten, wo alle obige Vortheile den Fabrikanten zu ſtatten kommen, ſchon langſt vorbereitet iſt, und nur auf die Hand eines Verlegers wartet.
Glauben Sie aber nicht, mein wertheſter! daß ich Sie dadurch von ihrer Unternehmung abſchrecken wolle. Meine abſicht geht blos dahin, Sie fuͤr dem Fehler unſer heutigen Fabrikanten zu warnen, die insgemein mit einem praͤchtigen Gebaͤude den Anfang machen, und ehe es fertig, ſchon halb ermuͤdet ſind; die alles ſogleich mit fremden Haͤnden und vollem Lohne zwingen wollen; und die Jahre nicht erwarten koͤnnen, worinn der ausgeſtreuete Saame an ihrem Orte kei- men, aufgehen und zur Reife gelangen kan. Nur alsdann erſt wenn einheimiſche Kinder unter der Anfuͤhrung von Frem- den gebildet; und dieſe Kinder erſt wiederum ihre eigne Kin- der gezogen haben; wann das neue Geſchlecht nichts anders geſehen und gelernt und ſich nothduͤrftig vermehret hat; wenn daſſelbe den Verleger als ſeinen Vater betrachtet, und ſich um die Wette beeyfert beſſer und wohlfeiler zu arbeiten; wenn bey ihnen die Arbeit zur Beduͤrfniſſe, der Fleiß zur Erge- tzung, die Noth zum Zuchtmeiſter geworden iſt; wenn die Er- naͤhrung der Faullenzer nicht mehr Barmherzigkeit heißt; und keiner als einer der bey der Fabrik unvermoͤgend gewor- den iſt, Anſpruch auf Mitleid und Unterſtuͤtzung hat; wenn
die
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Schreiben uͤber die Cultur der Induſtrie.
ihm die Geſchicklichkeit, die Luſt und die Kraͤfte zu benehmen,
jemals ein ander Handwerk ergreifen zu koͤnnen, und um es
ſolchergeſtalt zu zwingen, ewig in ſeinen Feſſeln zu bleiben.
Wie darf man denn von neuen Fabriken, an Orten, wo ſolche
gar nicht zu Hauſe ſind, wo noch keiner durch Erziehung, Ge-
wohnheit und Noth gezwungen iſt, Arbeit bey der Fabrik zu
betteln, wo die ganze Denkungsart der Einwohner noch nicht
dazu gewoͤhnt iſt, alles auf den großen Punkt zu leiten; wie
darf man hier ſage ich, das erwarten, das leiſten und das un-
ternehmen, was an andern Orten, wo alle obige Vortheile
den Fabrikanten zu ſtatten kommen, ſchon langſt vorbereitet
iſt, und nur auf die Hand eines Verlegers wartet.
Glauben Sie aber nicht, mein wertheſter! daß ich Sie
dadurch von ihrer Unternehmung abſchrecken wolle. Meine
abſicht geht blos dahin, Sie fuͤr dem Fehler unſer heutigen
Fabrikanten zu warnen, die insgemein mit einem praͤchtigen
Gebaͤude den Anfang machen, und ehe es fertig, ſchon halb
ermuͤdet ſind; die alles ſogleich mit fremden Haͤnden und
vollem Lohne zwingen wollen; und die Jahre nicht erwarten
koͤnnen, worinn der ausgeſtreuete Saame an ihrem Orte kei-
men, aufgehen und zur Reife gelangen kan. Nur alsdann
erſt wenn einheimiſche Kinder unter der Anfuͤhrung von Frem-
den gebildet; und dieſe Kinder erſt wiederum ihre eigne Kin-
der gezogen haben; wann das neue Geſchlecht nichts anders
geſehen und gelernt und ſich nothduͤrftig vermehret hat; wenn
daſſelbe den Verleger als ſeinen Vater betrachtet, und ſich um
die Wette beeyfert beſſer und wohlfeiler zu arbeiten; wenn
bey ihnen die Arbeit zur Beduͤrfniſſe, der Fleiß zur Erge-
tzung, die Noth zum Zuchtmeiſter geworden iſt; wenn die Er-
naͤhrung der Faullenzer nicht mehr Barmherzigkeit heißt;
und keiner als einer der bey der Fabrik unvermoͤgend gewor-
den iſt, Anſpruch auf Mitleid und Unterſtuͤtzung hat; wenn
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/273>, abgerufen am 24.06.2024.
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