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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Nichts ist schädlicher
decken. Ich habe neulich meinen letzten Leibeignen abäussern
müssen. Himmel! wie quälte mich der Mann, ihn auf dem
Hofe zu lassen; Er weinete und heulete nicht anders, als
wenn er Frau und Kinder verlieren sollte; ich mußte ihn mit
Gewalt aus dem Hause führen lassen. Nun, dachte ich, zu
einer solchen Stätte, die so ungern verlassen wird, sollen sich
gewiß tausend Liebhaber finden. Aber es fand sich schlechter-
dings kein einziger. Die Liebe des Geblüts zu dem elterli-
chen Gute ist eine edle Leidenschaft, aber unsre Vorfahren ha-
ben nicht daran gedacht, sie zu unterhalten. Sie haben ihre
eignen Güter zu Stamm- und Fideicommißgüter gemacht,
aber die Fideicommisse des Staats zu Grunde gehen lassen.
Sie haben sich der Verschuldung der Höfe nicht kräftig ge-
nung wiedersetzt; sie haben solche vielmehr durch schwere Aus-
lobungen begünstiget; sie haben der Willkühr von einigen kein
genugsames Ziel gesetzet, und nun muß der beste gleich dem
schlechtesten darunter leiden. Vordem suchten die reichsten
Heuerleute Leibeigne zu werden, um nur auf einen Hof zu
kommen. Jetzt da sie ganze Höfe zur Miethe erlangen können,
finden sie ihre Rechnung weit besser, wenn sie sich zur Heuer
setzen, und uns am Ende des Jahr mit Rechnungen bezahlen.

Wir thun wahrlich unrecht, versetzte ein Alter, daß wir
uns über unsre Vorfahren beschweren; da wir selbst den Miß-
bräuchen kein Ziel setzen. Ich habe einen Hof, wovon 9
Kinder auszusteuren sind: jedes erhält jährlich den ganzen
Ueberschuß des Erbes, und diese Abgift wird noch zwey und
zwanzig Jahr währen. Immittelst ist meinem Bauren sein
bestes Pferd gefallen; und er hat daher, weil er sich ein an-
ders anschaffen müssen, in diesem Jahre den Ueberschuß wie
gewöhnlich nicht abliefern können. Was meynen Sie daß
der Richter gethan? Er hat ihm zwey Pferde pfänden und
solche verkaufen lassen, um den Ueberschuß zu ermächtigen.

Herr!

Nichts iſt ſchaͤdlicher
decken. Ich habe neulich meinen letzten Leibeignen abaͤuſſern
muͤſſen. Himmel! wie quaͤlte mich der Mann, ihn auf dem
Hofe zu laſſen; Er weinete und heulete nicht anders, als
wenn er Frau und Kinder verlieren ſollte; ich mußte ihn mit
Gewalt aus dem Hauſe fuͤhren laſſen. Nun, dachte ich, zu
einer ſolchen Staͤtte, die ſo ungern verlaſſen wird, ſollen ſich
gewiß tauſend Liebhaber finden. Aber es fand ſich ſchlechter-
dings kein einziger. Die Liebe des Gebluͤts zu dem elterli-
chen Gute iſt eine edle Leidenſchaft, aber unſre Vorfahren ha-
ben nicht daran gedacht, ſie zu unterhalten. Sie haben ihre
eignen Guͤter zu Stamm- und Fideicommißguͤter gemacht,
aber die Fideicommiſſe des Staats zu Grunde gehen laſſen.
Sie haben ſich der Verſchuldung der Hoͤfe nicht kraͤftig ge-
nung wiederſetzt; ſie haben ſolche vielmehr durch ſchwere Aus-
lobungen beguͤnſtiget; ſie haben der Willkuͤhr von einigen kein
genugſames Ziel geſetzet, und nun muß der beſte gleich dem
ſchlechteſten darunter leiden. Vordem ſuchten die reichſten
Heuerleute Leibeigne zu werden, um nur auf einen Hof zu
kommen. Jetzt da ſie ganze Hoͤfe zur Miethe erlangen koͤnnen,
finden ſie ihre Rechnung weit beſſer, wenn ſie ſich zur Heuer
ſetzen, und uns am Ende des Jahr mit Rechnungen bezahlen.

Wir thun wahrlich unrecht, verſetzte ein Alter, daß wir
uns uͤber unſre Vorfahren beſchweren; da wir ſelbſt den Miß-
braͤuchen kein Ziel ſetzen. Ich habe einen Hof, wovon 9
Kinder auszuſteuren ſind: jedes erhaͤlt jaͤhrlich den ganzen
Ueberſchuß des Erbes, und dieſe Abgift wird noch zwey und
zwanzig Jahr waͤhren. Immittelſt iſt meinem Bauren ſein
beſtes Pferd gefallen; und er hat daher, weil er ſich ein an-
ders anſchaffen muͤſſen, in dieſem Jahre den Ueberſchuß wie
gewoͤhnlich nicht abliefern koͤnnen. Was meynen Sie daß
der Richter gethan? Er hat ihm zwey Pferde pfaͤnden und
ſolche verkaufen laſſen, um den Ueberſchuß zu ermaͤchtigen.

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[118/0136] Nichts iſt ſchaͤdlicher decken. Ich habe neulich meinen letzten Leibeignen abaͤuſſern muͤſſen. Himmel! wie quaͤlte mich der Mann, ihn auf dem Hofe zu laſſen; Er weinete und heulete nicht anders, als wenn er Frau und Kinder verlieren ſollte; ich mußte ihn mit Gewalt aus dem Hauſe fuͤhren laſſen. Nun, dachte ich, zu einer ſolchen Staͤtte, die ſo ungern verlaſſen wird, ſollen ſich gewiß tauſend Liebhaber finden. Aber es fand ſich ſchlechter- dings kein einziger. Die Liebe des Gebluͤts zu dem elterli- chen Gute iſt eine edle Leidenſchaft, aber unſre Vorfahren ha- ben nicht daran gedacht, ſie zu unterhalten. Sie haben ihre eignen Guͤter zu Stamm- und Fideicommißguͤter gemacht, aber die Fideicommiſſe des Staats zu Grunde gehen laſſen. Sie haben ſich der Verſchuldung der Hoͤfe nicht kraͤftig ge- nung wiederſetzt; ſie haben ſolche vielmehr durch ſchwere Aus- lobungen beguͤnſtiget; ſie haben der Willkuͤhr von einigen kein genugſames Ziel geſetzet, und nun muß der beſte gleich dem ſchlechteſten darunter leiden. Vordem ſuchten die reichſten Heuerleute Leibeigne zu werden, um nur auf einen Hof zu kommen. Jetzt da ſie ganze Hoͤfe zur Miethe erlangen koͤnnen, finden ſie ihre Rechnung weit beſſer, wenn ſie ſich zur Heuer ſetzen, und uns am Ende des Jahr mit Rechnungen bezahlen. Wir thun wahrlich unrecht, verſetzte ein Alter, daß wir uns uͤber unſre Vorfahren beſchweren; da wir ſelbſt den Miß- braͤuchen kein Ziel ſetzen. Ich habe einen Hof, wovon 9 Kinder auszuſteuren ſind: jedes erhaͤlt jaͤhrlich den ganzen Ueberſchuß des Erbes, und dieſe Abgift wird noch zwey und zwanzig Jahr waͤhren. Immittelſt iſt meinem Bauren ſein beſtes Pferd gefallen; und er hat daher, weil er ſich ein an- ders anſchaffen muͤſſen, in dieſem Jahre den Ueberſchuß wie gewoͤhnlich nicht abliefern koͤnnen. Was meynen Sie daß der Richter gethan? Er hat ihm zwey Pferde pfaͤnden und ſolche verkaufen laſſen, um den Ueberſchuß zu ermaͤchtigen. Herr!

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/136>, abgerufen am 24.11.2024.