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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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an die Frau ... in der Hauptstadt.
angenehmen Lustgänge, das offenherzige Vertrauen, die
freundschaftliche Gefälligkeit, welche unsere Nachbaren bey
uns zu rühmen die Gütigkeit haben, mußten Ihren undank-
baren und verwöhnten Empfindungen zum Spotte dienen.

Wie konnten Sie aber dieses verantworten? Und wie konn-
ten Sie bey ihren großen Einsichten die Absichten nicht unter-
scheiden, wozu wir beyde gebohren, erzogen, und gewohnt
sind? Glauben Sie denn, daß ein Frauenzimmer auf dem
Lande, oder in einer kleinen Stadt alle die unglücklichen Be-
quemlichkeiten nöthig habe, welche in der Hauptstadt unent-
behrlich sind? Wissen Sie nicht daß die Menge ihrer Be-
dürfnisse nur ein Zeichen ihrer Armuth sey? Welch ein Un-
segen für uns, wenn wir an die täglichen Aßambleen, wie
an unser Spinnrad gewöhnet wären? Wenn wir Voltairen
und Popen besser, als unser Intelligenzblatt, und mehrere
Arten von Spielen, als Hausarbeiten kennten?

Denken Sie nicht, daß ich das Lesen guter Schriften ver-
achte. Ich kenne den Werth derselben sehr gut, hüte mich
aber sehr davor, daß ich meine Empfindungen nicht aus mei-
nem Stande gewöhne, und das Lesen bloß zu einer nothwendi-
gen Ausfüllung meiner langen Weile mache. So weit darf
es mit mir nicht kommen. Ich habe meine gesetzten Stun-
den dazu; so, wie zu meiner Arbeit, welche ich in meinem
Berufe dem Lesen freudig vorziehe. Und eben diesem Lesen
habe ich den nöthigen Ehrgeitz zu danken, daß ich mich durch
die höhnischen Anmerkungen der Stadtleute in meinen Pflich-
ten nicht irre machen lasse. Vor 2 Jahren lag ein französi-
scher Oficier bey uns. Sein Lied war beständig: On ne vit
qu'a Paris, on vegete ailleurs.
Er verlangte auf unserm
Dorfe nichts weniger, als Bälle, Opern, Comödien, Soupes
fins,
und petites maisons. Doch begriff er endlich, daß wir

sehr
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an die Frau … in der Hauptſtadt.
angenehmen Luſtgaͤnge, das offenherzige Vertrauen, die
freundſchaftliche Gefaͤlligkeit, welche unſere Nachbaren bey
uns zu ruͤhmen die Guͤtigkeit haben, mußten Ihren undank-
baren und verwoͤhnten Empfindungen zum Spotte dienen.

Wie konnten Sie aber dieſes verantworten? Und wie konn-
ten Sie bey ihren großen Einſichten die Abſichten nicht unter-
ſcheiden, wozu wir beyde gebohren, erzogen, und gewohnt
ſind? Glauben Sie denn, daß ein Frauenzimmer auf dem
Lande, oder in einer kleinen Stadt alle die ungluͤcklichen Be-
quemlichkeiten noͤthig habe, welche in der Hauptſtadt unent-
behrlich ſind? Wiſſen Sie nicht daß die Menge ihrer Be-
duͤrfniſſe nur ein Zeichen ihrer Armuth ſey? Welch ein Un-
ſegen fuͤr uns, wenn wir an die taͤglichen Aßambleen, wie
an unſer Spinnrad gewoͤhnet waͤren? Wenn wir Voltairen
und Popen beſſer, als unſer Intelligenzblatt, und mehrere
Arten von Spielen, als Hausarbeiten kennten?

Denken Sie nicht, daß ich das Leſen guter Schriften ver-
achte. Ich kenne den Werth derſelben ſehr gut, huͤte mich
aber ſehr davor, daß ich meine Empfindungen nicht aus mei-
nem Stande gewoͤhne, und das Leſen bloß zu einer nothwendi-
gen Ausfuͤllung meiner langen Weile mache. So weit darf
es mit mir nicht kommen. Ich habe meine geſetzten Stun-
den dazu; ſo, wie zu meiner Arbeit, welche ich in meinem
Berufe dem Leſen freudig vorziehe. Und eben dieſem Leſen
habe ich den noͤthigen Ehrgeitz zu danken, daß ich mich durch
die hoͤhniſchen Anmerkungen der Stadtleute in meinen Pflich-
ten nicht irre machen laſſe. Vor 2 Jahren lag ein franzoͤſi-
ſcher Oficier bey uns. Sein Lied war beſtaͤndig: On ne vit
qu’à Paris, on vegete ailleurs.
Er verlangte auf unſerm
Dorfe nichts weniger, als Baͤlle, Opern, Comoͤdien, Soupés
fins,
und petites maiſons. Doch begriff er endlich, daß wir

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[83/0101] an die Frau … in der Hauptſtadt. angenehmen Luſtgaͤnge, das offenherzige Vertrauen, die freundſchaftliche Gefaͤlligkeit, welche unſere Nachbaren bey uns zu ruͤhmen die Guͤtigkeit haben, mußten Ihren undank- baren und verwoͤhnten Empfindungen zum Spotte dienen. Wie konnten Sie aber dieſes verantworten? Und wie konn- ten Sie bey ihren großen Einſichten die Abſichten nicht unter- ſcheiden, wozu wir beyde gebohren, erzogen, und gewohnt ſind? Glauben Sie denn, daß ein Frauenzimmer auf dem Lande, oder in einer kleinen Stadt alle die ungluͤcklichen Be- quemlichkeiten noͤthig habe, welche in der Hauptſtadt unent- behrlich ſind? Wiſſen Sie nicht daß die Menge ihrer Be- duͤrfniſſe nur ein Zeichen ihrer Armuth ſey? Welch ein Un- ſegen fuͤr uns, wenn wir an die taͤglichen Aßambleen, wie an unſer Spinnrad gewoͤhnet waͤren? Wenn wir Voltairen und Popen beſſer, als unſer Intelligenzblatt, und mehrere Arten von Spielen, als Hausarbeiten kennten? Denken Sie nicht, daß ich das Leſen guter Schriften ver- achte. Ich kenne den Werth derſelben ſehr gut, huͤte mich aber ſehr davor, daß ich meine Empfindungen nicht aus mei- nem Stande gewoͤhne, und das Leſen bloß zu einer nothwendi- gen Ausfuͤllung meiner langen Weile mache. So weit darf es mit mir nicht kommen. Ich habe meine geſetzten Stun- den dazu; ſo, wie zu meiner Arbeit, welche ich in meinem Berufe dem Leſen freudig vorziehe. Und eben dieſem Leſen habe ich den noͤthigen Ehrgeitz zu danken, daß ich mich durch die hoͤhniſchen Anmerkungen der Stadtleute in meinen Pflich- ten nicht irre machen laſſe. Vor 2 Jahren lag ein franzoͤſi- ſcher Oficier bey uns. Sein Lied war beſtaͤndig: On ne vit qu’à Paris, on vegete ailleurs. Er verlangte auf unſerm Dorfe nichts weniger, als Baͤlle, Opern, Comoͤdien, Soupés fins, und petites maiſons. Doch begriff er endlich, daß wir ſehr F 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/101>, abgerufen am 24.11.2024.