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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Schreiben eines Frauenzimmers vom Lande
sehr unglücklich seyn würden, wenn wir dieses nöthig hätten,
um uns zu zerstreuen. Ja, er gieng zuletzt so weit, und
machte ein Lobgedicht auf den wohlthätigen Fluch, daß jeder
Mensch sein Brod im Schweiß des Angesichts essen sollte.

Sie sprachen, wertheste Freundin, wie sie bey uns wa-
ren, sehr vieles vom Wohlstande und von der guten Erziehung
in Hannover; und unsere Frau Pastorin, welche ihnen keinen
Blick entwandte, so sehr huldigte dieselbe ihre Größe, sucht
jetzo eine Französin. Sie hat von Ihnen vernommen, daß
zu einer guten Erziehung die französische Sprache etc. etc. etc.
etc. etc.
gehöre. Alles dieses glaubt sie als eine rechtschaffene
Mutter, ihren Kindern geben zu müssen. Sie beruft sich
darauf, daß eine gute Erziehung das beste Erbtheil sey, was
sie ihren Kindern lassen könne. Und was hat sie anders zu
diesem Vorurtheile verleitet, als die Verachtung, welche un-
billigerweise den Personen erwiesen wird, die nicht nach Art
der Hauptstadt erzogen sind?

Wie leicht wird die Frau Pastorin durch eben dieses Vor-
urtheil verführet werden, die Kinder des Kramers und des
Schulzen zu verachten? Und wenn ich denn diesen letzten nur
ein wenig Schwachheit leihe, welches ich gewiß mit guten
Grunde thun kan; so schicken sie ihre Kinder auf die hohe
Schule in die Hauptstadt, entziehen dem Staate einen würdi-
gen Ackersmann, und schenken ihm dafür einen wichtigen Au-
ditor. Wenn ich zur Frau Pastorin komme, so setzet sie mir
zwey Wachslichter vor, und neulich war ich bey unserer Frau
Amtmannin, da brannten in einem Zimmer allein 24 an den
Wänden. Ich mag nicht sagen, was ich dabey gedachte, so
viel aber kan ich Ihnen wohl im Vertrauen entdecken, daß
ich mir eben keine vortheilhafte Begriffe von ihrem Verstande
machte.

Wie

Schreiben eines Frauenzimmers vom Lande
ſehr ungluͤcklich ſeyn wuͤrden, wenn wir dieſes noͤthig haͤtten,
um uns zu zerſtreuen. Ja, er gieng zuletzt ſo weit, und
machte ein Lobgedicht auf den wohlthaͤtigen Fluch, daß jeder
Menſch ſein Brod im Schweiß des Angeſichts eſſen ſollte.

Sie ſprachen, wertheſte Freundin, wie ſie bey uns wa-
ren, ſehr vieles vom Wohlſtande und von der guten Erziehung
in Hannover; und unſere Frau Paſtorin, welche ihnen keinen
Blick entwandte, ſo ſehr huldigte dieſelbe ihre Groͤße, ſucht
jetzo eine Franzoͤſin. Sie hat von Ihnen vernommen, daß
zu einer guten Erziehung die franzoͤſiſche Sprache etc. etc. etc.
etc. etc.
gehoͤre. Alles dieſes glaubt ſie als eine rechtſchaffene
Mutter, ihren Kindern geben zu muͤſſen. Sie beruft ſich
darauf, daß eine gute Erziehung das beſte Erbtheil ſey, was
ſie ihren Kindern laſſen koͤnne. Und was hat ſie anders zu
dieſem Vorurtheile verleitet, als die Verachtung, welche un-
billigerweiſe den Perſonen erwieſen wird, die nicht nach Art
der Hauptſtadt erzogen ſind?

Wie leicht wird die Frau Paſtorin durch eben dieſes Vor-
urtheil verfuͤhret werden, die Kinder des Kramers und des
Schulzen zu verachten? Und wenn ich denn dieſen letzten nur
ein wenig Schwachheit leihe, welches ich gewiß mit guten
Grunde thun kan; ſo ſchicken ſie ihre Kinder auf die hohe
Schule in die Hauptſtadt, entziehen dem Staate einen wuͤrdi-
gen Ackersmann, und ſchenken ihm dafuͤr einen wichtigen Au-
ditor. Wenn ich zur Frau Paſtorin komme, ſo ſetzet ſie mir
zwey Wachslichter vor, und neulich war ich bey unſerer Frau
Amtmannin, da brannten in einem Zimmer allein 24 an den
Waͤnden. Ich mag nicht ſagen, was ich dabey gedachte, ſo
viel aber kan ich Ihnen wohl im Vertrauen entdecken, daß
ich mir eben keine vortheilhafte Begriffe von ihrem Verſtande
machte.

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[84/0102] Schreiben eines Frauenzimmers vom Lande ſehr ungluͤcklich ſeyn wuͤrden, wenn wir dieſes noͤthig haͤtten, um uns zu zerſtreuen. Ja, er gieng zuletzt ſo weit, und machte ein Lobgedicht auf den wohlthaͤtigen Fluch, daß jeder Menſch ſein Brod im Schweiß des Angeſichts eſſen ſollte. Sie ſprachen, wertheſte Freundin, wie ſie bey uns wa- ren, ſehr vieles vom Wohlſtande und von der guten Erziehung in Hannover; und unſere Frau Paſtorin, welche ihnen keinen Blick entwandte, ſo ſehr huldigte dieſelbe ihre Groͤße, ſucht jetzo eine Franzoͤſin. Sie hat von Ihnen vernommen, daß zu einer guten Erziehung die franzoͤſiſche Sprache etc. etc. etc. etc. etc. gehoͤre. Alles dieſes glaubt ſie als eine rechtſchaffene Mutter, ihren Kindern geben zu muͤſſen. Sie beruft ſich darauf, daß eine gute Erziehung das beſte Erbtheil ſey, was ſie ihren Kindern laſſen koͤnne. Und was hat ſie anders zu dieſem Vorurtheile verleitet, als die Verachtung, welche un- billigerweiſe den Perſonen erwieſen wird, die nicht nach Art der Hauptſtadt erzogen ſind? Wie leicht wird die Frau Paſtorin durch eben dieſes Vor- urtheil verfuͤhret werden, die Kinder des Kramers und des Schulzen zu verachten? Und wenn ich denn dieſen letzten nur ein wenig Schwachheit leihe, welches ich gewiß mit guten Grunde thun kan; ſo ſchicken ſie ihre Kinder auf die hohe Schule in die Hauptſtadt, entziehen dem Staate einen wuͤrdi- gen Ackersmann, und ſchenken ihm dafuͤr einen wichtigen Au- ditor. Wenn ich zur Frau Paſtorin komme, ſo ſetzet ſie mir zwey Wachslichter vor, und neulich war ich bey unſerer Frau Amtmannin, da brannten in einem Zimmer allein 24 an den Waͤnden. Ich mag nicht ſagen, was ich dabey gedachte, ſo viel aber kan ich Ihnen wohl im Vertrauen entdecken, daß ich mir eben keine vortheilhafte Begriffe von ihrem Verſtande machte. Wie

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/102>, abgerufen am 24.11.2024.