Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich bin noch ganz freudewirr und dumm;" sagte
Agnes, wie sie in die Stube traten, "laß mich erst
zu mir selber kommen!" Und so standen sie einander
in glücklicher Verwunderung gegenüber, sahen sich an,
lächelten, und zogen auf's Neue sich lebhaft in die
Arme.

"Und was es schön geworden ist, mein Kind,
Papa!" rief Theobald, als er sie recht eigens um
ihre Gestalt betrachtete; "was es zugenommen hat!
Vergib, und laß mich immer nur staunen!"

Wirklich war ihre ganze Figur entschiedener,
mächtiger, ja wie Theobald meinte, selbst größer ge-
worden. Aber auch alle die Reize, die der Bräutigam
ihr von jeher so hoch angerechnet hatte, erkannte er
wieder. Jenes tiefe Dunkelblau der Augen, jene eigne
Form der Augbraunen, die von allen übrigen sich da-
durch unterschieden, daß sie gegen die Schläfe hin in
einem kleinen Winkel absprangen, der in der That
etwas Bezauberndes hatte. Dann stellten sich noch
immer, besonders bei'm Lachen, die vollkommensten
Zahnreihen dar, wodurch das Gesicht ungemein viel
kräftige Anmuth gewann.

"Indessen das Wundersamste, und worauf ich mir
selber etwas einbilden möchte, das will der Herr,
scheint's, absichtlich gar nicht entdecken!" sagte Agnes,
indem eine köstliche Röthe sich über ihre Wangen zog.
Wohl wußte er, was sie meine. Ihre Haare, die er
bei seiner lezten Anwesenheit noch beinah blond ge-

„Ich bin noch ganz freudewirr und dumm;“ ſagte
Agnes, wie ſie in die Stube traten, „laß mich erſt
zu mir ſelber kommen!“ Und ſo ſtanden ſie einander
in glücklicher Verwunderung gegenüber, ſahen ſich an,
lächelten, und zogen auf’s Neue ſich lebhaft in die
Arme.

„Und was es ſchön geworden iſt, mein Kind,
Papa!“ rief Theobald, als er ſie recht eigens um
ihre Geſtalt betrachtete; „was es zugenommen hat!
Vergib, und laß mich immer nur ſtaunen!“

Wirklich war ihre ganze Figur entſchiedener,
mächtiger, ja wie Theobald meinte, ſelbſt größer ge-
worden. Aber auch alle die Reize, die der Bräutigam
ihr von jeher ſo hoch angerechnet hatte, erkannte er
wieder. Jenes tiefe Dunkelblau der Augen, jene eigne
Form der Augbraunen, die von allen übrigen ſich da-
durch unterſchieden, daß ſie gegen die Schläfe hin in
einem kleinen Winkel abſprangen, der in der That
etwas Bezauberndes hatte. Dann ſtellten ſich noch
immer, beſonders bei’m Lachen, die vollkommenſten
Zahnreihen dar, wodurch das Geſicht ungemein viel
kräftige Anmuth gewann.

„Indeſſen das Wunderſamſte, und worauf ich mir
ſelber etwas einbilden möchte, das will der Herr,
ſcheint’s, abſichtlich gar nicht entdecken!“ ſagte Agnes,
indem eine köſtliche Röthe ſich über ihre Wangen zog.
Wohl wußte er, was ſie meine. Ihre Haare, die er
bei ſeiner lezten Anweſenheit noch beinah blond ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0088" n="402"/>
          <p>&#x201E;Ich bin noch ganz freudewirr und dumm;&#x201C; &#x017F;agte<lb/><hi rendition="#g">Agnes</hi>, wie &#x017F;ie in die Stube traten, &#x201E;laß mich er&#x017F;t<lb/>
zu mir &#x017F;elber kommen!&#x201C; Und &#x017F;o &#x017F;tanden &#x017F;ie einander<lb/>
in glücklicher Verwunderung gegenüber, &#x017F;ahen &#x017F;ich an,<lb/>
lächelten, und zogen auf&#x2019;s Neue &#x017F;ich lebhaft in die<lb/>
Arme.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und was es &#x017F;chön geworden i&#x017F;t, mein Kind,<lb/>
Papa!&#x201C; rief <hi rendition="#g">Theobald</hi>, als er &#x017F;ie recht eigens um<lb/>
ihre Ge&#x017F;talt betrachtete; &#x201E;was es zugenommen hat!<lb/>
Vergib, und laß mich immer nur &#x017F;taunen!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wirklich war ihre ganze Figur ent&#x017F;chiedener,<lb/>
mächtiger, ja wie <hi rendition="#g">Theobald</hi> meinte, &#x017F;elb&#x017F;t größer ge-<lb/>
worden. Aber auch alle die Reize, die der Bräutigam<lb/>
ihr von jeher &#x017F;o hoch angerechnet hatte, erkannte er<lb/>
wieder. Jenes tiefe Dunkelblau der Augen, jene eigne<lb/>
Form der Augbraunen, die von allen übrigen &#x017F;ich da-<lb/>
durch unter&#x017F;chieden, daß &#x017F;ie gegen die Schläfe hin in<lb/>
einem kleinen Winkel ab&#x017F;prangen, der in der That<lb/>
etwas Bezauberndes hatte. Dann &#x017F;tellten &#x017F;ich noch<lb/>
immer, be&#x017F;onders bei&#x2019;m Lachen, die vollkommen&#x017F;ten<lb/>
Zahnreihen dar, wodurch das Ge&#x017F;icht ungemein viel<lb/>
kräftige Anmuth gewann.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Inde&#x017F;&#x017F;en das Wunder&#x017F;am&#x017F;te, und worauf ich mir<lb/>
&#x017F;elber etwas einbilden möchte, das will der Herr,<lb/>
&#x017F;cheint&#x2019;s, ab&#x017F;ichtlich gar nicht entdecken!&#x201C; &#x017F;agte <hi rendition="#g">Agnes</hi>,<lb/>
indem eine kö&#x017F;tliche Röthe &#x017F;ich über ihre Wangen zog.<lb/>
Wohl wußte er, was &#x017F;ie meine. Ihre Haare, die er<lb/>
bei &#x017F;einer lezten Anwe&#x017F;enheit noch beinah blond ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0088] „Ich bin noch ganz freudewirr und dumm;“ ſagte Agnes, wie ſie in die Stube traten, „laß mich erſt zu mir ſelber kommen!“ Und ſo ſtanden ſie einander in glücklicher Verwunderung gegenüber, ſahen ſich an, lächelten, und zogen auf’s Neue ſich lebhaft in die Arme. „Und was es ſchön geworden iſt, mein Kind, Papa!“ rief Theobald, als er ſie recht eigens um ihre Geſtalt betrachtete; „was es zugenommen hat! Vergib, und laß mich immer nur ſtaunen!“ Wirklich war ihre ganze Figur entſchiedener, mächtiger, ja wie Theobald meinte, ſelbſt größer ge- worden. Aber auch alle die Reize, die der Bräutigam ihr von jeher ſo hoch angerechnet hatte, erkannte er wieder. Jenes tiefe Dunkelblau der Augen, jene eigne Form der Augbraunen, die von allen übrigen ſich da- durch unterſchieden, daß ſie gegen die Schläfe hin in einem kleinen Winkel abſprangen, der in der That etwas Bezauberndes hatte. Dann ſtellten ſich noch immer, beſonders bei’m Lachen, die vollkommenſten Zahnreihen dar, wodurch das Geſicht ungemein viel kräftige Anmuth gewann. „Indeſſen das Wunderſamſte, und worauf ich mir ſelber etwas einbilden möchte, das will der Herr, ſcheint’s, abſichtlich gar nicht entdecken!“ ſagte Agnes, indem eine köſtliche Röthe ſich über ihre Wangen zog. Wohl wußte er, was ſie meine. Ihre Haare, die er bei ſeiner lezten Anweſenheit noch beinah blond ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/88
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/88>, abgerufen am 02.05.2024.