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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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"Himmel! und wo?"

"In der Kirche."

Jezt rief der Maler sich auf Einmal einen Umstand
in's Gedächtniß, den man sich vor mehreren Wochen
in der Stadt erzählte und woraus er damals nicht
eben sonderlich viel zu machen wußte. Constanze
hatte nämlich, bei nicht völligem Wohlseyn, Sonntags
die Frühkirche besucht und während des Gottesdiensts
den sonderbaren Zufall gehabt, daß sie plötzlich mit
einem für die Zunächstsitzenden sehr vernehmlichen Laut
des heftigsten Schreckens bewußtlos niedersank. Sie
mußte nach Hause getragen werden, wo sie sich in
Kurzem zu erholen schien. Die wahre Ursache des
Unfalls blieb durchaus Geheimniß. In der Kirche
selbst wollten Einige bemerkt haben, daß die Gräfin
unmittelbar, bevor sie ohnmächtig geworden, den Blick
starr nach dem offenstehenden Haupteingang gerichtet,
wo sich mehreres gemeine Gassenvolk unter die Thüren
gepflanzt hatte. Niemand aber gewahrte unter die-
ser bunten Gruppe den Gegenstand einer so außeror-
dentlichen Apprehension, Niemand war versucht, den-
selben in der gleichwohl stark genug hervorragenden
Gestalt einer Zigeunerin zu suchen.

Es war bei Theobald nun gar kein Zweifel
mehr, daß jenes ungeheure Wesen, so wie einst bei
Agnesen mit Absicht, so nun hier bei der Gräfin
unwillkürlich ihn abermals verfolgte. Es fing dieser
Eigensinn des Schicksals ihm nachgerade ängstlich zu

„Himmel! und wo?“

„In der Kirche.“

Jezt rief der Maler ſich auf Einmal einen Umſtand
in’s Gedächtniß, den man ſich vor mehreren Wochen
in der Stadt erzählte und woraus er damals nicht
eben ſonderlich viel zu machen wußte. Conſtanze
hatte nämlich, bei nicht völligem Wohlſeyn, Sonntags
die Frühkirche beſucht und während des Gottesdienſts
den ſonderbaren Zufall gehabt, daß ſie plötzlich mit
einem für die Zunächſtſitzenden ſehr vernehmlichen Laut
des heftigſten Schreckens bewußtlos niederſank. Sie
mußte nach Hauſe getragen werden, wo ſie ſich in
Kurzem zu erholen ſchien. Die wahre Urſache des
Unfalls blieb durchaus Geheimniß. In der Kirche
ſelbſt wollten Einige bemerkt haben, daß die Gräfin
unmittelbar, bevor ſie ohnmächtig geworden, den Blick
ſtarr nach dem offenſtehenden Haupteingang gerichtet,
wo ſich mehreres gemeine Gaſſenvolk unter die Thüren
gepflanzt hatte. Niemand aber gewahrte unter die-
ſer bunten Gruppe den Gegenſtand einer ſo außeror-
dentlichen Apprehenſion, Niemand war verſucht, den-
ſelben in der gleichwohl ſtark genug hervorragenden
Geſtalt einer Zigeunerin zu ſuchen.

Es war bei Theobald nun gar kein Zweifel
mehr, daß jenes ungeheure Weſen, ſo wie einſt bei
Agneſen mit Abſicht, ſo nun hier bei der Gräfin
unwillkürlich ihn abermals verfolgte. Es fing dieſer
Eigenſinn des Schickſals ihm nachgerade ängſtlich zu

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[384/0070] „Himmel! und wo?“ „In der Kirche.“ Jezt rief der Maler ſich auf Einmal einen Umſtand in’s Gedächtniß, den man ſich vor mehreren Wochen in der Stadt erzählte und woraus er damals nicht eben ſonderlich viel zu machen wußte. Conſtanze hatte nämlich, bei nicht völligem Wohlſeyn, Sonntags die Frühkirche beſucht und während des Gottesdienſts den ſonderbaren Zufall gehabt, daß ſie plötzlich mit einem für die Zunächſtſitzenden ſehr vernehmlichen Laut des heftigſten Schreckens bewußtlos niederſank. Sie mußte nach Hauſe getragen werden, wo ſie ſich in Kurzem zu erholen ſchien. Die wahre Urſache des Unfalls blieb durchaus Geheimniß. In der Kirche ſelbſt wollten Einige bemerkt haben, daß die Gräfin unmittelbar, bevor ſie ohnmächtig geworden, den Blick ſtarr nach dem offenſtehenden Haupteingang gerichtet, wo ſich mehreres gemeine Gaſſenvolk unter die Thüren gepflanzt hatte. Niemand aber gewahrte unter die- ſer bunten Gruppe den Gegenſtand einer ſo außeror- dentlichen Apprehenſion, Niemand war verſucht, den- ſelben in der gleichwohl ſtark genug hervorragenden Geſtalt einer Zigeunerin zu ſuchen. Es war bei Theobald nun gar kein Zweifel mehr, daß jenes ungeheure Weſen, ſo wie einſt bei Agneſen mit Abſicht, ſo nun hier bei der Gräfin unwillkürlich ihn abermals verfolgte. Es fing dieſer Eigenſinn des Schickſals ihm nachgerade ängſtlich zu

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/70>, abgerufen am 23.11.2024.