werden an. Er hatte Mühe, seine Gedanken davon los zu machen, und auf die Gegenwart, auf Constan- zen zurückzulenken. Ihr Zustand bekümmerte ihn sehr; denn aus Allem, was die Gouvernantin von eigenen Aeußerungen Constanzens wiederholte, ging hervor, daß das Entsetzen über die Erscheinung in der Kirche unmittelbar mit jenem Traume zusammenhing, und daß die Gräfin seit diesem Auftritte mit heimlichen Gedan- ken an einen frühen Tod umgehe. Der Maler versank in stilles Nachdenken, und ein tiefer Seufzer entwand sich seiner Brust. Wie Vieles, dachte er, muß hier zusammengewirkt haben, um den hellen und festen Geist dieses Weibes zu bethören! Wie sehr ist nicht zu glauben, daß dieß Gemüth lange zuvor mit sich selbst uneins gewesen seyn müsse, eh solche Träume es gefangen nehmen konnten! Er enthielt sich nicht, dergleichen gegen die Gouvernantin zu äußern, die ihm mit traurigem Kopfnicken beistimmte. Sie sah ihn an, und sagte: "Vergessen wir nicht, unsre Freundin ist krank, und -- krank in mehr als Einem Sinne."
Ein Besuch, welcher in dem Augenblick angesagt wurde, nöthigte Theobalden zum Aufbruch. Er empfahl sich mit der Bitte, in diesen Tagen nochmals erscheinen zu dürfen. Die versprochenen Papiere sandte er noch denselben Abend nach, jedoch mit Auswahl, und namentlich ward jene Nachschrift zu Larkens's Brief mit schonendem Bedacht zurückbehalten.
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werden an. Er hatte Mühe, ſeine Gedanken davon los zu machen, und auf die Gegenwart, auf Conſtan- zen zurückzulenken. Ihr Zuſtand bekümmerte ihn ſehr; denn aus Allem, was die Gouvernantin von eigenen Aeußerungen Conſtanzens wiederholte, ging hervor, daß das Entſetzen über die Erſcheinung in der Kirche unmittelbar mit jenem Traume zuſammenhing, und daß die Gräfin ſeit dieſem Auftritte mit heimlichen Gedan- ken an einen frühen Tod umgehe. Der Maler verſank in ſtilles Nachdenken, und ein tiefer Seufzer entwand ſich ſeiner Bruſt. Wie Vieles, dachte er, muß hier zuſammengewirkt haben, um den hellen und feſten Geiſt dieſes Weibes zu bethören! Wie ſehr iſt nicht zu glauben, daß dieß Gemüth lange zuvor mit ſich ſelbſt uneins geweſen ſeyn müſſe, eh ſolche Träume es gefangen nehmen konnten! Er enthielt ſich nicht, dergleichen gegen die Gouvernantin zu äußern, die ihm mit traurigem Kopfnicken beiſtimmte. Sie ſah ihn an, und ſagte: „Vergeſſen wir nicht, unſre Freundin iſt krank, und — krank in mehr als Einem Sinne.“
Ein Beſuch, welcher in dem Augenblick angeſagt wurde, nöthigte Theobalden zum Aufbruch. Er empfahl ſich mit der Bitte, in dieſen Tagen nochmals erſcheinen zu dürfen. Die verſprochenen Papiere ſandte er noch denſelben Abend nach, jedoch mit Auswahl, und namentlich ward jene Nachſchrift zu Larkens’s Brief mit ſchonendem Bedacht zurückbehalten.
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werden an. Er hatte Mühe, ſeine Gedanken davon
los zu machen, und auf die Gegenwart, auf Conſtan-
zen zurückzulenken. Ihr Zuſtand bekümmerte ihn
ſehr; denn aus Allem, was die Gouvernantin von eigenen
Aeußerungen Conſtanzens wiederholte, ging hervor,
daß das Entſetzen über die Erſcheinung in der Kirche
unmittelbar mit jenem Traume zuſammenhing, und daß
die Gräfin ſeit dieſem Auftritte mit heimlichen Gedan-
ken an einen frühen Tod umgehe. Der Maler
verſank in ſtilles Nachdenken, und ein tiefer Seufzer
entwand ſich ſeiner Bruſt. Wie Vieles, dachte er,
muß hier zuſammengewirkt haben, um den hellen und
feſten Geiſt dieſes Weibes zu bethören! Wie ſehr iſt
nicht zu glauben, daß dieß Gemüth lange zuvor mit
ſich ſelbſt uneins geweſen ſeyn müſſe, eh ſolche Träume
es gefangen nehmen konnten! Er enthielt ſich nicht,
dergleichen gegen die Gouvernantin zu äußern, die ihm
mit traurigem Kopfnicken beiſtimmte. Sie ſah ihn
an, und ſagte: „Vergeſſen wir nicht, unſre Freundin
iſt krank, und — krank in mehr als Einem Sinne.“
Ein Beſuch, welcher in dem Augenblick angeſagt
wurde, nöthigte Theobalden zum Aufbruch. Er
empfahl ſich mit der Bitte, in dieſen Tagen nochmals
erſcheinen zu dürfen. Die verſprochenen Papiere ſandte
er noch denſelben Abend nach, jedoch mit Auswahl,
und namentlich ward jene Nachſchrift zu Larkens’s
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/71>, abgerufen am 23.11.2024.
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