Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

heimniß macht. Sollte nun auch Ihnen, Verehrteste,
nicht erlaubt seyn, meine Zweifel zu lösen, so gestat-
ten Sie doch, daß ich die Versicherung bei Ihnen
niederlege, ich sey mir, Ihrer theuren Freundin, so
wie dem Herrn Grafen gegenüber, eines solchen Ver-
gehens nicht bewußt; vergönnen Sie, daß ich den
Freunden, die mich nicht mehr zu sehen wünschen, die
Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen durch Ihren Mund
betheure."

Die Gouvernantin, die in den Mienen des Ma-
lers, so lange er sprach, mit Aufmerksamkeit zu lesen
gesucht hatte, schien keineswegs ungerührt; zwar er-
wiederte sie nur das Allgemeinste, doch sah man ihr
an, sie hätte herzlich gerne mehr gesagt. Nolten
gewann nun Muth, folgendergestalt fortzufahren:
"Wie wäre Ihnen zu verargen, gnädige Frau, wenn
sich Ihnen, so wie wir uns jezt einander gegenüber
befinden, und nach dem, was indessen Alles zur Sprache
gekommen seyn mag, ein unüberwindliches Mißtrauen
gegen mich im Herzen aufwerfen sollte! Ich fühle
wohl, und Sie selber verbergen sich's nicht, wie fremde
in ganz kurzer Zeit Ihnen ein Mann geworden sey,
der Ihnen früher nicht ganz unwerth gewesen. Sonst
war es uns willkommener Genuß, Erfahrung und
Empfindung in heiteren Gesprächen auszuwechseln,
Entferntes und Nächstgelegenes lebendig durch einan-
der zu mischen; stets schenkten Sie mir nachsichtsvol-
les Gehör, wenn, wie es wohl dem jüngern Manne,

heimniß macht. Sollte nun auch Ihnen, Verehrteſte,
nicht erlaubt ſeyn, meine Zweifel zu löſen, ſo geſtat-
ten Sie doch, daß ich die Verſicherung bei Ihnen
niederlege, ich ſey mir, Ihrer theuren Freundin, ſo
wie dem Herrn Grafen gegenüber, eines ſolchen Ver-
gehens nicht bewußt; vergönnen Sie, daß ich den
Freunden, die mich nicht mehr zu ſehen wünſchen, die
Aufrichtigkeit meiner Geſinnungen durch Ihren Mund
betheure.“

Die Gouvernantin, die in den Mienen des Ma-
lers, ſo lange er ſprach, mit Aufmerkſamkeit zu leſen
geſucht hatte, ſchien keineswegs ungerührt; zwar er-
wiederte ſie nur das Allgemeinſte, doch ſah man ihr
an, ſie hätte herzlich gerne mehr geſagt. Nolten
gewann nun Muth, folgendergeſtalt fortzufahren:
„Wie wäre Ihnen zu verargen, gnädige Frau, wenn
ſich Ihnen, ſo wie wir uns jezt einander gegenüber
befinden, und nach dem, was indeſſen Alles zur Sprache
gekommen ſeyn mag, ein unüberwindliches Mißtrauen
gegen mich im Herzen aufwerfen ſollte! Ich fühle
wohl, und Sie ſelber verbergen ſich’s nicht, wie fremde
in ganz kurzer Zeit Ihnen ein Mann geworden ſey,
der Ihnen früher nicht ganz unwerth geweſen. Sonſt
war es uns willkommener Genuß, Erfahrung und
Empfindung in heiteren Geſprächen auszuwechſeln,
Entferntes und Nächſtgelegenes lebendig durch einan-
der zu miſchen; ſtets ſchenkten Sie mir nachſichtsvol-
les Gehör, wenn, wie es wohl dem jüngern Manne,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="378"/>
heimniß macht. Sollte nun auch Ihnen, Verehrte&#x017F;te,<lb/>
nicht erlaubt &#x017F;eyn, meine Zweifel zu lö&#x017F;en, &#x017F;o ge&#x017F;tat-<lb/>
ten Sie doch, daß ich die Ver&#x017F;icherung bei Ihnen<lb/>
niederlege, ich &#x017F;ey mir, Ihrer theuren Freundin, &#x017F;o<lb/>
wie dem Herrn Grafen gegenüber, eines &#x017F;olchen Ver-<lb/>
gehens nicht bewußt; vergönnen Sie, daß ich den<lb/>
Freunden, die mich nicht mehr zu &#x017F;ehen wün&#x017F;chen, die<lb/>
Aufrichtigkeit meiner Ge&#x017F;innungen durch Ihren Mund<lb/>
betheure.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die Gouvernantin, die in den Mienen des Ma-<lb/>
lers, &#x017F;o lange er &#x017F;prach, mit Aufmerk&#x017F;amkeit zu le&#x017F;en<lb/>
ge&#x017F;ucht hatte, &#x017F;chien keineswegs ungerührt; zwar er-<lb/>
wiederte &#x017F;ie nur das Allgemein&#x017F;te, doch &#x017F;ah man ihr<lb/>
an, &#x017F;ie hätte herzlich gerne mehr ge&#x017F;agt. <hi rendition="#g">Nolten</hi><lb/>
gewann nun Muth, folgenderge&#x017F;talt fortzufahren:<lb/>
&#x201E;Wie wäre Ihnen zu verargen, gnädige Frau, wenn<lb/>
&#x017F;ich Ihnen, &#x017F;o wie wir uns jezt einander gegenüber<lb/>
befinden, und nach dem, was inde&#x017F;&#x017F;en Alles zur Sprache<lb/>
gekommen &#x017F;eyn mag, ein unüberwindliches Mißtrauen<lb/>
gegen mich im Herzen aufwerfen &#x017F;ollte! Ich fühle<lb/>
wohl, und Sie &#x017F;elber verbergen &#x017F;ich&#x2019;s nicht, wie fremde<lb/>
in ganz kurzer Zeit Ihnen ein Mann geworden &#x017F;ey,<lb/>
der Ihnen früher nicht ganz unwerth gewe&#x017F;en. Son&#x017F;t<lb/>
war es uns willkommener Genuß, Erfahrung und<lb/>
Empfindung in heiteren Ge&#x017F;prächen auszuwech&#x017F;eln,<lb/>
Entferntes und Näch&#x017F;tgelegenes lebendig durch einan-<lb/>
der zu mi&#x017F;chen; &#x017F;tets &#x017F;chenkten Sie mir nach&#x017F;ichtsvol-<lb/>
les Gehör, wenn, wie es wohl dem jüngern Manne,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[378/0064] heimniß macht. Sollte nun auch Ihnen, Verehrteſte, nicht erlaubt ſeyn, meine Zweifel zu löſen, ſo geſtat- ten Sie doch, daß ich die Verſicherung bei Ihnen niederlege, ich ſey mir, Ihrer theuren Freundin, ſo wie dem Herrn Grafen gegenüber, eines ſolchen Ver- gehens nicht bewußt; vergönnen Sie, daß ich den Freunden, die mich nicht mehr zu ſehen wünſchen, die Aufrichtigkeit meiner Geſinnungen durch Ihren Mund betheure.“ Die Gouvernantin, die in den Mienen des Ma- lers, ſo lange er ſprach, mit Aufmerkſamkeit zu leſen geſucht hatte, ſchien keineswegs ungerührt; zwar er- wiederte ſie nur das Allgemeinſte, doch ſah man ihr an, ſie hätte herzlich gerne mehr geſagt. Nolten gewann nun Muth, folgendergeſtalt fortzufahren: „Wie wäre Ihnen zu verargen, gnädige Frau, wenn ſich Ihnen, ſo wie wir uns jezt einander gegenüber befinden, und nach dem, was indeſſen Alles zur Sprache gekommen ſeyn mag, ein unüberwindliches Mißtrauen gegen mich im Herzen aufwerfen ſollte! Ich fühle wohl, und Sie ſelber verbergen ſich’s nicht, wie fremde in ganz kurzer Zeit Ihnen ein Mann geworden ſey, der Ihnen früher nicht ganz unwerth geweſen. Sonſt war es uns willkommener Genuß, Erfahrung und Empfindung in heiteren Geſprächen auszuwechſeln, Entferntes und Nächſtgelegenes lebendig durch einan- der zu miſchen; ſtets ſchenkten Sie mir nachſichtsvol- les Gehör, wenn, wie es wohl dem jüngern Manne,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/64
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/64>, abgerufen am 22.12.2024.