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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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"Ich bin," begann Nolten, als er der liebens-
würdigen Frau gegenüber Platz genommen hatte, "ich
bin veranlaßt, in Kurzem dieser Stadt und Gegend
Lebewohl zu sagen; Pflicht und Neigung führen mich
auswärts; aber wie sehr muß ich wünschen, mit voll-
kommen beruhigtem Sinne scheiden zu können! Es
ist so schön und tröstlich, sich im Andenken seiner
Freunde gesichert wissen! Die Liebe, die Neigung,
die wir an einem Orte zurücklassen, gibt uns eine
stille Gewähr, daß uns auch anderswo ein guter
Stern erwarte. Möchte denn auch ich diesen Trost
mit mir nehmen dürfen! möchten Sie, meine Gnädige,
mich in dieser frohen Zuversicht bestärken können! --
Indem sich mir in diesen Tagen eine Reihe ausge-
zeichneter Personen, deren Bekanntschaft ich mich im
Laufe dreier Jahre vielfach zu erfreuen hatte, doppelt
lebendig vor dem Geiste aufstellt, und indem ich mich
anschicke, den Einzelnen noch ein herzliches Wort zu
sagen, muß ich vor Allen jenes verehrten Hauses ge-
denken, dessen Gastfreundschaft mir unvergeßlich bleibt,
das mit den Edelsten dieser Stadt, und, wie freudig
spreche ich es aus! auch mit Ihnen, gnädige Frau,
mich in freundliche Verbindung sezte. Leider hat das
schöne Verhältniß zulezt eine Störung erlitten, die
mir das ganze Glück einer dankbaren Erinnerung für
alle Zukunft trüben muß, und um so schmerzlicher, da
man mir aus den Gründen meines Mißgeschicks, in-
sofern ich dieses selbst verschuldet haben soll, ein Ge-

„Ich bin,“ begann Nolten, als er der liebens-
würdigen Frau gegenüber Platz genommen hatte, „ich
bin veranlaßt, in Kurzem dieſer Stadt und Gegend
Lebewohl zu ſagen; Pflicht und Neigung führen mich
auswärts; aber wie ſehr muß ich wünſchen, mit voll-
kommen beruhigtem Sinne ſcheiden zu können! Es
iſt ſo ſchön und tröſtlich, ſich im Andenken ſeiner
Freunde geſichert wiſſen! Die Liebe, die Neigung,
die wir an einem Orte zurücklaſſen, gibt uns eine
ſtille Gewähr, daß uns auch anderswo ein guter
Stern erwarte. Möchte denn auch ich dieſen Troſt
mit mir nehmen dürfen! möchten Sie, meine Gnädige,
mich in dieſer frohen Zuverſicht beſtärken können! —
Indem ſich mir in dieſen Tagen eine Reihe ausge-
zeichneter Perſonen, deren Bekanntſchaft ich mich im
Laufe dreier Jahre vielfach zu erfreuen hatte, doppelt
lebendig vor dem Geiſte aufſtellt, und indem ich mich
anſchicke, den Einzelnen noch ein herzliches Wort zu
ſagen, muß ich vor Allen jenes verehrten Hauſes ge-
denken, deſſen Gaſtfreundſchaft mir unvergeßlich bleibt,
das mit den Edelſten dieſer Stadt, und, wie freudig
ſpreche ich es aus! auch mit Ihnen, gnädige Frau,
mich in freundliche Verbindung ſezte. Leider hat das
ſchöne Verhältniß zulezt eine Störung erlitten, die
mir das ganze Glück einer dankbaren Erinnerung für
alle Zukunft trüben muß, und um ſo ſchmerzlicher, da
man mir aus den Gründen meines Mißgeſchicks, in-
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[377/0063] „Ich bin,“ begann Nolten, als er der liebens- würdigen Frau gegenüber Platz genommen hatte, „ich bin veranlaßt, in Kurzem dieſer Stadt und Gegend Lebewohl zu ſagen; Pflicht und Neigung führen mich auswärts; aber wie ſehr muß ich wünſchen, mit voll- kommen beruhigtem Sinne ſcheiden zu können! Es iſt ſo ſchön und tröſtlich, ſich im Andenken ſeiner Freunde geſichert wiſſen! Die Liebe, die Neigung, die wir an einem Orte zurücklaſſen, gibt uns eine ſtille Gewähr, daß uns auch anderswo ein guter Stern erwarte. Möchte denn auch ich dieſen Troſt mit mir nehmen dürfen! möchten Sie, meine Gnädige, mich in dieſer frohen Zuverſicht beſtärken können! — Indem ſich mir in dieſen Tagen eine Reihe ausge- zeichneter Perſonen, deren Bekanntſchaft ich mich im Laufe dreier Jahre vielfach zu erfreuen hatte, doppelt lebendig vor dem Geiſte aufſtellt, und indem ich mich anſchicke, den Einzelnen noch ein herzliches Wort zu ſagen, muß ich vor Allen jenes verehrten Hauſes ge- denken, deſſen Gaſtfreundſchaft mir unvergeßlich bleibt, das mit den Edelſten dieſer Stadt, und, wie freudig ſpreche ich es aus! auch mit Ihnen, gnädige Frau, mich in freundliche Verbindung ſezte. Leider hat das ſchöne Verhältniß zulezt eine Störung erlitten, die mir das ganze Glück einer dankbaren Erinnerung für alle Zukunft trüben muß, und um ſo ſchmerzlicher, da man mir aus den Gründen meines Mißgeſchicks, in- ſofern ich dieſes ſelbſt verſchuldet haben ſoll, ein Ge-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/63>, abgerufen am 02.05.2024.