dem Tode der Braut erschien er unvermuthet von einer andern Seite her. Sein ganzes Eintreten, das sonderbar Gehaltene, matt Resignirte in seiner Miene, seinem Gruß war von der Art, daß er, was vorge- fallen, entweder schon zu wissen oder zu vermuthen, aber nicht näher hören zu wollen schien. Sonach war denn auch andrerseits der Empfang beklommen, ein- sylbig. Nannette, die bei der ersten Begrüßung nicht gleich zugegen gewesen, stürzt, da sie des Bru- ders ansichtig wird, mit lautem Geschrei auf ihn zu. Sein Anblick war nicht nur im höchsten Grade mit- leidswerth, sondern wirklich zum Erschrecken. Er sah verwildert, sonnverbrannt und um viele Jahre äl- ter aus. Sein lebloser gläserner Blick verrieth nicht sowohl einen gewaltigen Schmerz, als vielmehr eine schläfrige Uebersättigung von langen Leiden. Das Unglück, das die Andern noch als ein gegenwärtiges in seiner ganzen Stärke fühlten, schien, wenn man ihn ansah, ein längst vergangenes zu seyn. Er sprach nur gezwungen und zeigte eine blöde seltsame Verle- genheit in Allem, was er that. Er hatte sich, wie man nur nach und nach von ihm erfuhr, während der lezten sechs Tage verschiedenen Streifereien in unbe- kannten Gegenden überlassen, zwecklos und einsam nur seinem Grame lebend; kaum daß er's über sich ver- mocht, einmal nach Neuburg zu schreiben.
Indem nun von Agnesen noch immer nicht be- stimmt die Rede wurde und man durchaus nicht wußte,
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dem Tode der Braut erſchien er unvermuthet von einer andern Seite her. Sein ganzes Eintreten, das ſonderbar Gehaltene, matt Reſignirte in ſeiner Miene, ſeinem Gruß war von der Art, daß er, was vorge- fallen, entweder ſchon zu wiſſen oder zu vermuthen, aber nicht näher hören zu wollen ſchien. Sonach war denn auch andrerſeits der Empfang beklommen, ein- ſylbig. Nannette, die bei der erſten Begrüßung nicht gleich zugegen geweſen, ſtürzt, da ſie des Bru- ders anſichtig wird, mit lautem Geſchrei auf ihn zu. Sein Anblick war nicht nur im höchſten Grade mit- leidswerth, ſondern wirklich zum Erſchrecken. Er ſah verwildert, ſonnverbrannt und um viele Jahre äl- ter aus. Sein lebloſer gläſerner Blick verrieth nicht ſowohl einen gewaltigen Schmerz, als vielmehr eine ſchläfrige Ueberſättigung von langen Leiden. Das Unglück, das die Andern noch als ein gegenwärtiges in ſeiner ganzen Stärke fühlten, ſchien, wenn man ihn anſah, ein längſt vergangenes zu ſeyn. Er ſprach nur gezwungen und zeigte eine blöde ſeltſame Verle- genheit in Allem, was er that. Er hatte ſich, wie man nur nach und nach von ihm erfuhr, während der lezten ſechs Tage verſchiedenen Streifereien in unbe- kannten Gegenden überlaſſen, zwecklos und einſam nur ſeinem Grame lebend; kaum daß er’s über ſich ver- mocht, einmal nach Neuburg zu ſchreiben.
Indem nun von Agneſen noch immer nicht be- ſtimmt die Rede wurde und man durchaus nicht wußte,
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dem Tode der Braut erſchien er unvermuthet von
einer andern Seite her. Sein ganzes Eintreten, das
ſonderbar Gehaltene, matt Reſignirte in ſeiner Miene,
ſeinem Gruß war von der Art, daß er, was vorge-
fallen, entweder ſchon zu wiſſen oder zu vermuthen,
aber nicht näher hören zu wollen ſchien. Sonach war
denn auch andrerſeits der Empfang beklommen, ein-
ſylbig. Nannette, die bei der erſten Begrüßung
nicht gleich zugegen geweſen, ſtürzt, da ſie des Bru-
ders anſichtig wird, mit lautem Geſchrei auf ihn zu.
Sein Anblick war nicht nur im höchſten Grade mit-
leidswerth, ſondern wirklich zum Erſchrecken. Er ſah
verwildert, ſonnverbrannt und um viele Jahre äl-
ter aus. Sein lebloſer gläſerner Blick verrieth nicht
ſowohl einen gewaltigen Schmerz, als vielmehr eine
ſchläfrige Ueberſättigung von langen Leiden. Das
Unglück, das die Andern noch als ein gegenwärtiges
in ſeiner ganzen Stärke fühlten, ſchien, wenn man
ihn anſah, ein längſt vergangenes zu ſeyn. Er ſprach
nur gezwungen und zeigte eine blöde ſeltſame Verle-
genheit in Allem, was er that. Er hatte ſich, wie
man nur nach und nach von ihm erfuhr, während der
lezten ſechs Tage verſchiedenen Streifereien in unbe-
kannten Gegenden überlaſſen, zwecklos und einſam nur
ſeinem Grame lebend; kaum daß er’s über ſich ver-
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Indem nun von Agneſen noch immer nicht be-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/311>, abgerufen am 23.11.2024.
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