trübte er sich, weil es im Brief der Braut beinah den Anschein hatte, als ob sie bei aller treuen Zärtlich- keit für ihn, doch ihrer heißen Liebe zum Heiland die seinige in etwas nachgesezt. Er konnte kaum erwar- ten, bis bald das Jahr um war. Da macht er sich also zu Fuße, wie er's gelobt, auf den Weg. Er findet den Wald wieder aus, er kennt schon von wei- tem die Stelle, er fällt, bevor er näher tritt, noch Einmal auf die Knie und eilt mit angstvollem Herzen hinzu. O Wunder! drei Rosen, die schönsten, hängen am Strauch. Aber ach, es fehlte der Ring. Sein Glaube also galt, aber Belsore war ihm verloren. Voll Verzweiflung reißt er den Strauch aus der Erde und wirft ihn in die tiefe Felskluft. Gleich nachher reut ihn die Unthat; als ein Büßender kehrt er zu- rück in's Vaterland, dessen Einwohner durch die Be- mühungen des Herzogs bereits zum großen Theil wa- ren bekehrt worden. Alexis versank in eine finstre Schwermuth; doch Gott verließ ihn nicht, Gott gab ihm den Frieden in seinem wahrhaftigen Worte. Nur über Einen Punkt, über seine Liebe zu der frommen Jungfrau, war er noch nicht beruhigt. Eine heim- liche Hoffnung lebte in ihm, daß er an jenem wunder- baren Orte noch völlig müsse getröstet werden. Zum dritten Mal macht er die weite Wallfahrt, und glück- lich kommt er an's Ziel. Aber leider trifft er hier Alles nur eben wie er's verlassen. Mit Wehmuth erkennt er die nackte Stelle, wo er den Stock ent-
39
trübte er ſich, weil es im Brief der Braut beinah den Anſchein hatte, als ob ſie bei aller treuen Zärtlich- keit für ihn, doch ihrer heißen Liebe zum Heiland die ſeinige in etwas nachgeſezt. Er konnte kaum erwar- ten, bis bald das Jahr um war. Da macht er ſich alſo zu Fuße, wie er’s gelobt, auf den Weg. Er findet den Wald wieder aus, er kennt ſchon von wei- tem die Stelle, er fällt, bevor er näher tritt, noch Einmal auf die Knie und eilt mit angſtvollem Herzen hinzu. O Wunder! drei Roſen, die ſchönſten, hängen am Strauch. Aber ach, es fehlte der Ring. Sein Glaube alſo galt, aber Belſore war ihm verloren. Voll Verzweiflung reißt er den Strauch aus der Erde und wirft ihn in die tiefe Felskluft. Gleich nachher reut ihn die Unthat; als ein Büßender kehrt er zu- rück in’s Vaterland, deſſen Einwohner durch die Be- mühungen des Herzogs bereits zum großen Theil wa- ren bekehrt worden. Alexis verſank in eine finſtre Schwermuth; doch Gott verließ ihn nicht, Gott gab ihm den Frieden in ſeinem wahrhaftigen Worte. Nur über Einen Punkt, über ſeine Liebe zu der frommen Jungfrau, war er noch nicht beruhigt. Eine heim- liche Hoffnung lebte in ihm, daß er an jenem wunder- baren Orte noch völlig müſſe getröſtet werden. Zum dritten Mal macht er die weite Wallfahrt, und glück- lich kommt er an’s Ziel. Aber leider trifft er hier Alles nur eben wie er’s verlaſſen. Mit Wehmuth erkennt er die nackte Stelle, wo er den Stock ent-
39
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0295"n="609"/>
trübte er ſich, weil es im Brief der Braut beinah<lb/>
den Anſchein hatte, als ob ſie bei aller treuen Zärtlich-<lb/>
keit für ihn, doch ihrer heißen Liebe zum Heiland die<lb/>ſeinige in etwas nachgeſezt. Er konnte kaum erwar-<lb/>
ten, bis bald das Jahr um war. Da macht er ſich<lb/>
alſo zu Fuße, wie er’s gelobt, auf den Weg. Er<lb/>
findet den Wald wieder aus, er kennt ſchon von wei-<lb/>
tem die Stelle, er fällt, bevor er näher tritt, noch<lb/>
Einmal auf die Knie und eilt mit angſtvollem Herzen<lb/>
hinzu. O Wunder! drei Roſen, die ſchönſten, hängen<lb/>
am Strauch. Aber ach, es fehlte der Ring. Sein<lb/>
Glaube alſo galt, aber <hirendition="#g">Belſore</hi> war ihm verloren.<lb/>
Voll Verzweiflung reißt er den Strauch aus der Erde<lb/>
und wirft ihn in die tiefe Felskluft. Gleich nachher<lb/>
reut ihn die Unthat; als ein Büßender kehrt er zu-<lb/>
rück in’s Vaterland, deſſen Einwohner durch die Be-<lb/>
mühungen des Herzogs bereits zum großen Theil wa-<lb/>
ren bekehrt worden. <hirendition="#g">Alexis</hi> verſank in eine finſtre<lb/>
Schwermuth; doch Gott verließ ihn nicht, Gott gab<lb/>
ihm den Frieden in ſeinem wahrhaftigen Worte. Nur<lb/>
über Einen Punkt, über ſeine Liebe zu der frommen<lb/>
Jungfrau, war er noch nicht beruhigt. Eine heim-<lb/>
liche Hoffnung lebte in ihm, daß er an jenem wunder-<lb/>
baren Orte noch völlig müſſe getröſtet werden. Zum<lb/>
dritten Mal macht er die weite Wallfahrt, und glück-<lb/>
lich kommt er an’s Ziel. Aber leider trifft er hier<lb/>
Alles nur eben wie er’s verlaſſen. Mit Wehmuth<lb/>
erkennt er die nackte Stelle, wo er den Stock ent-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">39</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[609/0295]
trübte er ſich, weil es im Brief der Braut beinah
den Anſchein hatte, als ob ſie bei aller treuen Zärtlich-
keit für ihn, doch ihrer heißen Liebe zum Heiland die
ſeinige in etwas nachgeſezt. Er konnte kaum erwar-
ten, bis bald das Jahr um war. Da macht er ſich
alſo zu Fuße, wie er’s gelobt, auf den Weg. Er
findet den Wald wieder aus, er kennt ſchon von wei-
tem die Stelle, er fällt, bevor er näher tritt, noch
Einmal auf die Knie und eilt mit angſtvollem Herzen
hinzu. O Wunder! drei Roſen, die ſchönſten, hängen
am Strauch. Aber ach, es fehlte der Ring. Sein
Glaube alſo galt, aber Belſore war ihm verloren.
Voll Verzweiflung reißt er den Strauch aus der Erde
und wirft ihn in die tiefe Felskluft. Gleich nachher
reut ihn die Unthat; als ein Büßender kehrt er zu-
rück in’s Vaterland, deſſen Einwohner durch die Be-
mühungen des Herzogs bereits zum großen Theil wa-
ren bekehrt worden. Alexis verſank in eine finſtre
Schwermuth; doch Gott verließ ihn nicht, Gott gab
ihm den Frieden in ſeinem wahrhaftigen Worte. Nur
über Einen Punkt, über ſeine Liebe zu der frommen
Jungfrau, war er noch nicht beruhigt. Eine heim-
liche Hoffnung lebte in ihm, daß er an jenem wunder-
baren Orte noch völlig müſſe getröſtet werden. Zum
dritten Mal macht er die weite Wallfahrt, und glück-
lich kommt er an’s Ziel. Aber leider trifft er hier
Alles nur eben wie er’s verlaſſen. Mit Wehmuth
erkennt er die nackte Stelle, wo er den Stock ent-
39
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/295>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.