zweifelte zuweilen, ob er auch selbst die Wahrheit habe, ob Christus der Sohn Gottes sey, und würdig, daß man um seinetwillen Alles verlasse. Dazu gesellte sich die Sehnsucht nach Belsoren, mit der er jezt wohl längst in Glück und Freuden leben könnte. Indeß war er auf seinen Wanderungen auch in diese Gegend ge- kommen. Hier, wo nunmehr der Brunnen ist, soll damals nur eine tiefe Felskluft, dabei ein Quell ge- wesen seyn, daran Alexis seinen Durst gelöscht. Hier flehte er brünstig zu Gott um ein Zeichen, ob er den rechten Glauben habe; doch dachte er sich dieser Gnade erst durch ein Geduldjahr würdiger zu machen, wäh- rend dessen er zu Haus beim Herzog, seinem Vater, geruhig leben und seine Seele auf göttliche Dinge richten wolle. Werde er in dieser Zeit seiner Sache nicht gewisser und komme er auf den nächsten Früh- ling wiederum hieher, so soll der Rosenstock entschei- den, an dessen völlig abgestorbenes Holz er jezt den Ring der Belsore feststeckte: blühe bis dahin der Stock und trage er noch den goldenen Reif, so soll ihm das bedeuten, daß er das Heil seiner Seele bis- her auf dem rechten Wege gesucht und daß auch seine Liebe zu der Braut dem Himmel wohlgefällig sey. So trat er nun den Rückweg an. Der Herzog war in- zwischen dem Erlöser treu geblieben, und von Belso- ren erhielt Alexis durch heimliche Botschaft die gleiche Versicherung. So sehr ihn dieß erfreute, so blieb ihm doch sein eigener Zweifelmuth; zugleich be-
zweifelte zuweilen, ob er auch ſelbſt die Wahrheit habe, ob Chriſtus der Sohn Gottes ſey, und würdig, daß man um ſeinetwillen Alles verlaſſe. Dazu geſellte ſich die Sehnſucht nach Belſoren, mit der er jezt wohl längſt in Glück und Freuden leben könnte. Indeß war er auf ſeinen Wanderungen auch in dieſe Gegend ge- kommen. Hier, wo nunmehr der Brunnen iſt, ſoll damals nur eine tiefe Felskluft, dabei ein Quell ge- weſen ſeyn, daran Alexis ſeinen Durſt gelöſcht. Hier flehte er brünſtig zu Gott um ein Zeichen, ob er den rechten Glauben habe; doch dachte er ſich dieſer Gnade erſt durch ein Geduldjahr würdiger zu machen, wäh- rend deſſen er zu Haus beim Herzog, ſeinem Vater, geruhig leben und ſeine Seele auf göttliche Dinge richten wolle. Werde er in dieſer Zeit ſeiner Sache nicht gewiſſer und komme er auf den nächſten Früh- ling wiederum hieher, ſo ſoll der Roſenſtock entſchei- den, an deſſen völlig abgeſtorbenes Holz er jezt den Ring der Belſore feſtſteckte: blühe bis dahin der Stock und trage er noch den goldenen Reif, ſo ſoll ihm das bedeuten, daß er das Heil ſeiner Seele bis- her auf dem rechten Wege geſucht und daß auch ſeine Liebe zu der Braut dem Himmel wohlgefällig ſey. So trat er nun den Rückweg an. Der Herzog war in- zwiſchen dem Erlöſer treu geblieben, und von Belſo- ren erhielt Alexis durch heimliche Botſchaft die gleiche Verſicherung. So ſehr ihn dieß erfreute, ſo blieb ihm doch ſein eigener Zweifelmuth; zugleich be-
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zweifelte zuweilen, ob er auch ſelbſt die Wahrheit habe,
ob Chriſtus der Sohn Gottes ſey, und würdig, daß
man um ſeinetwillen Alles verlaſſe. Dazu geſellte ſich
die Sehnſucht nach Belſoren, mit der er jezt wohl
längſt in Glück und Freuden leben könnte. Indeß war
er auf ſeinen Wanderungen auch in dieſe Gegend ge-
kommen. Hier, wo nunmehr der Brunnen iſt, ſoll
damals nur eine tiefe Felskluft, dabei ein Quell ge-
weſen ſeyn, daran Alexis ſeinen Durſt gelöſcht. Hier
flehte er brünſtig zu Gott um ein Zeichen, ob er den
rechten Glauben habe; doch dachte er ſich dieſer Gnade
erſt durch ein Geduldjahr würdiger zu machen, wäh-
rend deſſen er zu Haus beim Herzog, ſeinem Vater,
geruhig leben und ſeine Seele auf göttliche Dinge
richten wolle. Werde er in dieſer Zeit ſeiner Sache
nicht gewiſſer und komme er auf den nächſten Früh-
ling wiederum hieher, ſo ſoll der Roſenſtock entſchei-
den, an deſſen völlig abgeſtorbenes Holz er jezt den
Ring der Belſore feſtſteckte: blühe bis dahin der
Stock und trage er noch den goldenen Reif, ſo ſoll
ihm das bedeuten, daß er das Heil ſeiner Seele bis-
her auf dem rechten Wege geſucht und daß auch ſeine
Liebe zu der Braut dem Himmel wohlgefällig ſey. So
trat er nun den Rückweg an. Der Herzog war in-
zwiſchen dem Erlöſer treu geblieben, und von Belſo-
ren erhielt Alexis durch heimliche Botſchaft die
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/294>, abgerufen am 23.11.2024.
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