Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.Das Veilchen duftet unter Blüthenbäumen, O schweigt, ihr Vöglein hoch im Himmelblauen! Es tönen rings die dumpfen Glockenklänge, Die Engel singen leise Grabgesänge, O schweiget, Vöglein auf den grünen Auen! Ihr Veilchen, kränzt heut' keine Lockenhaare! Euch pflückt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße, Ihr wandert mit zum stillen Gotteshause, Dort sollt ihr welken auf des Herrn Altare. Wird sie sich dann in Andachtslust versenken, Und sehnsuchtsvoll in süße Liebes-Massen Den Himmel und die Welt zusammenfassen, So soll sie mein -- auch mein! dabei gedenken. Agnes war inzwischen mit Henni spazieren ge- Das Veilchen duftet unter Blüthenbäumen, O ſchweigt, ihr Vöglein hoch im Himmelblauen! Es tönen rings die dumpfen Glockenklänge, Die Engel ſingen leiſe Grabgeſänge, O ſchweiget, Vöglein auf den grünen Auen! Ihr Veilchen, kränzt heut’ keine Lockenhaare! Euch pflückt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße, Ihr wandert mit zum ſtillen Gotteshauſe, Dort ſollt ihr welken auf des Herrn Altare. Wird ſie ſich dann in Andachtsluſt verſenken, Und ſehnſuchtsvoll in ſüße Liebes-Maſſen Den Himmel und die Welt zuſammenfaſſen, So ſoll ſie mein — auch mein! dabei gedenken. Agnes war inzwiſchen mit Henni ſpazieren ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="2"> <pb facs="#f0291" n="605"/> <l>Das Veilchen duftet unter Blüthenbäumen,</l><lb/> <l>Und alle Vöglein ſingen Jubellieder.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>O ſchweigt, ihr Vöglein hoch im Himmelblauen!</l><lb/> <l>Es tönen rings die dumpfen Glockenklänge,</l><lb/> <l>Die Engel ſingen leiſe Grabgeſänge,</l><lb/> <l>O ſchweiget, Vöglein auf den grünen Auen!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Ihr Veilchen, kränzt heut’ keine Lockenhaare!</l><lb/> <l>Euch pflückt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße,</l><lb/> <l>Ihr wandert mit zum ſtillen Gotteshauſe,</l><lb/> <l>Dort ſollt ihr welken auf des Herrn Altare.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Wird ſie ſich dann in Andachtsluſt verſenken,</l><lb/> <l>Und ſehnſuchtsvoll in ſüße Liebes-Maſſen</l><lb/> <l>Den Himmel und die Welt zuſammenfaſſen,</l><lb/> <l>So ſoll ſie mein — auch mein! dabei gedenken.</l> </lg> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p><hi rendition="#g">Agnes</hi> war inzwiſchen mit <hi rendition="#g">Henni</hi> ſpazieren ge-<lb/> gangen. Sie führte ihn in’s freie Feld hinaus, ohne<lb/> recht zu ſagen, wohin es ginge, ein nicht ſeltener Fall,<lb/> wo ihr jedes Mal eine dritte zuverläſſige Perſon unbe-<lb/> merkt in einiger Entfernung hinten nachzufolgen pflegte.<lb/><hi rendition="#g">Agnes</hi> brachte ſeit einiger Zeit die ſchöne Sammet-<lb/> Jacke, das Geſchenk ihres vermeintlichen Liebhabers,<lb/> kaum mehr vom Leibe; ſo trug ſie dieſelbe auch jezt,<lb/> und ſah trotz einiger Nachläſſigkeit im Anzug ſehr rei-<lb/> zend darin aus. Unter ordentlichen Geſprächen ge-<lb/> langten Beide zu dem nächſten Wäldchen und in der<lb/> Mitte deſſelben auf einen breiten Raſenplatz, worauf<lb/> eine große Eiche einzeln ſtand, die einen offenen Brun-<lb/> nen ſehr maleriſch beſchattete. <hi rendition="#g">Agnes</hi> hatte von die-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [605/0291]
Das Veilchen duftet unter Blüthenbäumen,
Und alle Vöglein ſingen Jubellieder.
O ſchweigt, ihr Vöglein hoch im Himmelblauen!
Es tönen rings die dumpfen Glockenklänge,
Die Engel ſingen leiſe Grabgeſänge,
O ſchweiget, Vöglein auf den grünen Auen!
Ihr Veilchen, kränzt heut’ keine Lockenhaare!
Euch pflückt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße,
Ihr wandert mit zum ſtillen Gotteshauſe,
Dort ſollt ihr welken auf des Herrn Altare.
Wird ſie ſich dann in Andachtsluſt verſenken,
Und ſehnſuchtsvoll in ſüße Liebes-Maſſen
Den Himmel und die Welt zuſammenfaſſen,
So ſoll ſie mein — auch mein! dabei gedenken.
Agnes war inzwiſchen mit Henni ſpazieren ge-
gangen. Sie führte ihn in’s freie Feld hinaus, ohne
recht zu ſagen, wohin es ginge, ein nicht ſeltener Fall,
wo ihr jedes Mal eine dritte zuverläſſige Perſon unbe-
merkt in einiger Entfernung hinten nachzufolgen pflegte.
Agnes brachte ſeit einiger Zeit die ſchöne Sammet-
Jacke, das Geſchenk ihres vermeintlichen Liebhabers,
kaum mehr vom Leibe; ſo trug ſie dieſelbe auch jezt,
und ſah trotz einiger Nachläſſigkeit im Anzug ſehr rei-
zend darin aus. Unter ordentlichen Geſprächen ge-
langten Beide zu dem nächſten Wäldchen und in der
Mitte deſſelben auf einen breiten Raſenplatz, worauf
eine große Eiche einzeln ſtand, die einen offenen Brun-
nen ſehr maleriſch beſchattete. Agnes hatte von die-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |