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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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man übersezte wechselsweise, am liebsten aber sah man
immer das Buch in Margots Hände zurückkehren,
welche mit eigener Gewandtheit die Verse in Prosa
umlegte und meistens ein paar Scenen im Voraus
zu Papier gebracht hatte, da denn wirklich der Aus-
druck an Kraft, Erhabenheit und Rundung nichts mehr
zu wünschen übrig ließ, so daß man, obgleich Alles
sehr treu gegeben war, etwas ganz Neues zu hören
glaubte und den Dichter in seiner ursprünglich gran-
diosen Natur vollkommen gerechtfertigt sah. Dem in
gewisser Hinsicht unbefriedigenden Schlusse der Hand-
lung half das Fräulein, einem glücklichen Fingerzeig
ihres Vaters folgend, durch Einschaltung einer kurzen
Scene auf, worin die Vereinigung des liebenden Paa-
res, welche der Dichter nur anzudeuten, bei seinem
höhern Zwecke kaum für der Mühe werth gehalten,
zum Troste jedes zart besorgten Lesers klärlich moti-
virt war. Man bedauerte nur, mit der Lektüre so
schnelle fertig geworden zu seyn, und weil Jedermanns
Ohr nun schon von den südlichen Klängen gereizt und
hingerissen war, so brachte der Präsident einen italie-
nischen Novellisten hervor, indessen der Maler gereimte
Gedichte gern vorgezogen hätte, aus einem Grunde
zwar, den er nicht allzu lebhaft geltend machen wollte:
er war entzückt, wie Margot Verse las; er glaubte
einen solchen Wohllaut kaum je von Eingeborenen ge-
hört zu haben, und wenn es manchen Personen als
ein liebenswürdiger Fehler angerechnet wird, daß sie

man überſezte wechſelsweiſe, am liebſten aber ſah man
immer das Buch in Margots Hände zurückkehren,
welche mit eigener Gewandtheit die Verſe in Proſa
umlegte und meiſtens ein paar Scenen im Voraus
zu Papier gebracht hatte, da denn wirklich der Aus-
druck an Kraft, Erhabenheit und Rundung nichts mehr
zu wünſchen übrig ließ, ſo daß man, obgleich Alles
ſehr treu gegeben war, etwas ganz Neues zu hören
glaubte und den Dichter in ſeiner urſprünglich gran-
dioſen Natur vollkommen gerechtfertigt ſah. Dem in
gewiſſer Hinſicht unbefriedigenden Schluſſe der Hand-
lung half das Fräulein, einem glücklichen Fingerzeig
ihres Vaters folgend, durch Einſchaltung einer kurzen
Scene auf, worin die Vereinigung des liebenden Paa-
res, welche der Dichter nur anzudeuten, bei ſeinem
höhern Zwecke kaum für der Mühe werth gehalten,
zum Troſte jedes zart beſorgten Leſers klärlich moti-
virt war. Man bedauerte nur, mit der Lektüre ſo
ſchnelle fertig geworden zu ſeyn, und weil Jedermanns
Ohr nun ſchon von den ſüdlichen Klängen gereizt und
hingeriſſen war, ſo brachte der Präſident einen italie-
niſchen Novelliſten hervor, indeſſen der Maler gereimte
Gedichte gern vorgezogen hätte, aus einem Grunde
zwar, den er nicht allzu lebhaft geltend machen wollte:
er war entzückt, wie Margot Verſe las; er glaubte
einen ſolchen Wohllaut kaum je von Eingeborenen ge-
hört zu haben, und wenn es manchen Perſonen als
ein liebenswürdiger Fehler angerechnet wird, daß ſie

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[547/0233] man überſezte wechſelsweiſe, am liebſten aber ſah man immer das Buch in Margots Hände zurückkehren, welche mit eigener Gewandtheit die Verſe in Proſa umlegte und meiſtens ein paar Scenen im Voraus zu Papier gebracht hatte, da denn wirklich der Aus- druck an Kraft, Erhabenheit und Rundung nichts mehr zu wünſchen übrig ließ, ſo daß man, obgleich Alles ſehr treu gegeben war, etwas ganz Neues zu hören glaubte und den Dichter in ſeiner urſprünglich gran- dioſen Natur vollkommen gerechtfertigt ſah. Dem in gewiſſer Hinſicht unbefriedigenden Schluſſe der Hand- lung half das Fräulein, einem glücklichen Fingerzeig ihres Vaters folgend, durch Einſchaltung einer kurzen Scene auf, worin die Vereinigung des liebenden Paa- res, welche der Dichter nur anzudeuten, bei ſeinem höhern Zwecke kaum für der Mühe werth gehalten, zum Troſte jedes zart beſorgten Leſers klärlich moti- virt war. Man bedauerte nur, mit der Lektüre ſo ſchnelle fertig geworden zu ſeyn, und weil Jedermanns Ohr nun ſchon von den ſüdlichen Klängen gereizt und hingeriſſen war, ſo brachte der Präſident einen italie- niſchen Novelliſten hervor, indeſſen der Maler gereimte Gedichte gern vorgezogen hätte, aus einem Grunde zwar, den er nicht allzu lebhaft geltend machen wollte: er war entzückt, wie Margot Verſe las; er glaubte einen ſolchen Wohllaut kaum je von Eingeborenen ge- hört zu haben, und wenn es manchen Perſonen als ein liebenswürdiger Fehler angerechnet wird, daß ſie

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/233>, abgerufen am 24.11.2024.